"Deine Heimat" steht an der Bahnhofsreste, also der Dorfkneipe, die vor den Zuschauern im kleinen Spielraum Diskothek unterm Dach des Theaters aufgebaut ist. Dort umkreist Adi die Zuschauer und erklärt sich:
"Ich bin die Butter! Die Sommerbutter, die die Almkuh in ihrer Fleischlichkeit, und ihre Fleischlichkeit dient einzig und allein dazu, die Butter, die ich bin, zu erzeugen. In ihrer Fleischlichkeit hat sie, die Almkuh, schon alles gespeichert, was die Butter ausmacht."
Adi arbeitet in der Molkerei, die dem Bergdorf Arbeit gibt. Die Butter ist für ihn Trägheit, doch er hat Sehnsüchte nach Bewegung, nach Entwicklung, für sich, für andere. Aber er steckt fest in der Butter. Nicht nur in ihrer Produktion, sondern auch in ihrem gesellschaftsmetaphorischen Gehalt, der der Butter vom Autor Ferdinand Schmalz zugewiesen wird.
Schmalz, 1985 in Graz geboren, zeigt sich als belesen. Seine Figuren äußern sich in einer manierierten Kunstsprache, die wie eine Melange aus Schwab, Kroetz und Jelinek wirkt. Zugleich erklären sie sich gern in gesellschaftsanalytischen Monologen, aus denen der gebildete Zuschauer nicht nur Walter Benjamin, Jacques Derrida und Carl Schmitt heraus hören kann.
Schmalz´ Parabel ist eines dieser Volksstücke über das dumpfe Landleben, wie sie schon Sperr, Kroetz und Schwab geschrieben haben und dessen Aussage Juliane Kann mit dem Titel ihres Stücks "Blutiges Heimat" auf den Begriff gebracht hat. Doch Schmalz überformt das Genre Volksstück mit viel Theorie und analytischer Bedeutung. Das gibt seinem Text zugleich Anspielungsreichtum wie Redundanz. In der ersten Szene nimmt der Dorfpolizist Hans in der Bahnhofsreste als Frühstück nur Klaren zu sich. Derweil schaut die Stielaugenjenny genannte Wirtin aufmerksam mit einem Fernglas nach draußen. Irgendwann setzt sie sich ein silbernes Krönchen auf und fantasiert sich mit Lady Di durch ihre längst toten Träume.
Kreative Lösung für ein schwieriges Stück
Wenn Adi hinzukommt, der seine Mitarbeiter-Ration an Passanten verfüttert und damit die Regeln verletzt, ist man sicher: Diese Idylle wird tödlich sein. Denn nicht nur im Polizisten brodelt das unkontrollierbare Böse:
Jenny: "Du hast aber doch die Gewalt auf deiner Seite, Hans."
Hans: "Aber der Staat, den ich in meiner Person verkörpere, darf nicht mehr, wie er will."
Jenny: "Da hat man eine Gewalt und darf sie nicht vollstrecken, eine Schande das."
Hans: "Dass ich die Gewalt nicht mehr als Staat ausleben darf, das zwingt mich in den Hobbykeller."
Jenny: "Sag bloß."
Adi dagegen fühlt sich als "butter-ich" im Strom der Masse zusammengepresst und kontrolliert. Er träumt von einer anderen Lebensmöglichkeit, möchte die Faust ballen und sammelt heimlich Butter für eine große Skulptur. Wenn die junge Karina als neue Mitarbeiterin kommt, finden sich zwei, die wie Hänsel und Gretel vergeblich etwas Eigenes suchen. Denn der Molkerei-Manager zeigt Adi bei einem Werbespot, wie eine Wirklichkeit hergestellt werden soll:
Huber: "Authentizität, adi, Authentizität. Deshalb sie, Adi, Authentizität."
Adi: "Aber wie soll ich von hinter dieser Kamera von meinem Sosein erzählen?"
Huber: "Die Führung ihrer Hand, Adi, teilt der Kamera etwas mit, was den Zuseher vor den Endgeräten eine Unmittelbarkeit mitteilt. Deswegen sie. Adi, Authentizität."
Viel schauspielerische Körperlichkeit hat Ferdinand Schmalz den Figuren in seinem Sprachstück nicht eingeschrieben. Es kreist mit seinem Theoriegeschwurbel manchmal schier in sich. Doch Regisseurin Cilli Drexel und ihre famosen Typen-Darsteller kämpfen so tapfer wie phantasievoll mit Witz und spielerischer Leichtigkeit gegen das Monologisch-philosophische des Textes an. Oft lassen sie sogar vergessen, wie redundant die Butter-Metaphorik eingesetzt wird.
Natürlich werden Adi und Karina ausgestoßen. Vergiftet beide, Karina zu Tode vergewaltigt im Keller vom Polizisten. Sie erleben sowohl Alb- als auch Hoffnungsträume. Bei denen Adi die Wirtin und den Manager böse bis tödlich zurichtet, um sich dann, ebenfalls im Traum, mit der toten Karina auf dem Dach der Bahnhofsreste über der zugedeckten Szenerie zusammen zu finden. Beim folgenden offenen Schluss aber heißt es lapidar "ein böser Traum".
"Am Beispiel der Butter" hat dem Genre des Dorfstückes sicher nichts Neues hinzugefügt. Aber immerhin besitzt es eine originelle und kluge Konstruktion, die das Uraufführungsteam zu nutzen wusste.