Glatte Haut, lange Beine und kein Gramm zu viel: Nicht nur auf großen Werbeplakaten, auch im Newsfeed auf Instagram lächeln dem Betrachter Models mit makellosen Körpern entgegen - nahezu jedes davon am PC ausgiebig bearbeitet und retuschiert.
Wer aussehen will wie diese perfekten Traumwesen, empfindet nicht selten das, was auf Norwegisch "Kroppspress" heißt - "Körperdruck". Und dieser kann besonders durch Werbung entstehen, sagt Medienwissenschaftler Guido Zurstiege von der Universität Tübingen: "Werbung strotzt nur so von idealen Darstellungen, von Wunschbildern, von Traumbildern. Und ihre Rezipientinnen und Rezipienten orientieren sich an diesen Darstellungen. Und das gilt natürlich im besonderen Maß für solche Rezipienten und Rezipientinnen, die sich in Übergangsphasen befinden."
"Hyperreale Darstellungen" in der Werbung
Also: Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsensein. Gerade in dieser Zeit suchen sie Vorbilder, die sie in der Werbung finden. Diese jungen Menschen will das norwegische Parlament daher nun mit einem neuen Gesetz schützen.
Ab Sommer 2022 müssen Werbefotos gekennzeichnet werden, in denen Körper oder Körperteile retuschiert wurden – egal ob Haut, Größe oder Figur des Models. An die Kennzeichnungspflicht in Norwegen müssen sich nicht nur klassische Werbeagenturen halten, sondern auch Influencer:innen auf Instagram und Co.
"Überall hier operiert Werbung in ganz, ganz kleinen Zeitfenstern und ist daher darauf angewiesen, ihre Botschaften ganz schnell - gewissermaßen wie so einen Schuss ins Gehirn - zu platzieren", sagt Medienwissenschaftler Zurstiege. "Das ist der Grund dafür, dass Werbung mit sogenannten hyperrealen Darstellungen operiert. Also mit Konstruktionen von Wirklichkeit, die wirklicher als die Wirklichkeit sind. Die größer und bunter und lebendiger sind."
Regulierungen in etlichen Ländern
Gerade in sozialen Netzwerken begegnen Jugendliche und Kinder diesen Wirklichkeiten in Form perfektionierter Körper. Der Versuch, diesen nachzueifern, kann großen psychischen Druck bis hin zu Essstörungen auslösen.
Kein Wunder also, dass Werbung im Zuge der zunehmenden Digitalisierung immer mehr zum Gegenstand von Medienregulierungen wird: In Israel gibt es das sogenannte Photoshop-Gesetz, in Frankreich ist seit 2017 "Photographie retouchée" auf bearbeiteten Fotos vermerkt.
Hierzulande sieht die Gesetzeslage derzeit noch anders aus, sagt Rechtsanwältin Anna Bosch: "Wir haben auch durchaus Regulierungen im Jugendbereich - also Jugendschutzinteressen, Verbraucherschutzinteressen - auch die ganzen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen beispielsweise. Nur in diesem Bereich, was eben Körperideale angeht, haben wir bisher in Deutschland noch keine gesetzliche Regelung."
Transparenzpflichten würden sich "gut einfügen"
Betrachte man andere Transparenzpflichten in Deutschland, sei es nur konsequent, auch im Hinblick auf Körperideale eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Anna Bosch hält Entscheidungen dazu auf EU- oder nationaler Ebene in den nächsten Jahren für möglich.
"Es würde sich vor dem Hintergrund sonstiger weitreichender Jugend-Medienschutzvorschriften eigentlich ganz gut einfügen. Es geht eben bei dieser Regulierung, die jetzt aus Norwegen oder Frankreich bekannt ist, vor allem um diese Suggestionswirkung, die eben nicht direkt messbar ist und die eben nicht zu unmittelbaren Folgen oder Kaufentscheidungen führt, sondern sich quasi erst ganz mittelbar auswirkt."
Und da kann die Kennzeichnungspflicht viel bewirken. Die Big Player sollten sich jedoch ebenfalls realistischeren Körperbildern verschreiben, und auch Plattformen wie Instagram müssten zur Verantwortung gezogen werden, sagt Anna Bosch.
Auch Eltern in der Verantwortung
Zusätzlich sind Schulen und Eltern gefragt, findet Medienwissenschaftler Guido Zurstiege: "Das Problem bedarf einer viel größeren Herangehensweise, die in der Medienbildung einsetzt, die in der Erziehung aber auch von Kindern einsetzt, die denen klarmacht, dass ein Mensch eben weitaus mehr ist als seine Persona, als seine nach außen sichtbare Erscheinung und dass zu einer kompletten Persönlichkeit weitaus mehr gehört."
Eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht könnte auch in Deutschland ein wichtiger Schritt zur Entlastung junger Menschen sein, kombiniert mit einer umfassenden Aufklärung: Damit sie sich wohl in ihren eigenen Körpern fühlen und wissen, dass die Vorbilder in der Werbung nicht erstrebenswert sind. Sie bleiben meist wirklicher als die Wirklichkeit, ungesund und im realen Leben unerreichbar.