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Schlömer: Wir versuchen nicht mehr meinungslos zu sein

Der neue Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Bernd Schlömer, sagt, dass seine Partei breit aufgestellt sei. Im Grundsatzprogramm würden Fragen zum Urheberrecht, zum Datenschutz, zur Bildungspolitik, zur Familienpolitik sowie zur Umweltpolitik beantwortet. Die Piraten seien an Inhalten orientiert - einen natürlichen Koalitionspartner gebe es nicht.

Bernd Schlömer im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Die Piraten mischen die politische Landschaft auf, und auch wenn noch keiner so recht weiß, was sie wollen, werden sie von anderen politischen Parteien mit Respekt oder zumindest Neugier beäugt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie als "interessante Erscheinung" bezeichnet, SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann hält sie für "die neuen besseren Liberalen" und die Linken können sich sogar unter bestimmten Voraussetzungen eine Zusammenarbeit vorstellen. Am Wochenende hielten sie ihren Bundesparteitag ab. Hauptpunkt: die Wahl des Bundesvorstands. Um politische Inhalte ging es nur am Rande. - Am Telefon ist der neue Bundesvorsitzende. Guten Morgen, Bernd Schlömer!

    Bernd Schlömer: Schönen guten Morgen.

    Kaess: Herr Schlömer, was wird sich mit Ihnen ändern?

    Schlömer: Ich glaube, dass der Bundesparteitag ein Signal gesendet hat, dass es nicht um Änderung geht, sondern um Kontinuität. Es hat ja an der Spitze, wenn man so möchte, nur einen Wechsel gegeben. Sebastian Nerz ist vom Vorsitzenden zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden und ich vom stellvertretenden Vorsitzenden zum Vorsitzenden. Das ist ein Stück weit auch Ausdruck von einem Bedürfnis, dass es so weitergehen soll, wie es bislang gut gelaufen ist.

    Kaess: Das heißt, Sie werden auch nicht klarer werden zu inhaltlichen Fragen?

    Schlömer: Ich glaube, das habe ich gestern schon in zahlreichen Interviews gesagt, dass wir versuchen wollen, nicht mehr meinungslos zu sein, dass wir natürlich auch darüber informieren wollen, wie bei uns der Stand zu Diskussionen in verschiedenen politischen Themenfeldern sein wird, dass wir uns vielleicht auch verstärkt äußern werden zu Vorkommnissen, die übergeordneten Grundsätzen folgen wie beispielsweise Menschenrechtsverletzungen, und wir werden sicherlich die politische Debatte ein bisschen befruchten können.

    Kaess: Dann schauen wir doch mal auf aktuelle politische Diskussionspunkte. Was halten Sie zum Beispiel vom Betreuungsgeld?

    Schlömer: Schon in den letzten Tagen haben wir gesagt, dass wir uns nicht dafür aussprechen, bestimmte Familienmodelle oder Patchworkkonstellationen mit Geld zu alimentieren und nicht besonders hervorzuheben, besonders zu betonen. Wir würden uns, möchten uns dafür einsetzen, dass Lebensmodelle, frei gewählte Lebensmodelle gleichberechtigt alimentiert werden. Zu diesem Zweck haben wir auch eine Idee formuliert, die auf sichere Existenz abzielt, und das wäre dann die Alternative.

    Kaess: Und wie sollte in der Eurokrise weiter vorgegangen werden? Ist der europäische Fiskalpakt richtig?

    Schlömer: Das ist eine konkrete Frage, ich will sie mal ein bisschen bescheiden beantworten. Es geht bei dem Thema Europa nicht darum, dass man alles auf die Währung reduziert. Die Bedeutung Europas hat natürlich politische, soziale, historische Konstellationen und Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Ich finde die Dominanz der monetären Debatte um den Euro, um die Währung ein bisschen zu kurz gegriffen. Ich würde mir wünschen, dass man alle diese Faktoren, warum man überhaupt Europa gebildet hat in dieser Einheit, in dieser Union, mit berücksichtigen sollte.

    Kaess: Aber das löst ja nicht das Schuldenproblem.

    Schlömer: Ich weiß, das löst nicht das Schuldenproblem. Aber es gibt zumindest eine kleine Antwort.

    Kaess: Ist das jetzt Ihre persönliche Meinung oder die der Basis?

