Beginnen wir im Städtchen Cognac. Im September 1494 könnten hier bei der Geburt eines kerngesunden Prinzleins die Korken geknallt haben. Cognac, ein Namen, der uns ja ein bestimmtes Destillat-Aroma auf der Zunge zergehen lässt. Aber 1494 (vor 520 Jahren) kennt man in Frankreich noch gar nicht die Kunst des Cognac-Brennens. Und auch die Champagner-Verkorkung ist noch nicht erfunden. Also werden die glücklichen Eltern aus ärmlichem Landadel vielleicht ein gutes Glas Wein zur Stärkung der jungen Wöchnerin und auf das Wohl ihres Wonneproppens François getrunken haben.
Und die heutigen Besucher von Cognac können kaum etwas mit dem wuchtigen Reiterdenkmal des großen Sohnes der Stadt anfangen. Da ist König François Premier als verwegener Sieger abgebildet. Interessanter als das Reiterdenkmal sind zwei Bilder hier im Museum. Michael Kleu:
"Eins zeigt uns ein strahlendes, noch bartloses Gesicht. François, ein Kerl wie aus Milch und Honig. Sein Blick ist der eines Charmeurs, eines Womenizers. Unter der Kappe fällt sein Haar bis auf die Schulter. Er ist auffälligst in Mode, in Samt und Seide gekleidet. Seine enge Strumpfhose damaliger Herrenmode zeigt sportliche Beine. In der Sprache des Boulevards könnte man es das Bildnis eines Playboys nennen. Einer, der die schönsten Töchter der Loire umgarnt. Franz hat Kunst- und Kulturverstand. In der Literatur liest man: Den Jungen langweilt das Leben nicht. Heiterkeit und Lebensfreude durchdringen ihn."
Das zweite Bild zeigt uns das bekannte Porträt von Tizian. Da ist Franz I. etwa 43. Sein Gesicht ist seit einem Jagdunfall bei einem Saufgelage verunstaltet. Er war lebensbedrohlich verletzt und kaschiert die Vernarbungen mit einem Bart.
"Und er hat noch andere Malaisen. Quellen deuten an, von Frauen umschwärmt, litt er bald an galanten Krankheiten. Es könnte ihn schon als jugendlicher Schürzenjäger in Amboise an der Loire erwischt haben."
Und damit sind wir schon in Amboise. Kein Orakel hatte dem jungen Prinzlein aus Cognac einen Logenplatz an den Machtzentralen des Abendlandes vorher gesagt. Und dann tut es hier in Amboise einen Schlag und Franz oder Fränzchen wird wie in einem Märchen hochkatapultiert. Michael Kleu setzt uns ins Bild:
"Auf dem französischen Thron sitzt ein Karl VIII.. Er residiert bevorzugt in Amboise. Und dieser noch junge König stößt sich hier, als er zu einem Tennisspiel eilt, unglücklich den Kopf an einem Balken. Schwerste Gehirnblutungen, leider irreparable. Erbberechtigte Kinder hat er keine. Also kommt sein Vetter als Ludwig XII. an die Krone. Erbberechtigte Kinder - auch noch keine. Und mit dieser überraschenden Konstellation wäre plötzlich dieser Franz aus Cognac, von Geblüt drittklassig, der Erbe, wenn Ludwig XII. keinen Sohn zeugt."
