Wunderschön ist es hier, aber einsam. Öffentliche Verkehrsmittel führen nicht ins Operndorf von Christoph Schlingensief. Sanfte Hügel, bizarre Steinformationen und geschwungene Bäume begrenzen das Gelände. Ein Tafelberg flimmert in der Ferne. Gerade wurde der neue Wasserturm mit Aussichtsplattform fertiggestellt, Geschenk einer deutschen Stiftung. Ein Hirte treibt knochige Ziegen vorbei. 16 rostrote Gebäude aus Lehmziegeln, mit wie schwebend wirkenden Blechdächern sind weiträumig um einen Platz angeordnet. Dort ist auch die Grube, aus der der Lehm stammt, mit dem Anwohner Ziegel für die Häuser brennen - der burkinische Stararchitekt aus Berlin, Francis Keré, hat eine Formel gefunden, um sie wasserfest zu machen. Gerade wurde die zweite Bauphase abgeschlossen, eine Krankenstation, mit schattigen Höfen für die Familien der Patienten - jedes umliegende Dorf hat einen Baum gestiftet.
Da ist es heute allerdings vollkommen leer. Es ist 12.30 Uhr. Die Schulkinder haben in der Kantine Reis und Bohnen gegessen, als Dessert können sie wilde Datteln von den Bäumen pflücken, frisches Wasser gibt es aus dem Hahn - dank eines Filtersystems, geschenkt vom Goethe-Institut. Bis um 15 Uhr teilen sich die Kinder die Zeit frei ein. Sie spielen im Sand Kaufmannsladen und Fangen oder sitzen in Arbeitsgruppen herum, zwischen selbstgemalten Bildern.
200 Kinder sind mittlerweile eingeschult im Operndorf, jedes Jahr kommen 50 dazu, 25 Jungen und 25 Mädchen, die Bewerberzahlen überschreiten bei Weitem das Angebot. Denn im Gegensatz zu anderen Schulen ist die Operndorf-Grundschule und selbst ihre Kantine gratis. Der Schulleiter Abdoulaye Ouedraogo empfängt in seinem angenehm kühlen Büro.
"Wir legen viel Wert darauf, dass Mädchen und Jungen die gleichen Chancen erhalten. Das ist hier nicht selbstverständlich. Viele Mütter lassen ihre Mädchen zu Hause, nur Jungen gehen zur Schule. Unsere Schule will ein positives Beispiel sein. Ihr Herzstück ist die Kantine - eine wichtige Motivation für Eltern, ihre Kinder herzuschicken. Auf jeden Fall werden die Schüler, die hier mit Kunst ausgebildet werden, ihr Wissen verbreiten. Diese Schule ist ein Projekt von beeindruckender Kraft hier in der Region."
"Das ist ein großes Projekt"
Frisch und kühl wirkt die Luft auch in den Schulklassen. Kaum zu glauben bei 40 Grad. Der Stundenplan ist anspruchsvoll: täglich von 7.30 bis 17 Uhr, selbst samstags, die Dörfer der Schüler sind rund vier Kilometer weit weg. Laut einer UNESCO-Studie liegen die Schülerergebnisse weit über Landesdurchschnitt - hier in der Abgeschiedenheit kann man sich gut konzentrieren. 25 Wochenstunden sind Rechtschreibung, Mathe, Grammatik gewidmet, fünf künstlerischen Disziplinen: Tanz, Malen, Gesang, Theater oder Fotografie. Schulleiter Ouedraogo selbst ist Erzähler, Schauspieler, Autor und Regisseur. Er inszeniert jährlich ein Stück mit den Kindern, in dem es um Beschneidung oder Zwangsheirat geht.
"Das afrikanische Kind leidet oft an Gewalt in vielen Formen. Wir stehen im engen Kontakt mit den Dorfbewohnern, wir arbeiten an ihrer Sensibilisierung. Wir wollen mit ihnen über aktuelle Themen diskutieren. Kunst hat hier im Schulsystem sonst eigentlich keinen Stellenwert. Hier ist es anders, und das baut einen ganz anderen Schutzraum auf. Das ist ein großes Projekt."
Für die Kunst ist Mahmoudou Nacanabo zuständig. Oper gab es im Operndorf bisher nicht zu sehen, dafür Marionettentheater, Gastspiele des Theaterfestivals Récréâtrales aus Ouagadougou, Konzerte des Rappers Smokey, der auch im künstlerischen Beirat sitzt.
"Meine Aufgabe ist, eine Verbindung zu kreieren zwischen dem Kulturleben in Ouagadougou und dem Operndorf, damit es angeschlossen ist an das, was kulturell passiert im Land. Das Dorf ist eine Verrücktheit - aber sie bringt uns zum Arbeiten. Es ist allerdings nicht einfach. Die Transportkosten sind hoch, die Leute aus den Dörfern sprechen oft kein Französisch. Ich habe leider nur eine Teilzeitstelle. Doch die Gründung einer kulturellen Struktur erfordert am Anfang viel mehr Energie. Wenn der Grund stark ist, hält das Haus gut."
Wann ein Festspielhaus kommt und wie die Zukunft des Operndorfs aussehen wird, ist ungewiss. Jeder Transport aus der Hauptstadt, jede Fahrt, jeder Künstlerbesuch kostet Geld. Rund 900.000 Euro haben allein Bauphase I und II verschlungen - Geld, von dem man viele Schulen und Krankenstationen hätte bauen können. Zudem gibt es im nahen Dorf Ziniaré bereits beides. Die Gegend, aus der Blaise Compaoré stammt, der gerade vom Volk verjagte Ex-Präsident, gehörte immer schon zu den privilegiertesten in Burkina Faso. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, wenn man bestehende Strukturen in dem bitterarmen Land ausgebaut hätte, das dennoch so eine reiche Kulturlandschaft hat? Eine paradiesische Infrastruktur wurde hier aus dem Boden gestampft. Ihr Erhalt wird auf Dauer immens teuer.