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Schlömer: Politische Ziele in den Vordergrund rücken

Die Piraten seien eine Bürgerbewegung, die sich als Partei formiert habe, "um zu bleiben", sagt Bernd Schlömer. Statt Personen müsste sie ihre Themen in den Vordergrund stellen. Man werde die Piraten "nicht in den Keller schreiben können", so ihr Bundesvorsitzender.

Bernd Schlömer im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: In Niedersachsen lecken die Piraten heute und morgen auf einem Landesparteitag ihre Wunden nach der Wahlniederlage vor drei Wochen. An der Fünf-Prozent-Hürde waren sie gescheitert, krachend mit gerade einmal zwei Prozent der Stimmen. Die erste Wahlniederlage, mit der die Piratenpartei umgehen muss nach den Erfolgen in Berlin, im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Bis zur Bundestagswahl bleiben noch rund sieben Monate Zeit, die die Piraten geschickt nutzen müssten, um die geneigten Wähler von ihren Themen zu überzeugen. Um ihre Gunst steht es denkbar schlecht – die Piraten stehen in den Umfragen derzeit nur noch bei rund drei Prozent. Doch statt über Themen diskutieren die Piraten weiter über ihr Personal und verlieren sich in gegenseitigen Beschimpfungen. Im Mittelpunkt steht immer wieder Johannes Ponader, der bekennende Freak und politische Geschäftsführer der Piratenpartei. Thielko Grieß berichtete. Und am Telefon begrüße ich Bernd Schlömer, den Bundesvorsitzenden der Piratenpartei. Guten Morgen, Herr Schlömer!

    Bernd Schlömer: Schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Wir lernen, die Piraten kommunizieren bei all den Möglichkeiten, die das Internet bietet, per SMS. Was bedeutet es, wenn ausgerechnet Ihre Partei zurückfällt auf die Vor-Smartphone-Ära? Die SMS-Kanzlerin dürfte es ja freuen.

    Schlömer: Nein, darum geht es nicht. Ich will jetzt mich auch nicht an der Diskussion um verschickte SMS beteiligen, es geht mir darum, dass wir unsere politischen Themen, Ziele und Inhalte jetzt in den Vordergrund stellen, und nicht die Personen.

    Dobovisek: So leicht möchte ich Sie aber daraus nicht entlassen, war es denn richtig oder falsch, diese SMS zu veröffentlichen?

    Schlömer: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht beteiligt, und deswegen werde ich mich an dieser Spekulation oder an den Annahmen auch nicht beteiligen.

    Dobovisek: Heftige Personalquerelen und schlechte Umfragewerte, beides war bereits Thema beim vergangenen Parteitag im November. Hören wir einmal, was Sie, Herr Schlömer, in Bochum damals sagten.

    "Auch gute Politik ist nicht frei von Krisen. Es ist an der Zeit, sich darauf zu besinnen, dass wir gemeinsam Politik machen wollen, ohne einander zu beschimpfen, zu missachten oder zu ignorieren. Auch ich habe Fehler gemacht, und dafür möchte ich mich bei euch entschuldigen."

    Dobovisek: Wo bleibt sie denn nun, Herr Schlömer, die Geschlossenheit Ihrer Partei?

    Schlömer: Na, ich wünsche mir, dass wir – und das habe ich auch im April bei meiner Antrittsrede beim Bundesparteitag in Neumünster gesagt, im vergangenen Jahr –, dass wir jetzt einmal den Mut haben, ohne das basisdemokratische Prinzip der Partei zu verletzen, dass wir unsere Menschen, unsere Sympathieträger, unsere Vielfalt der Partei zeigen und damit auch Themen transportieren. Das ist es jetzt, was sehr wichtig ist, wir müssen, glaube ich, die Diskussionen, die ständig eintreten, beenden, und wir müssen zeigen, dass wir gute Politik machen, andere Politik machen, gute Ziele haben, damit die Bürger uns wieder vertrauen.

    Dobovisek: Wie wollen Sie denn diese parteiinterne Diskussion beenden, wenn denn nicht mit einer Basta-Politik?

