Sie nennen ihn zu Hause in Gambia "long man" - den großen Mann. Momodou Sye kommt im stolzen, aufrechten Gang zum Interview. Mit seinen 1,90 Meter ist er nur fünf Zentimeter kleiner als Weltrekordler und Olympiasieger Usain Bolt. "Als ich mit Leichtathletik angefangen habe, war Usain Bolt mein Idol. Auch wenn man kein Athlet ist, weiß man, dass Usain Bolt der schnellste Mann ist. Einige Menschen nennen mich Bolt - aufgrund meiner Größe und Schnelligkeit."
Er strahlt über das ganze Gesicht und erzählt selbstbewusst von seinem großen Traum. "Dass ich mich für die kommenden Sommerspiele in Tokio qualifiziere und einer der besten Sprinter werde. Und dass ich es ins Olympiafinale schaffe - zum ersten Mal in der Geschichte von Gambia. Ich möchte Grenzen und Rekorde brechen in Gambia."
0,72 Sekunden für den großen Traum
Syes Talent hat ein Lehrer bei einem Schulwettkampf entdeckt. Da war er 16. Fünf Jahre später ist er der schnellste Mann in ganz Gambia. Zur Olympianorm des Leichtathletik-Weltverbandes fehlen dem 21-Jährigen noch 0,72 Sekunden.
Seine Bestzeiten läuft Momodou Sye in alten Schuhen - auf alten Bahnen - ohne ausgebildeten Trainer und Physiotherapie. So wie die meisten Menschen in Gambia, stammt auch er aus armen Verhältnissen. Wächst auf mit vier Geschwistern bei seiner alleinerziehenden Mutter.
"Meine Mutter strengt sich sehr an. Sie steht um 6 Uhr morgen auf, um das Essen vorzubereiten, das sie dann in Schulen verkauft. Das eingenommene Geld teilt sie dann mit der Familie. Und wenn es kein Essen gibt, bedeutet das, dass es zu Hause nichts zu essen gibt."
Für das Training und seinem großen Traum von den Olympischen Spielen ist Momodou Sye extra von zu Hause weggezogen in die Stadt. Im Stadion von Bakau kann er zwar die Laufbahn nutzen, aber ein professionelles Sportumfeld ist das noch nicht.
"Ich trainiere jeden Tag. Und jeden Tag esse ich Reis, was nicht gut ist für meine Gesundheit. Manchmal kaufe ich Brot und Bohnen, was ich dann zum Frühstück esse. Und am Nachmittag esse ich Reis. Aber ich müsste eigentlich auch Gemüse und Obst essen - und ich bräuchte Physiotherapie und Massagen. Manchmal habe ich ein ganzes Jahr lang keine Physiotherapie, Massage - und keine Gesundheits-Checkups."
Weitspringer Wester: "Ich sehe das dieses Feuer in ihm"
Unterstützung bekommt er jetzt aus Deutschland von Weitspringerin Alexandra Wester. Sie hat Momodou Sye im vergangenen Jahr kennengelernt, als sie Sportschuhe nach Gambia gebracht hat.
"Mental sehe ich absolut den Willen in ihm - den ich auch damals hatte, als ich noch nicht in der Weltspitze war und ich mich wirklich voll reininvestiert habe, damit ich es hoch zur Weltspitze schaffe. Und das sehe ich jetzt auch in ihm. Ich sehe dieses Feuer, Und das ist genau das, was man braucht, um es ganz nach oben zu schaffen."
Wester ist Momodou Syes Mentorin. Sie tauschen sich per Sprachnachrichten aus - zum Beispiel über das Training und über Zukunftsvisionen. "Er kann kleinen Kindern in Gambia und auch weltweit zeigen, wie weit man es schaffen kann - und wohin man es schaffen kann - mit genug Willenskraft. Er ist das Gesamtpaket ohne die Ressourcen - und das muss man fördern. Und diese Ressourcen - da ist es jetzt wichtig, dass wir ihm die liefern, damit er sich entfalten kann auf allen Ebenen."
Dafür hat Alexandra Wester ein Crowdfunding gegründet. Ihr Plan ist es, ihn nach Amerika zu holen. In Kalifornien soll er unter Danny Williams trainieren. Der hat einst Edwin Moses zu zwei Goldmedaillen bei Olympischen Spielen über 400 M Hürden verholfen. "Danny sagt absolut, Momobou ist ein Talent. Seine Technik ist grätig im Sprint jetzt gerade. Da kann man viel machen."
25.000 Dollar müssen zusammenkommen. Davon sollen unter anderem der Trainer, Flüge, Visa, Unterbringung, Verpflegung und Physiotherapie bezahlt werden.
Chance auf Olympia-Qualifikation im Juni
Momodou Sye schaut ernst bei der Frage nach seinen Ängsten. "Manchmal sitze ich in meinem Zimmer und denke - wow - jeder das Vertrauen in mich, dass ich mich für Olympia qualifiziere. Aber was sage ich den Leuten, wenn ich es nicht schaffe? Das ist die größte Angst, die ich habe."
Alexandra Wester kann seine Angst verstehen. "Andererseits - das ist Sport. Da kann es jederzeit mal schiefgehen. Und ich habe Momodou auch schon gesagt - egal wie es jetzt läuft mit den Olympischen Spielen - die Zukunft ist groß."
Westers Plan B ist es, den 21-Jährigen aus der Ferne zu unterstützen - mit Geld für Massagetherapie, Ernährungsberatung, Lebensmittel und Mentaltraining. Und im Gesicht des jungen Sprinters blitzt schnell wieder dieses Selbstvertrauen auf: "Kein Mann ist begrenzt. Ich glaube an mich selbst - und dass ich alles in der Welt schaffe, wenn es klappt, dass ich Unterstützung bekomme."
Im Juni will sich Momodou Sye bei den Afrika-Meisterschaften in Algerien für die Olympischen Spiele qualifizieren und in Tokio für sein Heimatland Gambia laufen.