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Schneller als Einstein erlaubt?

Physik.- "Neutrinos schneller als Licht", titelte Spiegel Online am 23. September. "Einstein muss zittern", schrieb die "FAZ" am 6. Oktober. Neutrinos sind derzeit die populärsten Elementarteilchen. Und Physiker suchen weiter händeringend nach Erklärungen für die sensationellen Messergebnisse, die den ganzen Wirbel ausgelöst haben.

Von Ralf Krauter |
    Revolution oder Messfehler? Das ist derzeit die Frage, die Physiker rund um den Globus umtreibt. Der Grund: Seit September sieht es so aus, als könnten flüchtige Elementarteilchen, die unseren Körper jede Sekunde milliardenfach durchdringen, ein universell gültiges Tempolimit überschreiten. Präzisionsmessungen belegen, dass Neutrinos auf dem 730 Kilometer langen Weg vom europäischen Teilchenforschungszentrum CERN in Genf zum Gran Sasso-Labor in Italien mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Erdmantel düsen.

    "Wir schießen Neutrinos hier vom CERN nach Italien. Die werden dort gemessen. Und dort hat man eben festgestellt: Wenn man den Abstand zwischen Erzeugung und Nachweis genau misst, wenn man die Zeitdauer genau misst, dann scheinen sie schneller zu sein als das Licht."

    Und das ist starker Tobak, weiß Professor Rolf-Dieter Heuer, der Generaldirektor des CERN. Laut Albert Einsteins Relativitätstheorie kann nämlich nichts im Universum, schneller als Licht unterwegs sein. Um Messfehler auszuschließen, haben die Forscher des Opera-Experimentes ihren Versuch inzwischen verfeinert und wiederholt. Das Ergebnis des zweiwöchigen Kontrollexperiments, bei dem 20 Neutrinos in die "Radarfalle" gingen, bestätigt die ursprünglichen Resultate. Die Temposünder erreichen das Ziel im Mittel 62 milliardstel Sekunden schneller als Einstein erlaubt.

    "Es scheint methodisch sauber zu sein. Es hat bisher keiner einen Schwachpunkt in der Auswertung gefunden. Wenn es sich bestätigt, wenn es richtig ist, dann kann man anfangen, drüber nachzudenken, was es bedeutet. Also für den Moment würde ich sagen: Einstein kann noch ruhig schlafen."

    Zumindest bis andere Gruppen die Geschwindigkeitsüberschreitung bestätigt haben. In Japan und den USA bereitet man derzeit solche Kontrollexperimente vor. Mit schnellen Ergebnissen rechnet Rolf-Dieter Heuer aber nicht.

    "Das dauert natürlich einige Monate mindestens, weil diese Neutrinos ja flüchtige Teilchen sind und sehr ungern mit Materie wechselwirken. Ich nehme an, dass wir bis Ende nächsten Jahres vermutlich auch an dieser Stelle eine Antwort haben, ob dieses Ergebnis richtig ist. Ob also die Messung richtig ist oder ob sie falsch ist."

    Die Opera-Forscher wissen natürlich, wie brisant ihre Messwerte sind und räumen ein, es könne durchaus noch Fehlerquellen geben, die man bislang übersehen habe. Vergangene Woche bekamen sie sogar aus den eigenen Reihen Gegenwind. Das Icarus-Experiment im Gran Sasso-Labor, hat die Energie der einlaufenden Neutrinos vom CERN gemessen und festgestellt: Sie entspricht exakt jener, mit der die Partikel in Genf auf die Reise gehen. Wären die Neutrinos jedoch tatsächlich streckenweise überlichtschnell unterwegs, müssten sie dabei Energie verlieren. Wenn sie das nicht tun, schreibt der Professor für theoretische Physik Jim Al-Khalili im Scienceblog des Guardian, wäre das so, als würde ein Flugzeug geräuschlos die Schallmauer durchbrechen. Es sollte eigentlich unmöglich sein.

    "Spekulationen bringen einen nicht weiter. Jetzt warten wir mal ab."

    Revolution oder Messfehler? Für Professor Siegfried Bethke gibt es dazwischen durchaus noch Spielraum. Selbst wenn auch andere Experimente rasende Neutrinos aufspüren sollten: Albert Einsteins Theorie von Raum und Zeit wäre damit noch nicht zwangsläufig am Ende, sagt der Direktor vom Max-Planck-Institut für Physik in Garching.

    "Einstein muss sich wohl nicht im Grab rumdrehen. Es ist auch wenn, nur eine sehr kleine Erhöhung über die Lichtgeschwindigkeit hinaus, die vermutlich im Bereich der Quantennatur der Neutrinos als Interferenzeffekt beschrieben werden könnte."

    Als Effekte also, die durch die Wellennatur der Elementarteilchen zu erklären wären. Aus der Optik ist bekannt, dass die Überlagerung von Wellen dazu führen kann, dass sich Teile eines Lichtpulses schneller als Licht fortbewegen, niemals aber ein komplettes Wellenpaket. Möglicherweise gilt dasselbe auch für Neutrinos.

    "Das heißt nicht, dass ich mit Neutrinos Signale verteilen kann, die schneller als das Licht sind. Das heißt aber, und das kennen wir aus der Optik, es gibt Möglichkeiten durch Interferenz solche Effekte zu erzeugen. Und vermutlich passiert das auf dem Weg vom CERN durch den Erdmantel bis zum Gran Sasso Tunnel. Diese Möglichkeiten werden jetzt theoretisch und experimentell untersucht. Ich sag' mal so ganz lapidar: In Italien kümmert sich sowieso niemand um Geschwindigkeitsbegrenzungen. Warum sollen das Neutrinos tun?"

    Fazit: Es bleibt weiter spannend und noch wankt Einsteins Theorie nicht wirklich.