Silvia Engels: Heute, am 21. März, ist der Welttag für Menschen mit Down-Syndrom. Gesellschaftliche Gruppen weisen darauf hin, dass es für Menschen mit dieser geistigen Behinderung immer noch schwer ist, gegen Vorbehalte anzukommen und ein gleichberechtigtes Leben mitten in der Gesellschaft zu führen. Zugleich ist es für viele Eltern nicht leicht, sich für ein Kind zu entscheiden, bei dem vor der Geburt die Genveränderung Trisomie 21 entdeckt wird, die zum Down-Syndrom führt. Am Telefon ist nun der Theologe Eberhard Schockenhoff, er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates. Guten Morgen, Herr Schockenhoff.
Eberhard Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Wie sehen Sie denn grundsätzlich in den vergangenen Jahren die Entwicklung? Werden Menschen mit Down-Syndrom mittlerweile besser in Deutschland integriert?
Schockenhoff: Es ist eine, von einem tiefen Widerspruch gekennzeichnete gesellschaftliche Entwicklung, denn einerseits werden Menschen mit Behinderung, wenn sie einmal geboren sind, tatsächlich besser integriert, es gibt mehr Hilfsangebote, es gibt mehr Förderungsmaßnahmen, die grundsätzliche gesellschaftliche Einstellung ist auf dieser Ebene besser, sie werden akzeptiert, es gilt auch das Diskriminierungsverbot, da hat sich ein tiefer gesellschaftlicher Wandel vollzogen, der zu begrüßen ist. Auf der anderen Seite werden immer weniger Menschen mit diesem Syndrom überhaupt geboren, weil sie schon vor ihrer Geburt einem Test unterzogen werden, dessen einziger Sinn eigentlich ihre Beseitigung ist, und das ist eine tiefe Infragestellung der Existenz dieser Menschen, die von ihnen auch als sehr bedrohlich empfunden wird, auch wenn sie persönlich bereits geboren sind.
Engels: In den vergangenen Wochen und Monaten ist ja im Zusammenhang mit Trisomie 21 besonders über einen neuen Test gestritten worden. Das ist ein Bluttest, der im Frühsommer auch in Deutschland auf den Markt kommen soll, und er soll durch normale Blutentnahme bei einer Schwangeren den Nachweis über das Down-Syndrom beim ungeborenen Kind führen können. Derzeit wird dazu das Fruchtwasser vor Geburt des Kindes untersucht, das ist aufwendiger und risikoreicher für das Kind. Wie stehen Sie zu diesem Test?
Schockenhoff: Die Gefahr ist und die Befürchtung der Menschen mit Behinderung, dass dieser Test die Gedankenlosigkeit noch weiter fördert. Man macht eben einen kleinen Test, untersucht einen Tropfen Blut, und dann hat man ein Ergebnis, aus dem scheinbar automatisch folgt der Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch. Das ist ja bereits jetzt der Widerspruch in dieser Art vorgeburtlicher Diagnostik. Normalerweise ist der medizinische Sinn einer Diagnose, dass man dem von einer möglichen Erkrankung oder Behinderung betroffenen Menschen hilft, dass es also im Dienst des erkrankten Menschen selbst steht. Aber weil es eben bei den meisten vorgeburtlichen Störungen bislang keine gute Therapiemöglichkeit gibt, verändert sich unter der Hand der Sinn der Diagnose. Es ist jetzt nicht mehr die kurative Medizin, die angezielte Heilung im Dienst des kranken Menschen, sondern es wird jetzt ein Schritt in die selektive Medizin, die den Träger einer Erkrankung beseitigt, und das ist eine Perversion des medizinischen Denkansatzes, denn die Medizin ist in ihrem Auftrag an die Heilung des kranken Menschen ausgerichtet und nicht in die Beseitigung ganzer Menschengruppen.
Engels: Gedankenlosigkeit, das ist eine Sorge, die Behindertenverbände haben. Aber glauben Sie nicht, dass Eltern sich ohnehin umfassend Gedanken machen und tiefe Zweifel haben, bevor sie ein Kind mit Trisomie 21 abtreiben lassen, egal durch welchen Test sie es nun erfahren haben?
