Der Zustand sei "recht ordentlich", bestätigt jemand, der die wertvollen Bilder ansehen konnte: "Sie wurden aber beschädigt und nicht sehr gut restauriert." Die Hintergründe der Tat in einer kalten Winternacht in Thüringen liegen allerdings noch im Dunklen. Der Einbruch in das Schlossmuseum Gotha im Jahr 1979 war der aufsehenerregendste Kunstdiebstahl in der Geschichte der DDR – und bislang einer der größten Fälle von Kunstkriminalität, die niemals aufgeklärt wurden.
Dass im Überwachungsstaat DDR eine solche Tat überhaupt möglich war, hatte schon damals weltweit für Aufsehen gesorgt. Die Beute – fünf Gemälde, die damals Jan Brueghel dem Älteren, Anthonis van Dyck, Frans Hals, Hans Holbein dem Älteren und Rembrandts Zeitgenossen Jan Lievens zugeschrieben wurden – blieb vier Jahrzehnte lang verschwunden und überstand sogar einen politischen Systemwechsel im Verborgenen – bis sie nun vor wenigen Wochen wieder auftauchte.
Monatelange Verhandlungen
Der Rückkehr der kostbaren Bilder gingen monatelange geheime Verhandlungen voraus. Schon im Juni 2018 hatte sich bei Knut Kreuch, dem Oberbürgermeister von Gotha, ein Rechtsanwalt im Namen eines Mandanten gemeldet und zunächst nur Andeutungen zu den Gemälden gemacht; erst später war von Wiederbeschaffung und Rückgabe die Rede – und irgendwann auch von einer Forderung von mehr als fünf Millionen Euro. Kreuch selbst hatte als Jugendlicher in der DDR die entsprechenden Berichte über den Fall Schlossmuseum verfolgt.
Dass die fünf Altmeistergemälde anschließend 40 Jahre lang nicht wieder auftauchten, obwohl die DDR eine der größten Fahndungen in der Geschichte des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates organisierte, führte zu abenteuerlichen Theorien. Natürlich war sofort von einem unbekannten Sammler aus dem Ausland die Rede, der den Diebstahl in Auftrag gegeben und mit den staatlichen Behörden gegen Devisen Arrangements für den diskreten Export der Bilder getroffen haben sollte. Die Stahllegierung, aus der die von den Tätern getragenen, aus zwei Streifen zusammengeschweißten Steigeisen hergestellt worden waren, stammte Untersuchungen zufolge nicht aus der DDR.
Die Stasi eröffnete einen Operativen Vorgang mit dem Decknamen "Alte Meister". Ein als Fluchtwagen vermuteter "Sachsenring P70" brachte, wie weitere 6.700 kontrollierte Fahrzeuge, keine weiteren Erkenntnisse. Eine verdächtigte Artistenfamilie erwies sich als unschuldig. In den Akten finden sich sogar Fotos, die dokumentieren, wie Ermittler die Kletteraktion nachzustellen versuchten. Natürlich befragte die aus Kriminalpolizei und Staatssicherheit zusammengesetzte Sonderkommission monatelang neben rund 1.000 anderen Personen auch die sechs Familienmitglieder, die schon 1978 mehrfach ins Schlossmuseum eingestiegen waren (siehe Kasten). Sie öffnete deren Briefe, hörte Telefone ab, platzierte "Inoffizielle Mitarbeiter" im Umfeld der erneut Verdächtigen. Obwohl die bei den Vernehmungen der Sechs angegebenen Alibis den Akten zufolge mehr als dünn waren oder nur auf gegenseitiger Bestätigung beruhten, gelang es den DDR-Ermittlern aber nicht, ihnen auch diese Tat nachzuweisen. Sie wurden deshalb auch nicht weiter belangt.
Kein klares Motiv
Eine andere Theorie lautete nach dem Diebstahl, die Stasi sei selbst ins Museum eingestiegen, um die Bilder gegen dringend benötigte Devisen ins Ausland zu verkaufen. Vom nahegelegenen Schlachthof war die Rede, in dem die gestohlenen Gemälde 1979 in einen Lastwagen geladen und, als Lebensmittel getarnt, nach Westdeutschland gebracht worden seien. Dass mehrere bundesdeutsche Fleischunternehmer zu dieser Zeit bereits regelmäßig Geschäfte mit der DDR machten , spielte bei dieser Theorie lange eine Rolle. Für die Behauptung, in der Nacht des Bilderdiebstahls sei angeblich ebenfalls eine versiegelte Fleischlieferung nach Bayern auf den Weg gebracht worden, fand sich allerdings bislang kein belastbarer Beleg.
