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Schöngeist und Draufgänger

Heute gilt der italienische Maler Amedeo Modigliani als einer der bedeutendsten Künstler der Moderne. Zu seiner Zeit aber wurden seine Aktgemälde als skandalös empfunden. Als er schließlich zu Ruhm gelangte, starb er.

Von Frank Kempe |
    Sein kurzes, rauschhaftes Leben war wie geschaffen für die Legenden, die sich bis heute um ihn ranken: Amedeo Modigliani gilt als der letzte Bohemien der Pariser Künstlerszene. Ein Frauenheld und Trinkkumpan, ein Schöngeist und Draufgänger, ein Schwindsüchtiger und zugleich seelisch Gebrechlicher, der mit nur 35 Jahren starb.

    Seine Aktgemälde und auch einige seiner Porträts sind heute Ikonen der klassischen Moderne - unverwechselbar die Frauengestalten mit den überlangen Hälsen und den ovalen Gesichtern, den rätselhaften, meist leeren Augen. Werke von großer Sinnlichkeit und Melancholie, die im Widerspruch stehen zum ausschweifenden Lebensstil des Künstlers, so der Modigliani-Biograph Werner Schmalenbach:

    "Das Leben war eine permanente Unruhe. Die Kunst zeichnet sich durch eine große Ruhe und statische Ruhe aus - also nichts von diesem Leben, aber wirklich gar nichts. Weder der Alkohol, noch die Drogen, noch die Frauengeschichten, die Frauen schon, die Frauenaffären - von alledem spiegelt sich in seiner Kunst nichts, also ist es irrelevant."

    "Seine Kunst": Das sind mehr als 400 Gemälde, 1.000 Zeichnungen und 25 Skulpturen. Mit welchem Eifer Modigliani arbeitete, erzählt Lunia Czechowska, die ihm Modell stand:

    "Ich sehe ihn noch vor mir, wie er in Hemdsärmeln und mit struppigem Haar versuchte, meine Züge auf die Leinwand zu bannen! Von Zeit zu Zeit streckte er seine Hand nach einer Flasche aus, und bald bemerkte ich die Wirkung des Alkohols: er wurde leidenschaftlich erregt durch seine Arbeit und ich existierte nicht mehr für ihn."

    Amedeo Modigliani kommt am 12. Juli 1884 in Livorno in der Toskana zur Welt - als jüngstes von vier Kindern einer jüdischen Familie. Der Vater ist Kaufmann, die Mutter Lehrerin. "Dedo", so nennen sie ihn, ist ein kränkliches Kind: Typhus und ein Lungenleiden prägen die Kindheit - aber auch das früh entdeckte Zeichentalent. Schon mit 14 geht er bei einem Maler in die Schule, es folgen die Kunstakademien in Florenz und Venedig.

    1906 zieht es ihn nach Paris, wo er Pablo Picasso kennen lernt und viele andere Künstler der Avantgarde. Sie schätzen den eleganten Italiener, der mit Dante-Zitaten um sich wirft und Gedichte von Baudelaire vorträgt. Und der im Laufe der Zeit seinen ganz eigenen Malstil entwickelt - der Künstlerkollege Maurice de Vlaminck:

    "Seine Bilder besitzen eine unendliche Würde und Vornehmheit. Man wird in ihnen nichts Gewöhnliches, Grobes oder Banales finden."

    Mit dem Kubismus und Futurismus der Freunde kann Modigliani sowenig anfangen wie mit Landschaften als Motiv. Eher schon lässt er sich im Louvre inspirieren von den archaischen Skulpturen Griechenlands und von afrikanischer Kunst. Oder von Klassikern der Renaissance.

    Zwei Frauen sind für sein Pariser Leben von besonderer Bedeutung: die englische Dichterin Beatrice Hastings, die er 1914 kennen lernt, und ab 1917 die junge Kunststudentin Jeanne Hébuterne, das meistgemalte Motiv Modiglianis. Im Jahr 1917 findet auch seine erste Soloausstellung statt, die wegen eines Aktgemäldes prompt zum Skandal wird - Werner Schmalenbach:

    "Um es sehr klar zu sagen: Schamhaare so zu zeigen, war in dieser Zeit sehr ungewöhnlich. Mit dieser Ehrlichkeit - kann man fast sagen - mit dieser Direktheit. Und das führte dazu, dass seine Ausstellung polizeilich geschlossen wurde."

    1918 bringt Jeanne Hébuterne die gemeinsame Tochter Jeanne zur Welt. Endlich verkaufen sich auch seine Bilder besser, er malt wie ein Besessener, aber seine Gesundheit macht nicht mit. Am 24. Januar 1920 stirbt Amedeo Modigliani an einer tuberkulösen Hirnhautentzündung. Jeanne Hébuterne, hochschwanger mit dem zweiten Kind, nimmt sich einen Tag später das Leben.

    "Das Glück ist ein Engel mit ernstem Gesicht" schrieb Modigliani einmal an einen Freund. Die Preise für seine Bilder steigen schon kurz nach seinem Tod rasant an. Der italienische Maler vom Montparnasse wird auf dem Friedhof Père Lachaise beerdigt: "Der Tod nahm ihn, als er zu Ruhm gelangte", steht auf dem Grabstein.