    Schlömer: Also ich glaube, dass wir in der Tat diejenigen, die jetzt auf den Landeslisten in die Spitzenfunktionen oder Spitzenplätze gewählt worden sind, ermutigen müssen, dass sie unsere Themen, die wir mit dem basisdemokratischen Ansatz entwickelt haben, dass wir diese Themen und diese Menschen zeigen, damit sie unsere Anliegen der Öffentlichkeit kundtun und damit vielleicht auch stärker wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte geraten, nicht der Personendebatte.

    Dobovisek: Nun hält Johannes Ponader, der angesprochene politische Geschäftsführer, ja deutlich dagegen und sagt, man könne auch ohne Köpfe Wahlen gewinnen. Was soll das bedeuten, wenn der Vorstand da weiter so uneins ist?

    Schlömer: Ich glaube, dass der politische Geschäftsführer Johannes Ponader dort nicht richtig liegt, denn wir haben in den vergangenen Jahren auch gesehen, dass durch Sympathieträger, Menschen, durch Piraten-Mitglieder, beispielsweise Marina Weisband ist ein gutes Beispiel, unsere Politik sympathisch, frisch, fordernd und jung auch in den Medien, in der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte, und ich würde mir wünschen, dass wir den einen oder anderen Menschen, Frau, Mann in der Partei finden, der bereit ist, jetzt stärker auch wieder Themen zu präsentieren, damit wir auch in ein gutes und ein günstiges Licht gerückt werden können.

    Dobovisek: Nun hat sich aber Frau Weisband zurückgezogen aus der direkten Führungsarbeit in der Partei, wie auch andere – nennen wir es mal – Sympathieträger. Johannes Ponader ist geblieben.

    Schlömer: Johannes Ponader ist legitimiert, er ist von dem Bundesparteitag in Neumünster gewählt worden, von der Basis, von dem Bundesparteitag, das ist eines unserer wenigen Organe, wir kennen den Bundesvorstand und den Bundesparteitag. Johannes Ponader muss sich überlegen, wie er die Politik, die Ziele und Inhalte unserer Partei besser in den Vordergrund rücken kann, und ich glaube, dass wir dadurch dann auch wieder ein bisschen an Fahrt gewinnen.

    Dobovisek: Kann er die Themen in den Vordergrund rücken?

    Schlömer: Na, ich würde mir wünschen, dass wir – und er und ich auch – …

    Dobovisek: Sie würden sich es wünschen, aber kann er es?

    Schlömer: Wissen Sie, ich bin mir ganz sicher, dass Johannes Ponader Politik machen kann, er hat es ja bewiesen. Und er kann auch die Themen und Inhalte und Ziele transportieren. Und ich würde mir wünschen, wenn er die Außenkommunikation, die Außenwirkung, die wir in diesen Spitzenfunktionen dann auch innehaben, auch nutzt, um Politik zu zeigen, zu machen und zu präsentieren.

    Dobovisek: Aber ganz offensichtlich kann der Vorstand in der jetzigen Zusammensetzung die Partei nicht durch den Wahlkampf führen und die Themen wie gewünscht in den Vordergrund rücken. Muss es eine neue Wahl geben für eine neue Parteiführung?

    Schlömer: Also laut Satzung wählen wir einmal im Kalenderjahr einen neuen Bundesvorstand. Wir haben im April letzten Jahres einen Bundesvorstand gewählt, alle sind legitimiert. Ich habe – und Sie haben darauf verwiesen – in Bochum noch mal deutlich gemacht, worauf es eigentlich ankommt, wenn man auch gute Politik machen möchte. Man darf diskutieren, man darf streiten, man darf debattieren, das ist ein Zeichen von lebendiger Demokratie, aber dann muss man letztendlich auch sich wieder auf Ziele, Programme, Inhalte konzentrieren, und diese mit tollen Menschen vorstellen.

    Dobovisek: Offensichtlich klappt das aber nicht so, wie Sie es sich vorstellen. Muss es deshalb beim nächsten Parteitag im Mai Neuwahlen geben?

    Schlömer: Nein, ich glaube, dass es keine Neuwahlen geben muss. Wir sind als Bundesvorstand nach meinem Dafürhalten ein gutes Team, wir müssen, können kollegial zusammenarbeiten, und diese Fragen, die dann immer wieder eine Personalquerele herbeireden wollen, finde ich auch nicht zielführend, wir sind …

    Dobovisek: Na ja, herbeireden müssen wir die ja gar nicht, wir müssen ja nur aufmerksam schauen, was die Piraten auf den verschiedensten Wegen im Internet und offenbar auch über SMS kommunizieren.

