Der Terror trägt grün: eine gespenstige Figur aus Styropor, den Hammer drohend erhoben, eine glimmende Zündschnur ragt aus dem schaurigen Maul. Gerhard Baller gibt letzte Interviews. Der Zugmarschall steht lässig neben dem Motivwagen, der den diesjährigen Schoduvel anführen soll: "Wir haben in diesem Jahr in Braunschweig das Motto ausgegeben: 'Jetzt erst recht!' Das lassen wir uns einfach auch nicht nehmen. Wir haben auch unsere Werte! Die Elf, wo kommt sie denn her? Von egaliteé, liberté, fraternité! ELF: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Das sind die Werte des Karnevals!"
Im Februar letzten Jahres hatte eine als besonders zuverlässig eingeschätzte Quelle aus der islamistischen Szene den Staatsschutz vor einem bevorstehenden Anschlag auf den Karnevalszug gewarnt. Braunschweigs Bürgermeister, die Sicherheitsbehörden und Zugmarschall Baller mussten sich dem – wie sie sagen – "Unvermeidlichen" fügen: Das größte karnevalistische Spektakel des Nordens wurde nur Stunden vor dem geplanten Start abgesagt. Über ihren Informanten und über mögliche Verdächtige hüllen sich die Behörden bis heute in Schweigen.
"Absage vor einem Jahr war richtig"
Die Absage vor einem Jahr war die richtige Entscheidung, sagt aber Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius: "Ich glaube, die Menschen in Deutschland wissen sehr gut, dass sie seit Jahren mit einer abstrakten Gefährdung durch Terrorismus leben müssen. Wir müssen uns darauf einstellen – und ja: es wird wieder Veranstaltungen geben, die im Einzelfall mal abgesagt werden müssen. Aber das darf uns eben nicht verunsichern. Dies ist die Zeit, wo wir Flagge zeigen müssen, für unser selbstbestimmtes, freiheitliches Leben. Das lassen wir uns nicht kaputt machen – und erst recht nicht hier in Braunschwieg im Karneval!"
Nur noch wenige Minuten bis zum Start: Der Sozialdemokrat erklimmt den Wagen des Zugmarschalls. Mit dabei sind auch geistliche Würdenträger wie der katholische Bischof aus Hildesheim Norbert Trelle. Narren sind hilfreich in bösen Zeiten, vermutet Trelle, weil ihr subversiver Humor uns mit den absurden Vorgängen in unserer Welt versöhnt. Norbert Trelle: "Wenn man ein Narr ist, im besten Sinne des Wortes, dann geht man auch ein Stück auf Distanz zu diesem unglaublichen Schwergewicht, das da heißt: Ego!"
Er ist ein Muslim zum Anfassen
Menschen aus 150 Nationen bevölkern die Löwenstadt. Auch Hayri Aydin ist herzlich eingeladen, vom Prunkwagen aus Kamelle unter die Leute zu werfen – doch mit den Ritualen des organisierten Frohsinns kennt sich der Vorsitzende des Braunschweiger Rats der Muslime noch nicht aus. Eine Armlänge Abstand ist empfohlen, wo das närrische Treiben allzu bunt wird. Aydin lächelt scheu: Keine Sorge, er ist ein Muslim zum Anfassen: "Ich werde mich natürlich so ein bisschen umgucken, wie sich meine Kollegen geben, weil, das ist für mich das erste Mal. Und dann werde ich versuchen, mitzumachen. Ich habe da keine Berührungsängste."
Es geht los: 120 Motivwagen rollen durch Löwenstadt, Trommelgruppen mühen sich nach Kräften, den kühlen Nordmenschen einzuheizen. Überall entlang der sechs Kilometer langen Strecke erspäht der Reporter Polizisten, hoch zu Ross oder in kleinen Gruppen diskret im Hintergrund. Mit ernster Miene wacht die Staatsgewalt über den humoristischen Exzess.
Keine Spielzeugwaffen mitbringen
Tierkostüme haben Konjunktur an diesem Sonntag in Braunschweig. Die Polizei hat darum gebeten, keine Spielzeugwaffen mitzubringen, um Missverständnissen vorzubeugen. Die meisten Narren beherzigen das. Auch dieser zottelige Wikinger auf dem Platz vor dem Rathaus hat seine Streitaxt diesmal im Schrank gelassen: "Ich glaube, da würde man abgefangen vorher. Von irgendwelchen anderen Marionetten, wo 'Polizei' dransteht." Und eine Frau sagt: "Wir sind alle gegen den Terror! Wir wollen nur Spaß – egal mit welchen Leuten!"
Der Schoduvel soll den Teufel austreiben. Die Tradition reicht bis 1293 zurück, die älteste Karnevalsgesellschaft der Stadt wurde 1872 gegründet. Doch der Umzug lebte als Event mit touristischem Mehrwert erst in jüngster Zeit richtig auf.
Chefdramaturg des Staatstheaters kommt ins Schwingen
Axel Preuß ist als kühler Nordmensch eigentlich keine geborene Frohnatur. Doch jetzt rollt ein orientalisch dekorierter Motivwagen vorbei – und der Chefdramaturg des Staatstheaters Braunschweig kommt mächtig ins Schwingen: "Ja, großartig. Der Wagen hat eine Stimmung verbreitet, inklusive Bauchtanz – das war wirklich gigantisch. Die Situation ist natürlich kritisch, und wir müssen aufpassen, dass die Stimmung insgesamt positiv bleibt."
Am Ende werden die Veranstalter etwas weniger als die erwarteten 200.000 Besucher zählen. Die Behörden sprechen von einem friedlichen Umzug ohne nennenswerte Zwischenfälle.