"Meine Vision von dem Platz wäre immer mit der Hoffnung verbunden, dass es anfängt, da zu leben. Durch die Leute, die da wohnen. Vor allem durch die Schule. Ich habe nichts dagegen, dass dann ein Wagnerianer anreist und dann enttäuscht ist, weil da nur Ziegen sind und einen Schule und ein Sportfeld und ein Brunnen. Dass die enttäuscht sind, das heißt ja nur, dass sie gar nicht verstanden haben, was eine Oper ist."
Sehr präzise hat Christoph Schlingensief die Vision seines letzten großen Vermächtnisses nicht gerade formuliert im großartigen Dokumentarfilm "Knistern der Zeit" von Sibylle Dahrendorf. Viereinhalb Jahre nach seinem Tod im August 2010 gibt es hier zwar eine gut funktionierende Schule mit 200 eingeschulten Kindern, eine Krankenstation und ein monatliches Kulturprogramm. 16 wunderschöne Gebäude aus Lehm umrunden das verwunschen aussehende Gelände. Doch nachts ist das Operndorf verwaist. Kaum ein Lehrer lebt hier mit seiner Familie, kein Dorfbewohner kommt vorbei - die nächste Ansiedlung liegt rund vier Kilometer entfernt. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Das Publikum des monatlichen Kulturprogramms muss zuweilen mit Bussen vom Goethe-Institut herangefahren werden. Von einem funktionierenden Kulturbetrieb kann keine Rede sein.
"Das eine darf das andere nicht schwächen"
Immer wieder gibt es Kritik an der Infrastruktur, die hier in die Einsamkeit gepflanzt wurde und viel Geld und Energie benötigt, um unterhalten zu werden. Etienne Minonghou ist Leiter des Festivals "Récréatrales", eines der wichtigsten Kulturfestivals in Burkina Faso, er beklagt sich über die mangelnde Einbindung in die Szene vor Ort:
"Man hätte nicht das Rad neu erfinden müssen. Man hätte das kaputte Rad von Ouagadougous kultureller Infrastruktur ein wenig reparieren und aufrichten sollen. Schlingensiefs Vision hatte mit Teilen zu tun. Aber man hätte besser das geteilt, was bereits existiert. Dieses Projekt hätte, um richtig zu wirken, von einer Infrastruktur ausgehen müssen, um deren Energien mitzunutzen. Damit das Operndorf wirklich Wurzeln schlagen kann in Burkina Faso. Das Goethe-Institut hat nun kaum noch Geld dafür, so wichtigen Theaterfestivals wie den "Récréâtrales" zu helfen. Der Großteil ihres Budgets geht ins Operndorf. Es gibt so wenige Mittel für die Kultur hier. Das eine darf das andere nicht schwächen."
Die Leiterin des seit 2008 existierenden Goethe-Instituts in Ouagadougou, Thekla Worch-Ambara, bestätigt, dass ein großer Teil ihrer jährlichen Projektmittel von rund 100.000 Euro in das Operndorf fließen. Damit kann es natürlich nicht dem Kulturleben in Ouagadougou zugutekommen.
"Das Operndorf ist für uns ein sehr wichtiges Projekt und ein sehr wichtiger Partner. Ich sehe das Operndorf nicht nur als Veranstaltungsort, sondern perspektivisch auch als einen Ort des Schaffens und des Austausches. Und dafür ist es ideal, wenn man nicht in seine gängigen Strukturen immerzu eingebunden ist. Sondern einen Ort hat, wo man sich konzentriert auf eine Arbeit einlassen kann."
Im März wird mit einheimischen Künstlern und dem Goethe-Institut ein Residenzprogramm entwickelt, das Arbeitsaufenthalte für afrikanische und deutsche Künstler ermöglichen soll. Zurzeit ist eine Studentengruppe der Robert-Schumann-Hochschule für Musik aus Düsseldorf im Operndorf, um mit lokalen Musikern eine Band zu gründen. Rund 900.000 Euro hat der Aufbau des Operndorfs bisher gekostet, finanziert vom Außenministerium, Spenden und der Operndorf-Stiftung, die mit einem 350.000-Euro-Vermögen allerdings überschaubare Beiträge abwirft.
"Für ihn war gerade die Konkurrenz wichtig"
Aino Laberenz, die Witwe von Schlingensief, plant, dass demnächst Lehrer und Krankenhauspersonal größtenteils vom burkinischen Staat finanziert werden. Dennoch kostet der laufende Betrieb des Operndorfs rund 100.000 Euro - und das wird mehr, je mehr Schüler aufgenommen werden. Ähnliche Schulprojekte in Burkina Faso kosten sehr viel weniger. Auch wird sich das Operndorf niemals allein tragen. Viel Geld, viel Energie ist nötig, um die geschaffene Struktur zu beleben. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Operndorf in der Hauptstadt zu gründen? Aino Laberenz:
"Ehrlich gesagt - was heißt das für mich? Ich mache das Projekt ja praktisch, real. Soll ich wieder umziehen? Der Punkt, warum Schlingensief aufs Land gegangen ist, um Menschen dort eine Möglichkeit zu geben, die sie in der Stadt nur hätten. Und dadurch dass sie auf dem Land sind, haben sie keine Möglichkeiten auf Bildung, auf Kunst beziehungsweise die Möglichkeiten sind komplett andere. Für ihn war gerade die Konkurrenz wichtig, dass er eben nicht als weißer Mann jetzt in der Stadt alles besser oder alles anders, sondern gesagt hat: Ich gebe woanders eine neue Möglichkeit. Ouagadougou ist eine große Stadt, die wächst. In ein paar Jahren werden die äußeren Bezirke uns betreffen."