    Schlömer: Ja, aber das steht nicht im Fokus. Im Fokus soll bei uns die Politik stehen, und nicht, wie, ob und wann jemand eine SMS geschickt hat.

    Dobovisek: Gut, dann schauen wir uns doch mal an, was für eine Politik Sie betreiben oder betreiben wollen. Da gibt es zum Beispiel die Transparenzdebatte um Nebeneinkünfte im Bundestag. Die Piraten haben die verschlafen – eigentlich wäre es aber das Thema der Piraten gewesen. Wo bleiben denn Ihre Themen in der Öffentlichkeit?

    Schlömer: Also wir haben beispielsweise in der Nebentätigkeiten-Diskussion durchaus unsere Position vertreten können, wir hatten Möglichkeiten, in großen Zeitungen Kommentare zu machen, wir hatten bei den wichtigen Diskussionen im Fernsehen teilgenommen, wir fordern einen wesentlich stärkeren Einblick in die Geschehnisse von Politik und Verwaltung, und ich glaube, dass wir uns dort auch gut präsentieren können. Wir fordern beispielsweise in der aktuellen Diskussion eine Neujustierung der Haushaltsabgabe, der GEZ-Gebühr. Wir sehen es nicht ein, und ich sage hier das auch sehr deutlich, dass das jetzige System so keinen Bestand haben kann. Ich glaube, dass man mit acht Euro monatlich auskommen kann, ich glaube auch – das ist meine persönliche Auffassung –, dass der öffentlich-rechtliche Wettbewerb zwischen ZDF und ARD auch überdacht werden muss, und dass wir zu einer steuerfinanzierten Grundfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kommen müssen.

    Dobovisek: Das sehen wir natürlich naturgemäß anders, da wir ja auch gebührenfinanziert sind als Deutschlandfunk. Wie wollen Sie sich mit einem solchen Thema profilieren?

    Schlömer: Es gibt in Deutschland eine breite Unruhe in der Öffentlichkeit, was beispielsweise diese aktuelle Diskussion angeht. Es werden jetzt Aktionstage ausgerufen, Kommunen wehren sich gegen die Haushaltsabgabe. Wir werden uns als Partei in unserem medienpolitischen Flügel – Bruno Gert Kramm ist da jemand, der dort sehr profiliert auftritt – unsere Position vortragen und mit einer Diskussion teilnehmen. Und ich glaube, dann wird man auch sehen, dass die Piratenpartei Vorschläge hat, wie man die jetzige Diskussion um die Finanzierung öffentlich-rechtlichen Fernsehens auch etwas anders abbilden kann.

    Dobovisek: Bei drei Prozent liegen die Piraten in den Umfragen momentan im Bund. Wird nach der Bundestagswahl die Piratenpartei als Fußnote in die Geschichte der Parteien eingehen?

    Schlömer: Nein, also die Piratenpartei versteht sich – oder ich beschreibe die Piratenpartei ja auch als Bürgerbewegung, als Bürgerrechtsbewegung. Sie will und möchte Bürger stärker an politischen Entscheidungsverfahren beteiligen – das ist das große Versprechen, die Hoffnung, die die Menschen haben –, und wir sind letztendlich, haben uns als Partei formiert, um zu bleiben. Wir müssen auch mit Krisen umgehen können, das ist so, das gehört zur Politik dazu, aber man wird uns deswegen nicht letztlich in den Keller schreiben können. Die Menschen werden schon entdecken, dass es einfach wichtig ist, dass neue Parteien in die Parlamente einziehen – Politik muss infrage gestellt werden, das gelingt nicht immer durch Bürgerbewegungen, man muss auch in die Parlamente –, und da wird man sich anschauen, wo gibt es neue Parteien, frische Kräfte, unbelastete Personen – jetzt verweise ich mal auf die Vorwürfe auf Herrn Steinbrück –, und dann werden wir letztendlich sehen, ob die Piratenpartei im September in den Deutschen Bundestag einzieht oder nicht.

    Dobovisek: Sagt Bernd Schlömer, der Bundesvorsitzende der Piratenpartei. Vielen Dank!

    Schlömer: Ja, bitte schön! Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.