Archiv


Schmalspurstudium oder Exellenzausbildung

Die deutschen Hochschule haben in den letzten Jahren einen historischen Strukturwandel vollzogen. Die Bolognareform hat die Ausrichtung der Studiengänge verändert - und nicht selten auf reine Wissensvermittlung reduziert: Eigeninitiative und kritisches Betrachten bleiben auf der Strecke. Über die neuen Studiengänge berieten Bildungsexperten auf einer Fachtagung der Hamburger Körber-Stiftung.

Von Ursula Storost |
    Probieren geht über Studieren, sagt der Volksmund. Und er meint damit, dass praktisches Tun besser sei als das rein theoretische Aneignen der Dinge. In der Vergangenheit gaben auch die Universitäten dieser Volksweisheit Recht: Ein wissenschaftliches Studium, so hieß es, solle nicht nur nacktes Faktenwissen vermitteln. Ein Studium müsse dazu befähigen, Fragen zu stellen, Wissenslücken herauszufinden, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.

    "Also selbständiges Lernen, selbständiges Arbeiten, Ausdauer in schwierigen Situationen, Aushalten von Konflikten, Teamarbeit mit anderen, selbstkritische Prüfung von Ergebnissen praktizieren müssen und dadurch auch erwerben können."

    Forschendes Lernen nennt Ludwig Huber diese Fähigkeiten. Er ist Erziehungswissenschaftler der Universität Bielefeld. Seit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge sei diese Art universitären Lernens gänzlich abhanden gekommen, bemängelt er.

    "Dass die Studiengänge mit Stoffplänen überfrachtet und mit einem ganz dichten Netz von begleitförmigen, wissenabfragenden Prüfungen überzogen sind. Und in diesem engen Netz ist dann der Freiraum, den man braucht, um forschendes Lernen zu entwickeln und durchzuführen oft nicht mehr gegeben."

    Zeit, um die Studierenden ihre eigenen Fragen und Vorstellungen entwickeln zu lassen, nähme sich es an den Hochschulen heute keiner mehr, sagt Ludwig Huber. In Zeiten von Massenvorlesungen, haufenweiser Pflichtseminare und Benotungszwängen sei die Zeit de facto knapp, bemängelt er. Und:

    "Man trifft eben sehr viele Hochschullehrer noch heute, die das Gefühl haben, ihrer Wissenschaft wäre gut gedient, wenn sie es vom Katheder her ordentlich und mit Power Point vorgetragen haben. Die sich aber mitnichten klarmachen, dass nicht alles, was sie sagen, in den Köpfen der Studierenden auch landet. Sondern umgekehrt muss man ja feststellen, nachhaltig bleibt den Studierenden in den Köpfen und in ihren Kompetenzen nur, was sie sich selber auch aktiv angeeignet haben."

    Umso verblüffender ist Hubers Kritik als die Diskussion darüber, dass jungen Menschen in Bildungsinstitutionen vor allem Handlungskompetenzen und Kritikfähigkeit vermittelt werden sollten, inzwischen fast vierzig Jahre alt ist. An vielen Schulen ist sie längst angekommen.

    "Die Didaktik in den Schulen ist ja viel, viel weiter entwickelt als die Didaktik an den Hochschulen. Und die Studierenden, die Lehrerinnen und Lehrer werden wollen, beklagen sich zu Recht, dass die Methoden, die sie selber mit Schülerinnen und Schülern später sollen anwenden können von ihren eigenen Hochschullehrern selbst in der Didaktik und Erziehungswissenschaft nicht praktiziert werden."

    Etwas wohlwollender sieht Wilfried Müller auf die Misere an den deutschen Hochschulen. Er ist Rektor der Universität Bremen und Vizepräsident der deutschen Rektorenkonferenz. Der aktuelle Stand der Lehr- und Lernforschung wird an vielen Universitäten nicht zur Kenntnis genommen, sagt er.

    " Wir haben Betreuungsrelationen in Deutschland, die schlecht sind, gerade in den Massenfächern. Denken Sie an die Riesen-Vorlesungen, die da betreut werden müssen. Und interessanterweise auch deutlich schlechtere als vor 35 Jahren."

    Anders als in vielen anderen, vor allem angelsächsischen Ländern, bemühen sich deutsche Professoren nicht darum, das Lernziel "eigenständigeres Lernen" in ihr didaktisches Konzept aufzunehmen, kritisiert Wilfried Müller. Aber damit kommen sie auch vielen Studierenden entgegen.

    "Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Wunsch der Studierenden nach Reglementierung, nach Regulierung so groß ist wie noch nie. Es gibt einen Wunsch nach Regulierung. So dass eigentlich die Hochschulreformer, ich will nicht sagen, eine doppelte Front haben aber eine schwierige Aufgabe haben. Man muss auch die Studierenden herausbringen aus dieser Zufriedenheit einen Inhalt einfach entgegenzunehmen."

    Allen Studierenden von Anfang an eigenständiges Lernen zuzumuten, sei der falsche Weg, behauptet der Rektor der Uni Bremen. Und er verweist auf die alten Magisterstudiengänge.

    "Das waren noch Programme, in denen die Studierenden ein hohes Maß an Selbstbestimmung hatten und die Konsequenz war: enorme Abbruchraten. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen hätten diese Programme alle dicht gemacht werden müssen."

    Zufrieden ist Wilfried Müller mit der derzeitigen Situation an den Universitäten aber auch nicht. Er weiß auch, dass die Unternehmen nach kreativem, selbständig denkendem Nachwuchs verlangen, der nicht nur Fachwissen wiederkäut.

    "Wir werden, glaub ich, über Experimente, über trail and error, von Fach zu Fach unterschiedlich die richtige Mischung aus inhaltlichen Vorgaben, Verschulung und eigenständigen Lernphasen ausprobieren müssen. Und in meinen Augen machen das jetzt schon eine ganze Reihe von Universitäten gut. Aber es ist an einigen auch schief gegangen."

    Und dabei schielt der Rektor dann auf die Ideen von Wilhelm von Humboldt, der 1810 das Studienziel als Befähigung zur Weiterentwicklung des Wissens definierte.

    "Wir müssen differenzieren zwischen der Promotionsphase und der Masterphase und der Phase der Bachelor-Ausbildung. Ich finde, Studierende müssen in der Lage sein ein eigenständiges Urteil zu haben, zu wissen, welche Methoden sie einsetzen und warum und welche auch nicht. Sie müssen an exemplarischen Gegenständen in der Lage sein zu bewerten, was sie da tun. So dass ich sagen würde, Studienziel Persönlichkeit ist erreicht, wenn man heute als Akademiker ein eigenständiges Urteil hat."

    Aber Herr Professor Müller, möchte man fragen, sollte das nicht eigentlich selbstverständlich sein?