Schockenhoff: Es ist richtig, dass die Art des Tests eigentlich auf die Entscheidung der Eltern keinen Einfluss haben sollte. Die Befürchtung ist, dass die Gedankenlosigkeit noch weiter gefördert wird, und es ist ja heute schon so, dass Eltern, die tatsächlich sich dazu entschließen, ein Kind mit Trisomie anzunehmen, weil es ihr Kind ist und weil jede Art von Vorbehalt in dem Kinderwunsch eigentlich unangemessen ist, dass diese sich großen Fragen, Anfragen auch Seitens der Umgebung ausgesetzt sehen und dass sie sagen, sie trifft eine Diskriminierung, sie werden mit der Frage konfrontiert, muss es heute sein, dass so ein Kind noch auf die Welt kommt, wie könnt ihr eine so unverantwortliche Entscheidung treffen. Und der Druck auf diese Eltern wird, das ist die Gefahr, noch wachsen, je leichter es ist, sich eines solchen Kindes zu entledigen.
Engels: Einige Behindertenverbände fordern nun, dass dieser Bluttest nicht eingeführt wird. Befürworter halten dagegen, eine risikolosere Untersuchung sei immer einer risikoreicheren vorzuziehen, denn beim bisherigen Fruchtwassertest besteht derzeit immer ein rund einprozentiges Risiko einer Fehlgeburt, also 600 bis 700 Kinder jährlich. Wie ist das in der Debatte zu gewichten?
Schockenhoff: Die eigentlich ethisch relevante Entscheidung ist nicht die nach der Art eines Tests und der Risikominimierung - das ist, wenn man nach der rein medizinischen Logik vorgeht, natürlich immer ein Fortschritt -, sondern die eigentlich ethische Debatte ist dem vorgelagert, ob es überhaupt zulässig ist, einen Test anzuwenden, dessen einziger Sinn darin besteht, einen Menschen vor seiner Geburt einer Qualitätskontrolle zu unterziehen, die dann in aller Regel dazu führt, dass eine Entscheidung gegen seine Existenz getroffen wird. Das ist die eigentliche Fragestellung, und die darf nicht durch die scheinbare Problemlosigkeit eines Tests sozusagen weggewischt werden aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein.
Engels: Würden Sie dann verlangen, überhaupt keinen Test zur Herausfindung dieses Down-Syndroms vornehmen zu wollen?
Schockenhoff: Das wäre in einem Rechtsstaat, der von seinen eigenen normativen Grundlagen her auf die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes Menschen gegründet ist, eigentlich angemessen.
Engels: Ist es denn ethisch auch vertretbar, den Eltern, die ihr ganzes Leben möglicherweise ja auch mit einem behinderten Kind führen müssen, eine solche Information, die möglich wäre, vorzuenthalten?
Schockenhoff: Das ist ethisch vertretbar, weil die Eltern ihrerseits ja kein Recht dazu haben, über das Leben ihres Kindes zu disponieren und über das Leben ihres Kindes eine Entscheidung zu fällen, die dieses daran bindet, ob sie es annehmen, ob es ihren selbst gesetzten Erwartungen und Vorstellungen entspricht.
Engels: Wird sich denn der Deutsche Ethikrat mit diesem neuen Test oder grundsätzlich mit dem Down-Syndrom demnächst einmal wieder befassen?
Schockenhoff: Der Deutsche Ethikrat hat sich schon verschiedentlich mit den Möglichkeiten der prädiktiven Medizin, auch der vorgeburtlichen Diagnostik auseinandergesetzt. Es gibt hier im Deutschen Ethikrat unterschiedliche Auffassungen. Es gibt natürlich auch die Auffassung, die sagt, Eltern haben im Rahmen der reproduktiven Autonomie das Recht, ihre Kinder vor der Geburt jedem Test zu unterziehen, um sie dann möglicherweise auch anschließend abzutreiben. Diese Auffassung wird auch im Ethikrat vertreten. Nachdem wir uns schon mehrmals damit befasst haben, rechne ich nicht damit, dass wir uns jetzt mit diesem neuen Testverfahren als solchem beschäftigen, zumal der Deutsche Ethikrat ja auch vor einem Wechsel seiner Zusammensetzung, einer neuen Beauftragung steht, und man kann dem neuen Gremium natürlich nicht vorgreifen, womit es sich befassen wird.
Engels: Sie plädieren dafür, Menschen mit Down-Syndrom stärker anzunehmen. Heute am Welttag, wie kann das gelingen?
Schockenhoff: Das Motto "Annehmen statt Auswählen" ist von einer tiefen Menschlichkeit geprägt und man müsste als humane Gesellschaft auch Eltern das Gefühl und die Gewissheit geben, dass auch die Gesellschaft hinter ihnen steht, wenn sie Kinder mit solchen Behinderungen annehmen, und man müsste die Fördermaßnahmen weiter ausbauen und vor allem auf Integration von Menschen mit Behinderungen auf allen Forderungsstufen bereits im Kindergarten, später in der schulischen Erziehung und Bildung setzen, und dann wäre klar, dass wir eine Gesellschaft sind, die auf Inklusion statt auf Selektion und Ausschluss setzt.