    Schlömer: Das ist jetzt ein Stück weit natürlich meine persönliche Meinung. Aber ich versuche ja, auch, Antworten zu geben, ein bisschen zu beschreiben, worum es geht. Es ist, glaube ich, eine Verpflichtung, eine Selbstverpflichtung von Politikern, die jetzt ein signifikantes, ein vorgehobenes Amt innehaben wie ein Bundesvorsitzender, dass man beschreibt, worum es geht bei politischen Entscheidungen. Es geht aus meiner Sicht halt nicht darum, dass man nur darüber befindet, gegen den Euro oder für den Euro. Europa hat ja auch eine Grundidee und diese Grundidee muss man mit kommunizieren. In diesem Sinne will ich auch stärker beschreibend auftreten und versuchen zu erklären, worum es geht bei einer Entscheidung, welche Wirkungen, welche Ergebnisse resultieren, wenn man sich so oder so entscheidet. Das will ich zumindest versuchen. Nun bin ich ja erst seit knapp einem Tag im Amt und ich glaube, es gelingt mir einigermaßen gut.

    Kaess: Es gibt da ja offensichtlich eine Spaltung zwischen der Basis, die bei allem mitreden will, und denjenigen, die sich professionalisieren wollen. Wie werden Sie denn damit umgehen?

    Schlömer: Ich glaube, die Diskussion um die Professionalisierung geht in eine andere Richtung. Es geht darum, unsere Kern- und Betriebsprozesse zu professionalisieren, wie wir Entscheidungsfindung betreiben wollen, innerparteiliche Kommunikation, wie wir Verwaltungsabläufe, Routineabläufe besser aufstellen können.

    Kaess: Und wie wollen Sie das machen? Wie wollen Sie das verbessern?

    Schlömer: Wir haben ja schon ein innerparteiliches Meinungsbildungsinstrument, ein sogenanntes Kommunikationsinstrument, wir nennen es LiquidFeedback. Damit wird die innerparteiliche Meinungsbildung effektiv und effizient gestaltet. Marina Weisband, die ehemalige, muss man jetzt sagen, politische Geschäftsführerin, hat einen Weiterbildungsprozess initiiert, daraus haben wir viele Erkenntnisse gewonnen. Wir wollen jetzt dieses Tool, so sagt man das ja, neu beleben, neu auflegen und damit auch die Meinungsbildung besser gestalten. Das ist auch ein Stück weit Ausdruck von Professionalisierung.

    Kaess: Und wann wird aus dem LiquidFeedback ein konkretes Grundsatzprogramm, mit dem Sie eventuell auch regierungsfähig wären?

    Schlömer: Wir haben ja ein Grundsatzprogramm, das auch verschiedene Themenfelder schon beinhaltet.

    Kaess: ... , aber sehr begrenzt ist.

    Schlömer: Ich würde nicht sagen, dass es begrenzt ist. Wir haben dort Fragen beantwortet zum Urheberrecht, zum Datenschutz, zur Bildungspolitik, zur Familienpolitik, zur Umweltpolitik, wir sind schon durchaus breiter aufgestellt, als man es uns zutraut. Wir werden allerdings im Bundesvorstand jetzt zunächst einmal die Vorbereitung für die Bundestagswahl 2013 initiieren müssen. Dazu werden wir uns jetzt in dieser Woche noch einmal, ich sage mal, zu einem Auftakt kurz treffen und dann in der nächsten Woche auch den formalen Betrieb aufnehmen, damit wir den Bundestagswahlkampf auch mit einem guten Grundsatzprogramm absolvieren können.

    Kaess: Es gibt auch offenbar in einem anderen Punkt Kontinuität. Ihr Vorgänger Sebastian Nerz hat gesagt, wenn keine andere Konstellation möglich ist und wir Gelegenheit erhalten, unsere Inhalte umzusetzen, sollten wir auch bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das ist auch Ihre Meinung?

    Schlömer: Genau.

    Kaess: Und Sebastian Nerz spricht davon, Inhalte umzusetzen. Was können Sie denn möglichen Regierungspartnern da anbieten?

    Schlömer: Es gilt ja nun einmal, unser Wahlprogramm erst mal zu definieren, und wir werden jetzt alle Mitglieder der Piratenpartei in absehbarer Zeit auffordern, Beiträge dazu zu liefern, und dann muss dieses Wahlprogramm auch in die Entscheidungsfindung geführt werden.

    Kaess: Aber die nächsten Landtagswahlen sind in einer Woche.

    Schlömer: Ja. Aber es ist ja auch so, dass in den Landesverbänden auch eigene Wahlprogramme definiert werden. Wir haben in Schleswig-Holstein ein Wahlprogramm, das 60 Seiten umfasst, das vielfältige Landesthemen thematisiert. Ähnlich ist es ja auch in Nordrhein-Westfalen. Ich spreche in dieser Funktion, in der Sie mich anrufen, als Bundesvorsitzender. Es ist natürlich auch so, dass die Landesverbände eigene Wahlprogramme haben, eigene auch Grundsatzprogramme und auch vielfältige Angebote offerieren.