Und der neue König legt sofort los. Er entledigt sich seiner verkrüppelten Gattin, immerhin einer Königstochter. Stattdessen vermählt er sich mit der Königin-Witwe seines Vorgängers. Die Königin wird schnell und sichtbar guter Hoffnung. Trotzdem lässt sich Ludwig XII. vorsichtshalber den Vier-Käse-Hoch aus Cognac an den Hof bringen. Er schaut sich das muntere Büblein mal unverbindlich an. Fränzchen zieht mit seiner Mutter nach Amboise um. Er bekommt einen strengen Marschall als Erzieher, natürlich von hohem Adel. Dazu beste Hauslehrer, die dem intelligenten Jungen schreiben, rechnen, italienische Sprache, französische Helden- und Rittergeschichte und Gottesfurcht einbläuen. Alles nur für den Fall eines Falles. Das läuft hier rund um das Schloss von Amboise ab. Wir erfahren weiter:
"Franz bekommt auch vier handverlesenen Spielkameraden aus den umliegenden Loireschlössern. Die tollköpfige kleine Gesellschaft gibt sich gewalttätigen Spielen hin. Sie können Bogen schießen, spielen auch ein Spiel, das dem heutigen Tennis vergleichbar ist. Sie reiten wie die Teufel ohne Sattel, fechten kleine Turniere aus. Der heranwachsende Franz fällt wegen seiner Kraft auf, wegen seiner Geschmeidigkeit und Ausdauer. Wenn die Jungen eine Pause einlegen, schauen sie den Handwerkern zu, denn Schloss Amboise wird umgebaut und erweitert."
Und vor diesem bildhaften Hintergrund wird Amboise für einen Sonntagsspaziergang interessant. Sonst ist es ein Schloss wie so viele an der Loire. Man sieht die Mauern und die netten Türmchen und latscht es ab. Die Führungen sind leider sehr allgemein. Das heutige Schloss auf hohem Plateau über dem Ort hat nur noch 20 Prozent seiner damaligen Größe. Aber der Blick von hier oben, von dem Schloss auf die Loire, ist unvergleichlich. Und wir lesen in der Literatur:
"Es ist ein Blick, mit dem man die ganze Landschaft in einem einzigartigen Panorama erfasst. Das Flusstal dehnt sich hier breit und ist von mehreren Armen der Loire durchzogen, aufgefächert in blühende Inseln, in Auen und blinkenden Wasserläufen."
Und gleichzeitig läuft in einer Parallelwelt bei Hofe in Blois oder in Fontainebleau eine dramatische, eine komische Oper ab. König Ludwig XII., zu Beginn seiner Krönung zwar erst 36 Jahre alt, zeugt fast zehn Jahre lang verzweifelt an einem männlichen Thronfolger. Er ist gesundheitlich angeschlagen. Salopp gesagt, wenn Ludwig der Königin beiwohnt harren mindestens zwei Notärzte im Nebengemach und bringen den Entkräfteten anschließend mit Blaulicht in die nächste Intensivstation. Die Königin hat in rund zehn Jahren acht Geburten, Töchter, Totgeburten, lebensuntüchtige Knaben, die kurz hernach beerdigt werden müssen. Und diesen Stress um die Thronfolger bekommt auch der heranwachsende Franz mit. Jede neue Schwangerschaft könnte das Ende seiner vorsichtigen Ambitionen bedeuten und ihn in die Bedeutungslosigkeit zurück kippen. Nach acht Geburten stirbt die geschwächte Königin. Aber der malade Ludwig XII. will seine Bemühungen um einen Thronfolger noch nicht aufgeben. Zitat:
"Er heiratet die 16-jährige Prinzessin Marie, Schwester des englischen Königs Heinrichs VIII.. Ein Herrscher, dem gewisse Flexibilitäten im oft kurzen Leben seiner Gemahlinnen nachgesagt werden. Die sehr hübsche Marie scheint geeignet die Kräfte des alternden Ludwig neu zu erwecken. Sie versprüht keinerlei Trübsal, nur Heiterkeit, ihr Herz hängt an hübschen Kleidern, Vergnügungen und Festen."
Der vergreiste Ludwig blüht noch einmal auf. Und der flotte Franz, dem mittlerweile höchste Aufgaben bei Hofe zugewiesen sind, soll auch selber eine gewisse Zuneigung zu der lebenslustigen Engländerin verspürt haben. Doch in einer ruhigen Minute malt er sich wohl aus, wenn er selber (François) mit der süßen Marie heimlich einen Sohn zeugen würde, den der nichtsahnende, überglückliche Ludwig XII. dann als seinen Thronfolger feiern lässt. Dann hätte Franz das Selbsttor des Jahrhunderts geschossen. Er hätte sich selber abgeschossen. Zusammengefasst, auch die hübsche Marie wird mehrfach schwanger, es reicht aber nicht für einen Thronfolger. Der König stirbt. Und aus Franz wird nun "François Premier".
