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Schneider: Wir haben in der gesamten Eurozone eine schwierige Situation

Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider hat die Sorge geäußert, dass das Erfolgsmodell der EU an wirtschaftlichen Fragen zerbrechen könnte. Deshalb stimmten die Sozialdemokraten den Hilfen für Irland zu. Klug wäre es auch gewesen, wenn Portugal bereits den finanziellen Rettungsschirm der EU in Anspruch genommen hätte.

Carsten Schneider im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Im Deutschen Bundestag haben gestern Abend alle Fraktionen des Parlaments im Haushaltsausschuss dem Plan ihre Zustimmung erteilt. Der Republik Irland sollen mit Unterstützung Deutschlands insgesamt 85 Milliarden Euro an Krediten angeboten werden, um die Insel aus ihrer Schuldenkrise herauszuholen. Umfragen zufolge ist im Land die Stimmung allerdings ganz anders verteilt als im Bundestag. Viele Deutsche glauben, wir würden hier als Zahlmeister missbraucht. Das Argument der Politik und der Experten dagegen lautet, es geht um den Euro und von dem profitiere doch gerade Export-Europameister Deutschland.
    Mitglied im Haushaltsausschuss ist für die SPD als haushaltspolitischer Sprecher Carsten Schneider, und mit ihm sind wir jetzt in Berlin verbunden. Guten Tag, Herr Schneider.

    Carsten Schneider: Hallo, Herr Meurer.

    Meurer: Wenn Sie als Abgeordneter in Ihrem Wahlkreis in Erfurt die Frage beantworten sollen, warum stimmt ihr für so viel Geld für Irland, was sagen Sie dann?

    Schneider: Ja, weil wir in der gesamten Euro-Zone eine sehr schwierige Situation haben mit den Refinanzierungen der Staaten, der Schuldenfinanzierung, und die Frage steht, ob die Euro-Zone und die Mitgliedsstaaten, also Irland, Griechenland, dauerhaft noch ohne unsere Bürgschaften in der Lage sind, am leben zu bleiben. Wenn das nicht der Fall sein sollte, bedeutet das ein Ausstieg aus der Europäischen Union, und ich habe die Sorge, dass dieses Erfolgsmodell, dieses vor allen Dingen friedliche Erfolgsmodell an dieser wirtschaftlichen Frage zerbrechen könnte mit auch ungeahnten Folgen für unsere Ökonomie, und deswegen stimmen wir den Hilfen, den Krediten für Irland zu.

    Meurer: Also Sie sagen Ihren Wählern, der Euro geht kaputt, wenn wir nicht Irland helfen? - Muss das denn so sein, dass der Euro dann kaputt geht?

    Schneider: Nein, das sage ich nicht. Ich sage, es gäbe in der Konsequenz ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union. Der Euro selbst – das ist eine Mär, die die Bundeskanzlerin verbreitet hat – ist in der Sache nicht in Gefahr, er hat ja auch einen stabilen Wechselkurs zum Dollar, der Dollar ist viel schwächer als der Euro ...

    Meurer: Der Euro ist unter 1.30 gefallen!

    Schneider: Ja, da muss man sich nicht verrückt machen lassen. Der ist im Kern gesund bewertet, im Zweifel sogar noch ein bisschen überbewertet. Ich mache meine grundsätzlichen Entscheidungen nicht davon abhängig, wie gerade der Wechselkurs steht. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass es zu einem Austreten anderer Länder aus der Europäischen Union und damit einer Zerbröselung und Zersetzung dieses Gemeinschaftsmodells, was ökonomisch, auch politisch für uns ungemein wichtig ist, kommen könnte.

    Meurer: Was wäre so schlimm daran, wenn das kleine Irland mit seinen, ich glaube 4 Millionen Einwohnern, nicht mehr mit dem Euro bezahlt?

    Schneider: Das wäre eine Frage, die die Iren sich zunächst mal stellen müssen. Ich sehe aber eine andere Dimension dahinter. Ich glaube, wenn sie diese ökonomische Union, die es vor allen Dingen gibt, nicht auch noch stärker zusammenführen zu einer politischen, die über das bisherige Stadium hinausgeht, kann es sein – und diese Gefahr, glaube ich, ist sehr real -, dass es zu einem Auseinanderbrechen der gesamten Europäischen Union kommt, und das sollte uns Deutschen das nicht wert sein.

    Meurer: Sie haben eben kurz die Kanzlerin kritisiert, weil sie zu sehr die Euro-Gefahr heraufbeschwöre oder so benenne. Auf einer Linie scheinen Sie ja zu liegen, Herr Schneider, mit ihrer Forderung, dass die privaten Banken als Gläubiger haften sollen. Das ist ja eine Forderung, mit der die Kanzlerin die Europäer im Moment nervt, weil die sagen, genau damit sorgt ihr Deutschen im Moment dafür, dass Länder wie Irland, Spanien und so weiter Kreditaufschläge bekommen. Wie kommt man aus diesem Konflikt heraus?

    Schneider: Zum einen glaube ich nicht, dass die Bundeskanzlerin sich dort durchgesetzt hat, im Gegenteil. Wir als SPD fordern, dass in jedem Fall es eine Beteiligung der Gläubiger geben muss. Das was aber jetzt verabredet wurde in der Euro-Finanzministerkonferenz am Wochenende, ist eine politische Entscheidung, ob ein Land, ob die Gläubiger beteiligt werden sollen oder nicht. Das ist ungenügend, unzureichend; die Worte von der Bundeskanzlerin sind da andere als die Taten.