Engels: Der Theologe Eberhard Schockenhoff, er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates. Vielen Dank für das Gespräch.
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Engels.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eberhard Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Wie sehen Sie denn grundsätzlich in den vergangenen Jahren die Entwicklung? Werden Menschen mit Down-Syndrom mittlerweile besser in Deutschland integriert?
Schockenhoff: Es ist eine, von einem tiefen Widerspruch gekennzeichnete gesellschaftliche Entwicklung, denn einerseits werden Menschen mit Behinderung, wenn sie einmal geboren sind, tatsächlich besser integriert, es gibt mehr Hilfsangebote, es gibt mehr Förderungsmaßnahmen, die grundsätzliche gesellschaftliche Einstellung ist auf dieser Ebene besser, sie werden akzeptiert, es gilt auch das Diskriminierungsverbot, da hat sich ein tiefer gesellschaftlicher Wandel vollzogen, der zu begrüßen ist. Auf der anderen Seite werden immer weniger Menschen mit diesem Syndrom überhaupt geboren, weil sie schon vor ihrer Geburt einem Test unterzogen werden, dessen einziger Sinn eigentlich ihre Beseitigung ist, und das ist eine tiefe Infragestellung der Existenz dieser Menschen, die von ihnen auch als sehr bedrohlich empfunden wird, auch wenn sie persönlich bereits geboren sind.
Engels: In den vergangenen Wochen und Monaten ist ja im Zusammenhang mit Trisomie 21 besonders über einen neuen Test gestritten worden. Das ist ein Bluttest, der im Frühsommer auch in Deutschland auf den Markt kommen soll, und er soll durch normale Blutentnahme bei einer Schwangeren den Nachweis über das Down-Syndrom beim ungeborenen Kind führen können. Derzeit wird dazu das Fruchtwasser vor Geburt des Kindes untersucht, das ist aufwendiger und risikoreicher für das Kind. Wie stehen Sie zu diesem Test?
Schockenhoff: Die Gefahr ist und die Befürchtung der Menschen mit Behinderung, dass dieser Test die Gedankenlosigkeit noch weiter fördert. Man macht eben einen kleinen Test, untersucht einen Tropfen Blut, und dann hat man ein Ergebnis, aus dem scheinbar automatisch folgt der Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch. Das ist ja bereits jetzt der Widerspruch in dieser Art vorgeburtlicher Diagnostik. Normalerweise ist der medizinische Sinn einer Diagnose, dass man dem von einer möglichen Erkrankung oder Behinderung betroffenen Menschen hilft, dass es also im Dienst des erkrankten Menschen selbst steht. Aber weil es eben bei den meisten vorgeburtlichen Störungen bislang keine gute Therapiemöglichkeit gibt, verändert sich unter der Hand der Sinn der Diagnose. Es ist jetzt nicht mehr die kurative Medizin, die angezielte Heilung im Dienst des kranken Menschen, sondern es wird jetzt ein Schritt in die selektive Medizin, die den Träger einer Erkrankung beseitigt, und das ist eine Perversion des medizinischen Denkansatzes, denn die Medizin ist in ihrem Auftrag an die Heilung des kranken Menschen ausgerichtet und nicht in die Beseitigung ganzer Menschengruppen.
Engels: Gedankenlosigkeit, das ist eine Sorge, die Behindertenverbände haben. Aber glauben Sie nicht, dass Eltern sich ohnehin umfassend Gedanken machen und tiefe Zweifel haben, bevor sie ein Kind mit Trisomie 21 abtreiben lassen, egal durch welchen Test sie es nun erfahren haben?
Schockenhoff: Es ist richtig, dass die Art des Tests eigentlich auf die Entscheidung der Eltern keinen Einfluss haben sollte. Die Befürchtung ist, dass die Gedankenlosigkeit noch weiter gefördert wird, und es ist ja heute schon so, dass Eltern, die tatsächlich sich dazu entschließen, ein Kind mit Trisomie anzunehmen, weil es ihr Kind ist und weil jede Art von Vorbehalt in dem Kinderwunsch eigentlich unangemessen ist, dass diese sich großen Fragen, Anfragen auch Seitens der Umgebung ausgesetzt sehen und dass sie sagen, sie trifft eine Diskriminierung, sie werden mit der Frage konfrontiert, muss es heute sein, dass so ein Kind noch auf die Welt kommt, wie könnt ihr eine so unverantwortliche Entscheidung treffen. Und der Druck auf diese Eltern wird, das ist die Gefahr, noch wachsen, je leichter es ist, sich eines solchen Kindes zu entledigen.