Und im Sommer 1516 sind wir nun dabei, als der junge König sein Amboise, den Ort seiner Jugend besucht. Und wir stehen hier oberhalb der Loire auf einem Balkon des königlichen Schlosses. Unser Blick fällt auf den Fluss, fällt auf die Brücke über die Loire. Sie ist Teil, sie ist Bühne der Inszenierung. Wir lesen in den königlichen Reisenotizen:
"Die Hof- und Reisegesellschaft wird gezogen und getragen von 18.000 Pferden. Man reist mit kostbaren Wandteppichen, Möbeln, Gold- und Silbergeschirr und Luxuszelten. Die Schlösser sind damals innen kaum eingerichtet, so muss eben alles mitgeführt werden. Wenn in Friedenszeiten der französische Hof ganz beisammen ist, so reist also ein Tross von 18.000 Personen, darunter mehr als 12.000 Berittenen."
Des Königs Fanfarenbläser und Trommler haben sich hier oben am Schloss postiert. Der Graf von Amboise eilt der jungen Majestät devot entgegen und begrüßt den König an der Loirebrücke. Er kennt ihn natürlich aus dessen Jugendjahren. Wir blättern weiter in den Reisenotizen:
"Es marschiert vorweg die königliche Leibgarde über die Brücke. 700 Mann, die Tag und Nacht Franz I. bewachen. Auf ihren Mützen wippen bei jedem zwölf riesige Federn in den Farben des König. Denen folgen fünf Reihen Bogenschützen in Weiß, dem Sinnbild der Reinheit und der Macht. Auf ihrem Rücken winden sich eingestickte Salamander, das Wappentier von François Premier. Nun sieht man hoch zu Pferde den König selber. Sein Hut, sein Überwurf, beides aus blauem, mit goldenen Lilien besticktem Samt. Auf des Königs Hut funkelt eine ganze Sammlung von Edelsteinen. Zwei blaugrün gekleidete Stallmeister führen des Königs Paradeschimmel am Zügel über die Brücke."
So tänzelt also Franz I. über die Brücke und wirft Geldmünzen unters jubelnde Volk. Wie er überhaupt verschwenderisch Geld, das er real nie hatte, mit vollen Händen zu allen möglichen Fenstern raus wirft. Weiter in den Reisenotizen:
"Nun rollen die Leute für die königliche Bedienung heran. Die Wagen der Obstkammer, die Wagen mit der Küche, die Weinkellerei, die Brotkammer. Zusammen mit einer eindrucksvolle Anzahl von Küchenmeistern, Kellermeistern, Meisterköchen, Suppen- und Soßen-Rührern, mit Vor- und Aufschneidern und Bratenmeistern. Nun folgen die edlen Herren, die dem König an der Tafel aufwarten dürfen. Edelleute, Kammerherren, Diener, Sekretäre, Türhüter, Pagen, Mediziner, Chirurgen, Apotheker, Barbiere."
Und dann kommt die wichtige Abteilung Unterhaltung. Denn der junge König möchte tanzen. Majestät mögen nicht alleine tanzen. Also gehört zur heiteren Unterhaltung auch die Abteilung Damen, unter der Aufsicht des wörtlich, des Bordeliérs.
Der König möchte auch etwas jagen. Also ist auch seine königliche Hundemeute mit dabei. Dazu des Königs Jagdfalken, unter dem Oberfalkenmeister. Und so zieht also ein kilometerlanger Lindwurm, genannt der Hof, in Amboise ein. Vielleicht vergleichbar einem heutigen Rosenmontagszug. Michael Kleu:
"König Franz ist, so schreiben Zeitgenossen, wie ein umherziehender Nomade unterwegs. Ein Spruch von ihm heißt: Ein Hof ohne Frauen ist wie ein Jahr ohne Frühling". Und mit den Frauen kommen auch die Zicken, die Eifersüchteleien und Intrigen an seinen Hof. Ein venezianischer Gesandter schreibt: Er ist wohl mit einer Karawane von Gauklern und bunten Narren unterwegs."
