Archiv


Schneeballschlacht mit festen Regeln

Yukigassen heißt übersetzt "Schneekampf". Es ist ein Mannschaftsspiel, das sich von Japan aus nach Finnland, Norwegen, Kanada und auch nach Nordschweden ausgebreitet hat. Zum Beispiel an die Universität von Luleå. Schiedsrichter ist dort der slowakische Austauschstudent Adam Danisovec.

Von Simonetta Dibbern | 23.02.2013
    Vom Aurorum Science Park ist es nur ein Katzensprung zur Technischen Universität von Luleå. Zu Fuß zehn Minuten. Nach den imposanten Hightech-Gebäuden eben wirkt der Campus geradezu ländlich: mehrere zweistöckige Gebäude in rotem Backstein, auch auf den Wegen zwischen den Häusern liegt Schnee, festgetreten und mit kleinen Kieseln bedeckt, sodass es sich gut darauf gehen lässt.

    Auf der großen Wegkreuzung brennt ein Holzfeuer, über dem Haupteingang flattert ein Banner, darauf in großen Lettern: Välkommen. Gerade hat das neue Semester begonnen – und damit sind viele neue Studenten angekommen. Studenten aus Schweden. Aus Europa. Aber auch aus anderen Teilen der Welt.

    An dem kleinen Platz neben Haus B steht eine Gruppe von Austauschstudenten aus Singapur: bunte Anoraks, Kichern, aufgeregte Spannung. Heute ist ihr zweiter Tag in Luleå – und zum Kennenlernen und Warmwerden bekommen sie eine kleine Einführung in Yukigassen. Das ist eine Art Schneeballschlacht mit festen Regeln, seit drei Jahren gibt es ein Yukigassen-Team an der Uni von Luleå.

    Aus der Gruppe der aufgeregten Studenten aus Asien ragt einer, rein körperlich, heraus: Adam ist heute der Spielleiter und Schiedsrichter. 1,90 Meter groß, Mitte 20, Vollbart, Wollmütze, braune Augen. Er verteilt erstmal die Helme: blau und rot, für die beiden Teams. Und erklärt die Spielregeln.

    Yukigassen. Das Wort ist nicht schwedisch, sondern japanisch. Wie das gleichnamige Spiel: Yuki, Schnee und Gassen: Kampf. Eine Art Schneeballkrieg. Ein Mannschaftsspiel, das sich von Japan aus auf der Nordhalbkugel ausbreitet hat: nach Finnland, Norwegen, Kanada, und, eben: nach Nordschweden.

    Während die beiden Teams ihre Strategien besprechen, holt Adam sich den Helm, den er als Schiedsrichter gleich brauchen wird: in grün. Gelassen und amüsiert beobachtet er die kichernden Studienanfänger. Adam Danisovec. Vor drei Jahren ist er als Austauschstudent nach Luleå gekommen, um sein Wirtschaftsstudium abzuschließen. International Business.

    "Ich mag es, wenn es kalt ist. Jetzt habe ich keine Veranstaltungen mehr, ich muss nur noch meine Masterarbeit schreiben, über Vattenfall. Anders als in Deutschland ist der Energiekonzern hier in Schweden ein sehr umweltfreundlicher Konzern.

    Ich will ein Konzept erarbeiten, wie – nach Facebook – noch andere IT-Unternehmen angelockt werden können. Demnächst wird es wieder ein Treffen in Silicon Valley geben."

    Und Adam, so wirkt es, wäre am liebsten dabei. Natürlich ist er Facebook-Mitglied, ohne das soziale Netzwerk, sagt er, läuft an der Uni nämlich nichts. Kommuniziert wird auf Englisch, genau wie hier auf dem Spielfeld. Und wie in den Masterstudiengängen. Adam spricht aber auch schwedisch. Chinesisch lernt er gerade. Und Deutsch hatte er in der Schule. In Bratislava.

    "Ich komme aus der Slowakei. Mochte in Schweden studieren. Ich mochte eine neue Sprache lernen, das war schwedisch. Und dann bin ich hierhergekommen. Vielleicht war es exotisch."

    Und er ist geblieben. Und so wie Adam geht es vielen Studenten: Ob wegen der Sprache, wegen des Klimas oder wegen des attraktiven akademischen Angebots: die LTU wächst beständig. Allein in den letzten zwei Jahren um 18 Prozent. In diesem Semester sind 17.000 Studenten hier eingeschrieben.

    Luleå Tekniska Universitet. Ihr Logo: ein großes L, ganz aus Eis. Und auch mit ihrem Motto setzt sie auf Kälte: Great Ideas Grow better below Zero. Die fachliche Bandbreite der nördlichsten technischen Hochschule ist groß: Neben technischen Studiengängen wie Maschinenbau, Ingenieurs- und Naturwissenschaften, Raumfahrttechnik und Architektur werden auch Wirtschaftsstudiengänge angeboten.

    Literatur, Musik und Tanz, Pädagogik. Medizin nicht, dafür aber Krankengymnastik – was zur Zeit übrigens das beliebteste Fach ist. Für schwedische Studenten ist das Studium kostenlos, ausländische Studierende müssen bezahlen. Ihr Anteil wächst dennoch beständig, sie kommen von überall her, hauptsächlich aus Europa.

    Unter den zehn Punkten, mit denen die LTU auf ihrer Webseite für sich wirbt, sind auf Platz 1: die Nähe zur Innenstadt. Und auf Platz 2: der Gemeinschaftssinn unter Studierenden und Lehrenden. Außerdem: die Zusammenarbeit mit örtlichen Unternehmen, das wissenschaftliche Niveau. Und: der echte Winter. Exotisch, hatte Adam gesagt.

    Ein Schneeräumer fährt über den Campus und verstreut kleine Steinchen auf dem Weg. Die Studenten aus Singapur lassen sich davon nicht stören, sie haben sich warmgelaufen, von Krieg keine Spur, es ist eher eine lustige Schneeballschlacht. Prustend verstecken sie sich hinter den Hürden aus Schnee. Drei Minuten dauert eine Halbzeit, dann wird abgepfiffen.

    Bei den richtigen Teams geht es ernsthafter zu, sagt Adam. Anfang März wird hier in Luleå die schwedische Yukigassen-Meisterschaft ausgetragen. Auch der Schiedsrichter ist natürlich bei jedem Training dabei.

    "Im Winter trainieren wir jede Woche."

    Doch seine Karriere wird er dabei keineswegs vernachlässigen. Schließlich will Adam in Luleå bleiben. Und die Karriereaussichten stehen für den jungen Wirtschaftswissenschaftler zur Zeit ziemlich gut.

    "Viele Unternehmen werden investieren, dass heißt die Stadt wächst. Und wenn etwas wächst, ist es immer gut."