Tatsächlich hielt sich aber einige Tage nach dem Einbruch mindestens ein prominenter Mitarbeiter der zum Außenhandelsimperium des Stasi-Obersts und DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski gehörenden staatlichen "Kunst- und Antiquitäten GmbH" in Gotha auf. Lothar Büchner, damals Major im Kommissariat II der Kriminalpolizei im Volkspolizeikreisamt Gotha, schloss die Stasi-Variante 30 Jahre später gegenüber der Zeitung "Thüringer Allgemeine" aber aus – auch, weil die gestohlenen Bilder offenbar aus größerer Höhe hinabgeworfen wurden: "Dieses Risiko wäre die Stasi bestimmt nicht eingegangen".
Tatsächlich hielt sich aber einige Tage nach dem Einbruch mindestens ein prominenter Mitarbeiter der zum Außenhandelsimperium des Stasi-Obersts und DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski gehörenden staatlichen "Kunst- und Antiquitäten GmbH" in Gotha auf. Lothar Büchner, damals Major im Kommissariat II der Kriminalpolizei im Volkspolizeikreisamt Gotha, schloss die Stasi-Variante 30 Jahre später gegenüber der Zeitung "Thüringer Allgemeine" aber aus – auch, weil die gestohlenen Bilder offenbar aus größerer Höhe hinabgeworfen wurden: "Dieses Risiko wäre die Stasi bestimmt nicht eingegangen".
Für keine der verschiedenen Tat-Theorien gibt es bislang auch nach dem Wiederauftauchen der Gemälde irgendeinen Beleg. Dafür steht nun aber fest, dass die fünf Altmeistergemälde aus Gotha tatsächlich noch vor 1989 in den Westen gebracht worden sein müssen. Auf welchen Wegen und zu welchem Zweck, ließ sich noch nicht rekonstruieren.
Offene Fragen
Oberbürgermeister Kreuch reagierte nach den ersten Anrufen klug: Der Politiker signalisierte Kaufbereitschaft und nahm Kontakt zur Ernst von Siemens Kunststiftung als potentieller Sponsorin auf, mit der die Stadt bereits zuvor einige Male zusammengearbeitet hatte. Es gelang ihm, den Anwalt davon zu überzeugen, dass alle fünf Bilder zunächst in Berlin naturwissenschaftlich untersucht werden müssten, um ihre Echtheit zu bestätigen. Bei einem Termin Ende September im Rathgen-Forschungslabor der Berliner Museen in Charlottenburg, an dem auch ein verdeckter Ermittler des Berliner Landeskriminalamtes teilnahm, wurde ein Vertrag unterzeichnet. Unmittelbar danach telefonierte der Anwalt, und wenige Minuten später fuhr ein Lieferwagen vor, in dem sich die Bilder aus Gotha befanden: zum Teil, wohl durch den Abtransport über die Regenrinne am Schlossmuseum, ramponiert – und alle fünf so restauriert, dass ihre Oberfläche merkwürdig gleich aussah. Sie wurden unmittelbar vor Ort für kurze Zeit beschlagnahmt und dann zur Prüfung in die Obhut der Berliner Museen übergeben.
Verschiedene Fragen sind noch offen: Wer hat die Bilder gestohlen? Was war das eigentliche Motiv hinter Einbruch und Diebstahl? Spielten die Gemälde tatsächlich bei einem deutsch-deutschen Gefangenen-Austausch eine Rolle? Wer half dabei, die Werke noch zu DDR-Zeiten aus dem Land herauszubringen? Juristisch dagegen ist im Fall Gotha vieles längst verjährt. Strafrechtlich können wegen des damaligen Einbruchs keine Vorwürfe mehr erhoben werden, erklärt die Berliner Rechtsanwältin Friederike von Brühl, die in dieser Sache die Stiftung Schloss Friedenstein vertritt.
Die deutsche Familie, die die Bilder angeblich seit über dreißig Jahren zu besitzen behauptet, könne sich aber nicht auf "gutgläubige Ersitzung" berufen - dafür waren der Diebstahl der Werke und ihr legitimer Besitzer, das Schlossmuseum Gotha, zu bekannt: "Die Stiftung Schloss Friedenstein hat durch den Diebstahl von 1979 nie ihr Eigentum verloren, gleichgültig wie dieser Diebstahl genannt oder erklärt wird. Durch die Übergabe der Bilder befinden sich jene aber, falls es sich um die Originale - die 1979 gestohlenen Bilder - handelt, wieder in Besitz und Eigentum der rechtmäßigen Eigentümer". Durchsuchungen Ende dieser Woche sollten weiteren Aufschluss über die Hintergründe des wohl rätselhaftesten Kunstdiebstahls in der DDR bringen, der sich schließlich 40 Jahre später als deutsch-deutscher Fall herausstellt.
So lief der Einbruch ab