Franz I. holt auch den italienischen Maler, den Erfinder, den Tüftler, das große Genie Leonardo da Vinci nach Amboise. Er zahlt dem schon älteren Leonardo eine geradezu fürstliche Riester-Rente. Und Leonardo revanchiert sich und übernimmt unter anderem für Tausende Gäste in Amboise die Regie bei höfischen Maskenfesten und Umzügen. Er schreibt quasi das Drehbuch. Man muss es sich vielleicht als eine Art Revue oder Musical vorstellen. Sänger hängen in der Dunkelheit an Zugseilen und werden schwebend über den Köpfe der Besucher bewegt. Es wird unter der Musik des Hofkompositeurs dem König gehuldigt. Aus einem Protokoll lesen wir:
"Auf dem Platz des Schlosses hat man einen Triumphbogen errichtet. Darauf steht eine nackte Figur, die in der einen Hand Lilien und in der anderen Hand ein Bild eines Delfins hält, in Anspielung auf den kleinen Dauphin, den Sohn der jungen Königs. An einer Seite des Bogens sieht man einen tanzenden Salamander, das Wappentier des Königs. Auf der anderen Seite tanzt eine Figur als Hermelin."
Und Leonardo zeichnet dazu in seiner Regieanweisung beispielsweise einen jungen Mann als Tänzer mit einem Jagdhorn um die nackten Hüften. Spielerische Figuren, die dem Showgeschäft der Renaissance entsprungen scheinen. So tritt bei einem anderen Fest auch ein wilder mechanischer Löwe auf, der auf den König zustürzt, dann plötzlich innehält und aus seinem aufgerissen Maul fallen Blumen. Leonardo verwendet auch Kulissen und Ideen, die aus seiner Inszenierung "Paradiso" 25 Jahre zuvor am Hof von Mailand bekannt sind.
Der geniale Leonardo da Vinci als Showmeister. Feste feiern, die Unsummen an Geld verschlingen. Drei solcher grandioser Leonardo-Spektakel sind am Schloss von Amboise datiert. Und das alles erzählen uns die restlichen Mauern von Amboise, wenn man sie nur gründlich danach fragt, sprich recherchiert.
Sie berichten uns auch, als Leonardo 1519 in Amboise stirbt, ist Franz I. sogar im Wahlkampf um die deutsche Kaiserkrone. Er tritt gegen den späteren Karl V. an. Schließlich hat Franz die Zusage von drei der sieben Kurfürsten. Eine Stimme zur Mehrheit fehlt ihm noch. Die französischen Unterhändler bieten den Kurfürsten den Gegenwert von heutigen 30 Zentnern Gold für die Kaiserkrone an. 30 Zentner Gold. Die Habsburger werfen das Doppelte in die Waagschale, pumpen es sich von den Fuggern.
Franz I. finanziert seinen Wahlkampf über ein Italienisches Bankenkonsortium, zu unfassbaren 161,2 Prozent Zinsen. Und es ist wie immer, auch heute, nicht nur an der Loire - bezahlt und abgestottert wird die Sause letztlich von den Bürgern und Bauern. Adel und Klerus sind von der Steuer befreit. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Literatur:
Franz I. König der Renaissance, René Guerdan, Societäts-V
Leonardo, das Universalgenie, Alessandra Fregolent, Parthas-V
Im Tal der Loire, MERIAN-Hefte
Südwestfrankreich, Helmut Domke
Das Tal der Loire, Wilfried Hansmann, DUMONT
Franz I. König der Renaissance, René Guerdan, Societäts-V
Leonardo, das Universalgenie, Alessandra Fregolent, Parthas-V
Im Tal der Loire, MERIAN-Hefte
Südwestfrankreich, Helmut Domke
Das Tal der Loire, Wilfried Hansmann, DUMONT