    Was die Verunsicherung – die Spanier haben ja heute auch in die Richtung geschossen – an den Märkten betrifft, so hängt das viel mit der Kommunikation der Bundesregierung zusammen, und die ist einfach stümperhaft. Sie können nicht in Finanzmärkte, die hoch volatil sind, mit nicht klaren Botschaften kommen. Es ging zwei Wochen lang hin und her, ab wann soll denn diese Gläubigerbeteiligung eigentlich gelten, ab sofort, ab 2013, und diese Unsicherheit, dieses schlechte Management, das kreide ich ihr an.

    Meurer: Sie gilt erst ab 2013. Hätten Sie es gerne, dass es sofort gilt?

    Schneider: Da kann man drüber reden, aber ich glaube, wenn man jetzt einmal die Grundsatzentscheidung getroffen hat, sollte man dazu auch stehen. Nur es muss dann auch wirklich ab 2013 gelten. Sie müssen mal ein bisschen in die Feinheiten dessen gehen, was dort verabredet wurde. Da wird unterschieden, ob ein Staat nur Liquiditätsprobleme hat, oder ob er dauerhaft überschuldet ist, ob er die Kredite bekommt, oder ob eben die Gläubiger beteiligt werden. Diese Unterscheidung gibt es de facto nicht.

    Meurer: Sie haben gerade gesagt, darüber kann man reden, dass das auch jetzt schon gilt. Dann würde ein SPD-Bundeskanzler ja in Europa noch nationaler dastehen als die Bundeskanzlerin, oder?

    Schneider: Nein! Sie haben mich falsch verstanden. Man hätte, wenn man das von Beginn an gemacht hätte, das so entscheiden können. Die Signale an die Märkte, also auch an die anderen Partner, sind jetzt aber andere und man muss sich zu Vereinbarungen, wenn man sie einmal getroffen hat, auch verhalten, weil sonst wird die Verunsicherung noch viel größer und die Politik in Europa noch mehr zum Spielball der Märkte. Deswegen: Diese Entscheidung steht jetzt und da muss man auch bei bleiben.

    Mir geht es dann darum, dass die Vereinbarungen, die dann ab 2013 gelten, wirklich sattelfest sind, und das sind sie nicht. Es wird nach den bisherigen Verabredungen auf europäischer Ebene nicht zu einer sofortigen Gläubigerbeteiligung kommen. Im Gegenteil: Es wird jedes Mal politisch entschieden werden, und ich glaube, in dieser politischen Entscheidung werden eben keine Kriterien sein, dass der Steuerzahler nicht herangezogen wird, sondern ob es wieder Verunsicherung gibt und andere Dinge, die dazu führen, dass da niemals Gläubiger wirklich beteiligt werden an den Risiken, die sie letztendlich auch mit höheren Zinsen bezahlt bekommen.

    Meurer: Und werden die Gläubiger jemals beteiligt, die Banken, die deutschen Banken? Es sind ja auch deutsche Banken daran beteiligt, die Kredite vergeben haben.

    Schneider: Unsere Forderung ist das, wir bringen das heute auch im Bundestag in einem Antrag ein. Die Koalition ist da sehr gespalten, sie haben sich zu unserem Antrag gestern nicht verhalten, beziehungsweise sie haben ihn abgelehnt. Das ist ein Fehler, weil der Bundestag hat nur eine Chance, die Regierung aufzufordern und zu binden in ihrem Mandat, darauf verzichten CDU und FDP, und von daher glaube ich, es wird, so wie das jetzt angelegt ist, nie zu einer wirklichen Beteiligung der Gläubiger kommen.

    Meurer: Die Finanzmärkte robben sich im Moment an Spanien und Portugal heran, um sie in den Würgegriff zu nehmen. Wie bedrohlich schätzen Sie die Situation ein?

    Schneider: Man muss auch da erstens sehen: Es ist zurzeit eine vollkommene Überhitzung im Markt zu konstatieren. Das sehen Sie auch an den Kreditausfallversicherungen. Ich glaube, dass es klüger gewesen wäre, wenn Portugal schon am Wochenende gesprungen wäre und gesagt hätte, wir nehmen den Rettungsschirm in Anspruch. Das hätte die Märkte eher beruhigt. Sie werden höchst wahrscheinlich der nächste Fall sein. Und eben dass sich die Politik so drängen lässt und keine klaren Entscheidungen trifft, sondern immer bis zum letzten Moment wartet – so war es in Griechenland, so war es auch jetzt in Irland ...

    Meurer: Aber man hat den Eindruck, es hilft alles nichts. Irland ist unterm Rettungsschirm und es hat nichts verändert an der gesamten Situation.

    Schneider: Ja. Ich habe auch nicht die Einschätzung von Herrn Minister Schäuble geteilt, dass das zur Beruhigung der Märkte führt, weil sie sich das nächste kleine Opfer heraussuchen, und das ist Portugal, und Portugal hat elementare Probleme finanzieller Natur. Die sind anders als in Spanien, Spanien hat eine viel niedrigere Verschuldung als Deutschland zum Beispiel, sie haben Probleme in ihrem Sparkassensektor und eine hohe Arbeitslosigkeit. Aber das ist eine Überzeichnung des Marktes, da bin ich mir ziemlich sicher, und deswegen wäre es klug gewesen, Portugal auch jetzt unter den Rettungsschirm zu nehmen und mit günstigen Refinanzierungen auszustatten.

    Meurer: Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Schneider, danke und auf Wiederhören!

    Schneider: Ja, ich danke Ihnen. Tschüß!