    Kaess: Gibt es für Sie so etwas wie natürliche Koalitionspartner? Mit welchen Parteien könnten Sie sich Koalitionen vorstellen?

    Schlömer: Nein, es gibt keine natürlichen Koalitionspartner. Wir sind eine Partei, die an Inhalten orientiert ist, wir möchten bestimmte politische Inhalte umgesetzt sehen und wir haben keinen natürlichen Koalitionspartner.

    Kaess: Schauen wir auf die Diskussion um Rechtstendenzen in der Piratenpartei. Die war sehr stark in den letzten Wochen. Jetzt wurde auf dem Parteitag eine Erklärung verabschiedet, da heißt es: "Den Holocaust zu leugnen oder zu relativieren, widerspricht den Grundsätzen der Partei." Werden Sie demnach auch Parteimitglieder mit NPD-Vergangenheit oder rechten Äußerungen aus der Partei ausschließen?

    Schlömer: Wir werden diejenigen Parteimitglieder sicherlich ausschließen. Das liegt ja auch in der Verantwortung der Teilgliederungen, in denen sich das Mitglied dann in dieser Weise aufhält. Wir werden diese auffälligen Mitglieder dann ausschließen, indem wir die Satzungsverstöße, die damit zusammenhängen, auch identifizieren, und es gibt einige und jetzt auch schon aktuell ein erfolgreiches Parteiausschlussverfahren, es sind weitere geplant und ich glaube, dass wir damit auch auf einem guten Weg sein werden.

    Kaess: Aber wie einigen Sie sich da mit Ihrem Stellvertreter Sebastian Nerz? Der will bekehrten Rechtsextremisten den Weg in die Partei offenhalten und Sie dagegen haben gesagt, die Piraten hätten keinen Resozialisierungsauftrag.

    Schlömer: Als Partei haben wir auch keinen Auftrag, ehemalige NPD-Mitglieder zu resozialisieren. Eine Partei ist dafür nicht da. Eine politische Partei ist dafür da, politische Inhalte und Ziele in den öffentlichen Diskurs zu bringen.

    Kaess: Und wie werden Sie sich da mit Sebastian Nerz und seiner Einstellung einigen?

    Schlömer: Sebastian Nerz und ich sind da nicht zerstritten in dieser Thematik, wir haben unterschiedliche Ansichten, aber ich glaube, das ist auch nicht weiter schlimm.

    Kaess: Herr Schlömer, Sie arbeiten als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium, also in einem System, das die Piraten eigentlich erneuern wollen. Sie kennen es quasi von innen. Was ist daran so schlecht?

    Schlömer: An dem Verteidigungsministerium ist als solches erst mal nichts schlecht. Ich fühle mich dort wohl und kann dort auch gut arbeiten.

    Kaess: Aber Sie wollen das System generell so wie es ist verändern, oder warum heißt es dann auf den Wahlplakaten, für dieses System ist ein Upload verfügbar?

    Schlömer: Was wir wollen ist, dass politische Inhalte, die politische Debatte, der politische Entscheidungsprozess transparenter gestaltet wird, also der legislative Anteil, wie politische Entscheidungen in Deutschland zustande kommen und welche Ergebnisse und Wirkungen damit erzeugt werden. Das möchten wir wesentlich besser darstellen. Wir möchten auch, dass wenn Entscheidungen getroffen wurden und diese in Gesetze oder Vorhaben umgesetzt werden natürlich dann auch besser abrufbar sind, dass stärker darüber informiert wird, wie exekutives Handeln, Verwaltungshandeln aussieht, und das beißt sich nicht mit der bestehenden Organisation eines Ministeriums.

    Kaess: Dazu kommen auch immer neue Vorschläge in die Diskussion. Der neue politische Geschäftsführer Johannes Ponader möchte während Talkshows per Blitzumfragen die Meinung der Partei gewissermaßen in Realtime wiedergeben. Können Sie damit etwas anfangen?

    Schlömer: Johannes Ponader kann das wahrscheinlich besser erläutern als ich, wie er sich dieses Modell vorstellt. Ich glaube, dass man in Talkshows den Menschen, dem Zuschauer erläutern sollte, wofür die Partei steht, welche Vorhaben und Ziele sie hat, und weniger Entscheidungen produziert. Es geht ja auch darum, dass man miteinander ins Gespräch kommt in dieser Medienform.

    Kaess: Der neue Bundesvorsitzende der Piraten war das, Bernd Schlömer. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schlömer.

    Schlömer: Danke schön. Tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.