Remme: Herr Preußler, stimmt es tatsächlich, wohnen Sie im Rübezahlweg?
Preußler: Wir wohnen am Rübezahlweg in Haidholzen.
Remme: Eine Hommage der Stadtverwaltung?
Preußler: Nein. Das ist das, was man eine Fügung nennt. Da sind wir ohne unser Zutun hingekommen, aber ich muss sagen, wir freuen uns über die Adresse.
Remme: Herr Preußler, Sie waren bis 1971 Lehrer und Rektor einer Volksschule. Fiel das damals schwer, den Beruf aufzugeben?
Preußler: Jain. Wissen Sie, ich habe immer sehr gerne mit Kindern zu tun gehabt, habe es ja heute auch noch, aber, ja, der Überhang an Verwaltung im Schulwesen, der hat mir nicht sehr behagt und da bin ich also mit einem Aufatmen eigentlich rausgegangen.
Remme: Herr Preußler, inwieweit ist denn der tägliche Kontakt mit Kindern Vorrausetzung für Ihren Erfolg gewesen?
Preußler: Na ja, ganz sicher für meine Kindergeschichten. Ich hatte ja, abgesehen von unserer Familie, zu Zeiten, als "Der kleine Wassermann" entstand, eine Schulklasse von 52 Kindern. Und mein Mentor, der alte Herr Rektor Pestenhofer, hat mir einen guten Rat gegeben. Er hat gesagt, hören Sie, Herr Kollege, wenn Ihnen die Kinder durchgehen, dann spielen Sie ihnen etwas auf der Geige vor. Ich kann aber nicht geigen. Und da habe ich es dann mit Geschichten erzählen versucht und das hat ganz gut geklappt.
Remme: Und wo kamen die her, diese Geschichten?
Preußler: Ach Gott, ich bin in einem Haus voller Geschichten aufgewachsen, in Reichenberg in Böhmen. Meine Großmutter war ein lebendes Geschichtenbuch, der Vater hat Geschichten gesammelt bei uns im Gebirge, und ich bin bis oben voll gestopft mit Motiven und auch mit Geschichten selber.
Remme: Und der Kontakt mit Kindern, sagen Sie, der hält an. Wie gestaltet der sich heute?
Preußler: Ja, ein bisschen weitmaschiger. Wir haben ja ringsherum viele Kinder, mit denen ich immer wieder spreche und mit denen ich mich austausche. Ich habe gelernt, wie man mit Geschichten auf den Prüfstand geht, indem man sie Kindern vorliest, und dann nicht wartet auf die Kritik, sondern die Kinder beobachtet während des Lesens, während des Erzählens. Und dann macht man sich Notizen und dann muss man mit den Stellen, die offensichtlich ein bisschen zu lang oder zu kurz geraten waren, sich auseinander setzen und versuchen, die Lösung zu finden. Das nimmt dem Geschichtenerzähler und
-aufschreiber niemand ab.
Remme: Schreiben Sie heute noch?
Preußler: Aber ja!
Remme: An was arbeiten Sie?
Preußler: Das sage ich nicht.
Remme: Ach, Herr Preußler...
Preußler: Das ist eine alte Erfahrung. Was fertig ist, das ist fertig und darüber kann man reden. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die schon über wage Einfälle gackern. Allzu oft habe ich es erlebt, dass mir Geschichten auf den letzten paar Seiten noch schiefgegangen sind.
Remme: Herr Preußler, die Zeiten, in denen "Der Räuber Hotzenplotz" zum Beispiel entstanden ist, die scheinen vorbei. Die Welt ist eine andere und oft scheint es ja auch für Kinder eine schwierigere Welt. Haben sich diese Veränderungen auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Preußler: Also bitte zwei Dinge: Das eine, Kinder haben es heute schwerer, weil sie furchtbar vielen Ablenkungen ausgesetzt sind, weil sie mit Dingen konfrontiert werden jeden Tag in der Glotze oder wo immer, die absolut nicht für Kinder bestimmt sind. Aber: Sie sind nach wie vor dankbar für Geschichten, wie ich sie erzähle, und da hat sich eigentlich in den letzten, ich darf sagen, Jahrzehnten nichts geändert. Ich sehe es aus der vielen Post, die ich von Kindern kriege, und die mir bestätigen, dass sie das Spiel, das ich ihnen anbiete mit meinen Geschichten, gerne mitspielen.
Remme: Und wollen Sie diese Kinder, Ihre Leser, dann in eine bewusst heile Welt entführen?
Preußler: Aber nein. Heile Welt ist eines der dümmsten Totschlagwörter, das ich kenne. Die Welt ist weder heil, noch unheil. Ich hoffe, nein, ich glaube daran, dass sie heilbar ist. Das ist etwas anderes.
Remme: Mit heile Welt meinte ich, dass in vielen Ihrer Geschichten Konflikte Mangelware sind und ich frage, ist das bewusst so?
Preußler: Einspruch, Einspruch. Schauen Sie genau hin, Sie werden genügend Konflikte drin finden. Nur sind sie halt auf spielerische Weise abgewandelt. Ich meine, das kleine Gespenst, das mit seiner Realität nicht zu Rande kommt, ist das kein Konflikt?
Remme: Herr Preußler, welches Ihrer Bücher mögen Sie am meisten?
Preußler: Schwer zu beantworten. Ich antworte anders. Ich bin dankbar dafür, dass ich mich für keines meiner Bücher, meiner literarischen Kinder zu schämen brauche.
Remme: Dann frage ich anders herum: Gibt es eine Figur, zu der Sie eine besonders enge Beziehung haben?
Preußler: Na ja, das ist natürlich mein Erstling und das ist in gewisser Weise auch der Herr Räuber Hotzenplotz...
Remme: Der Erstling ist "Der kleine Wassermann"?
Preußler: Das war "Der kleine Wassermann". Dann das Buch, mit dem ich mich am meisten geschunden habe, mit dem "Krabat". Die sind mir alle auf ihre Weise sehr nahe. Ich möchte keines von ihnen missen und bin dankbar dafür, das sie ihren Weg gemacht haben.
Remme: Nun ist die Jugendliteratur ein Renner, wie man so sagt heutzutage. Wenige Tage noch, dann werden wir erneut den Rummel um einen weiteren Band von "Harry Potter" erleben. Hat Sie dieser Erfolg dieses Zauberschülers aus England überrascht?
Preußler: Ach wissen Sie, ich habe den Herren nie gelesen, wie ich überhaupt mich um andere Bücher nicht schere. Ich erhalte mir damit meine Freiheit, die Freiheit meines Urteils, und zu "Harry Potter" kann ich nichts sagen, weil ich zu Kollegen grundsätzlich keine Stellung nehme.
Remme: Das wird viele überraschen, dass Sie ein solches Buch nicht gelesen haben.
Preußler: Tja, Gott. Schauen Sie, ich habe einen sehr ausgefüllten Tag und ich lese in der knappen Freizeit Bücher, die mich wirklich interessieren und das sind mit Sicherheit keine Kinderbücher.
Remme: Welches Buch lesen Sie gerade?
Preußler: Ich lese gerade von Georg Britting seine schönen Gedichte. Da kann man sich vertiefen hinein, da kann man auch Kraft tanken.
Remme: Der Kinderbuchautor Ottfried Preußler war das. Er wird heute 80 Jahre alt.