Engels: Einige Behindertenverbände fordern nun, dass dieser Bluttest nicht eingeführt wird. Befürworter halten dagegen, eine risikolosere Untersuchung sei immer einer risikoreicheren vorzuziehen, denn beim bisherigen Fruchtwassertest besteht derzeit immer ein rund einprozentiges Risiko einer Fehlgeburt, also 600 bis 700 Kinder jährlich. Wie ist das in der Debatte zu gewichten?
Schockenhoff: Die eigentlich ethisch relevante Entscheidung ist nicht die nach der Art eines Tests und der Risikominimierung - das ist, wenn man nach der rein medizinischen Logik vorgeht, natürlich immer ein Fortschritt -, sondern die eigentlich ethische Debatte ist dem vorgelagert, ob es überhaupt zulässig ist, einen Test anzuwenden, dessen einziger Sinn darin besteht, einen Menschen vor seiner Geburt einer Qualitätskontrolle zu unterziehen, die dann in aller Regel dazu führt, dass eine Entscheidung gegen seine Existenz getroffen wird. Das ist die eigentliche Fragestellung, und die darf nicht durch die scheinbare Problemlosigkeit eines Tests sozusagen weggewischt werden aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein.
Engels: Würden Sie dann verlangen, überhaupt keinen Test zur Herausfindung dieses Down-Syndroms vornehmen zu wollen?
Schockenhoff: Das wäre in einem Rechtsstaat, der von seinen eigenen normativen Grundlagen her auf die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes Menschen gegründet ist, eigentlich angemessen.
Engels: Ist es denn ethisch auch vertretbar, den Eltern, die ihr ganzes Leben möglicherweise ja auch mit einem behinderten Kind führen müssen, eine solche Information, die möglich wäre, vorzuenthalten?
Schockenhoff: Das ist ethisch vertretbar, weil die Eltern ihrerseits ja kein Recht dazu haben, über das Leben ihres Kindes zu disponieren und über das Leben ihres Kindes eine Entscheidung zu fällen, die dieses daran bindet, ob sie es annehmen, ob es ihren selbst gesetzten Erwartungen und Vorstellungen entspricht.
Engels: Wird sich denn der Deutsche Ethikrat mit diesem neuen Test oder grundsätzlich mit dem Down-Syndrom demnächst einmal wieder befassen?
Schockenhoff: Der Deutsche Ethikrat hat sich schon verschiedentlich mit den Möglichkeiten der prädiktiven Medizin, auch der vorgeburtlichen Diagnostik auseinandergesetzt. Es gibt hier im Deutschen Ethikrat unterschiedliche Auffassungen. Es gibt natürlich auch die Auffassung, die sagt, Eltern haben im Rahmen der reproduktiven Autonomie das Recht, ihre Kinder vor der Geburt jedem Test zu unterziehen, um sie dann möglicherweise auch anschließend abzutreiben. Diese Auffassung wird auch im Ethikrat vertreten. Nachdem wir uns schon mehrmals damit befasst haben, rechne ich nicht damit, dass wir uns jetzt mit diesem neuen Testverfahren als solchem beschäftigen, zumal der Deutsche Ethikrat ja auch vor einem Wechsel seiner Zusammensetzung, einer neuen Beauftragung steht, und man kann dem neuen Gremium natürlich nicht vorgreifen, womit es sich befassen wird.
Engels: Sie plädieren dafür, Menschen mit Down-Syndrom stärker anzunehmen. Heute am Welttag, wie kann das gelingen?
Schockenhoff: Das Motto "Annehmen statt Auswählen" ist von einer tiefen Menschlichkeit geprägt und man müsste als humane Gesellschaft auch Eltern das Gefühl und die Gewissheit geben, dass auch die Gesellschaft hinter ihnen steht, wenn sie Kinder mit solchen Behinderungen annehmen, und man müsste die Fördermaßnahmen weiter ausbauen und vor allem auf Integration von Menschen mit Behinderungen auf allen Forderungsstufen bereits im Kindergarten, später in der schulischen Erziehung und Bildung setzen, und dann wäre klar, dass wir eine Gesellschaft sind, die auf Inklusion statt auf Selektion und Ausschluss setzt.
Engels: Der Theologe Eberhard Schockenhoff, er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates. Vielen Dank für das Gespräch.
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Engels.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.