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Soziale Medien
Mysteriöse "Schmutzkampagne" sorgt für Aufregung im NRW-Landtagswahlkampf

Angeblich soll die unionsnahe Agentur "The Republic" dazu aufgerufen haben, während einer WDR-Livesendung zur Landtagswahl in NRW auf Twitter Stimmung gegen die SPD zu machen. Ein Beispiel für die Macht der Sozialen Medien, sagt Jochen Trum, Programmchef Politik beim WDR.

Text: Nina Magoley | Jochen Trum im Gespräch mit Antje Allroggen |
Hendrik Wüst (r, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD, und Mona Neubaur, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, stehen vor Beginn der WDR-"Wahlarena
"Wahlarena" mit den Spitzenkandidaten zur Landtagswahl (picture alliance/dpa)
Zum ersten Mal vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai trafen am Dienstagabend (03.05.2022) Spitzenkandidaten und -kandidatin in einer Fernsehsendung aufeinander: In der WDR "Wahlarena" standen sich unter anderem Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) gegenüber.
Mit leichter Anspannung werden beide Lager während der Sendung ein Auge auf Twitter gehabt haben: Zuvor war ein Papier aufgetaucht, in dem dazu aufgefordert wurde, ab Sendungsbeginn möglichst viele positive Tweets zum CDU-Kandidaten abzusetzen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte das Papier am Montag auf Twitter veröffentlicht.

"Tweets im Minutentakt absetzen"

Darin ist die Aufforderung zu lesen, es sollten "ab 20.15 Uhr bitte alle Tweets im Minutentakt absetzen". Ziel sei, den Hashtag #LTWNRW2022 "mit unseren Meinungen" zu füllen. Es folgen Vorschläge für den Wortlaut der Posts: "Hendrik #Wüst wirkt sehr selbstbewusst und souverän. #ltwnrw2022 #Kutschaty" etwa, oder "Herr #Kutschaty von der SPD wirkt auf mich sehr unsympathisch. #ltwnrw2022 #Wüst".
Wer nicht von seinem Privataccount aus twittern wolle, könne sich einen neuen Account erstellen, "auf dem ihr anonym twittern/spamen/durchliken könnt", raten die Absender. Überschrieben ist das Ganze mit "KMK Twitter-Aktion", den Hintergrund des Papiers ziert ein stilisierter Adlerkopf.
Bis jetzt fehlt der Beweis, dass dieses Papier wirklich echt ist. Doch Kühnert verortet den Urheber der Aktion bei der konservativen Kampagnen-Agentur "The Republic".

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"Ganz offen" werde durch The Republic zum taktischen Anlegen von Fakeaccounts und zum Verbreiten von politischem Spam aufgerufen, um den SPD-Kandidaten "zu beschädigen", schrieb Kühnert.
Hinter diesem erst Ende 2021 entstandenen Online-Medium steht der frühere Social-Media Beauftragte der CSU, Armin Petschner-Multari. Aufgemacht wie eine Boulevardzeitung und im Tonfall meist reißerisch, macht The Republic gegen Themen wie "Gender-Wahnsinn", die "Generation Klimarettung" oder die SPD mobil. Man wolle "dem bürgerlichen Lager aus der Defensive" helfen, den "politischen Linksdrift" in Deutschland stoppen, heißt es.
Das Logo von The Republic ist der stilisierte Adler, der auch auf dem Aufruf zum Twittern während der Wahlsendung prangt. Doch Geschäftsführer Petschner-Multari behauptete auf Anfrage, nichts damit zu tun zu haben. Das schreibt zumindest die "Rheinische Post". Vielmehr stamme die Aktion von der Gruppe "Konservatives Meme Kommando", kurz KMK, die sich aus Mitgliedern der Jungen Union (JU) zusammensetze. Die Junge Union aber distanzierte sich nach Angaben des WDR ebenfalls von der Aktion.
Auf Instagram hatte KMK bis zur Bundestagswahl im vergangenen Herbst Memes - karikaturartige Darstellungen - zu Politikern oder Parteien gepostet. Auf Twitter veröffentlichte die Gruppe beispielsweise zu den Landtagswahlen 2021 in Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg tageweise flutartig Posts, die den Hashtag "CDUwählen" oder "CDUstärksteKraft" enthielten - ebenfalls zeitlich passend zu Fernsehdebatten, die damals liefen.
Äußerungen auf Twitter lassen vermuten, dass hinter The Republic frühere Aktivisten von KMK stecken.

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In NRW wird die von der SPD als "Schmutzkampagne" bezeichnete Aktion indessen zum Politikum. Für die SPD ist die Sache klar: Der konservative Wahlkampf habe "einen absoluten Tiefpunkt" erreicht, sagte Nadja Lüders, Generalsekretärin der NRW SPD. Die Dimension der gezielten medialen Beeinflussung "systematisch weit unterhalb der Gürtellinie" sei für einen bundesdeutschen Wahlkampf neu. Lüders sprach von "ungarische Methoden".

Unterstützung von Bosbach und Merz

Die Gründung von The Republic sei nachweislich vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz unterstützt worden, erklärte sie. Auch Wolfgang Bosbach zähle zu den Unterstützern. Tatsächlich betreibt Bosbachs Tochter Caroline eine Kolumne auf der Homepage. Von Hendrik Wüst wolle die SPD nun wissen, so Lüders, ob bei der Planung der Aktion "auch Mitglieder des 'Team Wüst'" beteiligt waren.
Für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie den WDR stellt sich die Frage nach dem richtigen Umgang mit solchen Vorgängen in den Sozialen Medien - und mit deren Macht.

"Der WDR konnte nicht schweigen"

Man habe schon mittags von dem Papier gewusst, berichtet Jochen Trum, Leiter der Programmgruppe Politik beim WDR. "Uns war klar, dass dieses Papier bald das Licht der Öffentlichkeit in den Sozialen Medien erblicken würde." Dann könne auch der WDR als Medium nicht mehr schweigen.
Auf Twitter kündigte der WDR also an, dass "im Netz" Hinweise darauf kursierten, dass Anhänger einer konservativen Online-Plattform dazu aufriefen, "die Wahlarena im WDR Fernsehen heute Abend mit Kommentaren hier bei Twitter zugunsten von Hendrik Wüst (CDU) zu begleiten". Angehängt alle bis dato bekannten Fakten.

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Schwierig bleibe aber der schmale Grat zwischen der Entscheidung, "aus einer Mücke eine Elefanten zu machen" oder das Thema "unter den Teppich zu kehren" - immer mit der zu erwartenden öffentlichen Reaktion darauf, sagt Trum.
Denn klar sei auch: Twitter ist in Wahlkampfzeiten eine Plattform, "auf der viele relevante Meinungsäußerungen nachzulesen sind, auch Fakten", so Trum. "Auf der anderen Seite ist Twitter ein Vehikel zur gezielten politischen Propaganda und Agitation, wo man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt." Hier richtig abzustufen, sei "eine Herausforderung".
Ob es daran lag, dass die Aktion vorab bekannt geworden war - oder ob die angesprochene Community einfach nicht mitgemacht hat: Am Abend der Sendung jedenfalls blieb es auf Twitter dann doch weitgehend ruhig. Zu klären bleibt die nicht unerhebliche Frage, was es mit der Aktion auf sich hatte.