Nach dem Bruch der Ampelkoalition steht Deutschland vor einer ungewissen politischen Zukunft. Die rot-grüne Minderheitsregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) muss nun ohne Mehrheit im Bundestag regieren, während wichtige wirtschaftliche und soziale Herausforderungen ungelöst bleiben. Dem Ende der ersten Ampelkoalition waren lang anhaltende Spannungen zwischen SPD, Grünen und FDP vorausgegangen. Insbesondere in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik konnten sich die Parteien nicht einigen.
Wie geht es nach dem Bruch der Ampelkoalition weiter? Sind Neuwahlen geplant?
Weil die FDP nach der Entlassung Lindners ihre Minister aus der Regierung zurückgezogen hat, gibt es erstmals seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung, die jedoch keine Mehrheit im Parlament besitzt. Die Minderheitsregierung von SPD und Grünen ist nur für eine Übergangsphase vorgesehen, deren Dauer noch unklar ist.
Scholz hatte zunächst angekündigt, am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen zu wollen. Falls dem Kanzler dabei wie erwartet vom Parlament nicht das Vertrauen ausgesprochen wird, sind Neuwahlen wahrscheinlich. Über den Zeitplan von Vertrauensfrage und Neuwahlen wird politisch gestritten.
Die Opposition forderte schnellere Neuwahlen. CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete es als unverantwortlich und parteipolitisch motiviert, dass der Kanzler die Vertrauensfrage erst im Januar stellen will. Das Land benötige dringend eine neue, stabile Regierung und eine klare Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik.
Scholz reagierte auf die Kritik und sagte in der ARD: "Dass ich noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage stelle, ist für mich überhaupt kein Problem." Allerdings machte er dies davon abhängig, dass sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Oppositionsführer Merz auf einen Termin einigen. Scholz und die SPD wollen vor der Vertrauensfrage noch wichtige Gesetzesvorhaben durchs Parlament bringen. Zugleich gibt es unter anderem aus der SPD Warnungen, dass eine übereilte Neuwahl zu organisatorischen Problemen führen könnte.
SPD und Union streben laut Medienberichten eine baldige Einigung auf einen Wahltermin an. Die letzte Vertrauensfrage, die zu Neuwahlen führte, hatte 2005 mit Gerhard Schröder ebenfalls ein SPD-Kanzler gestellt.
Was wird aus den offenen FDP-Ministerposten?
Nach der Entlassung von Christian Lindner wird der SPD-Politiker Jörg Kukies Bundesfinanzminister.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing bleibt trotz des Koalitionsbruchs im Amt - tritt jedoch aus seiner Partei aus. Er kündigte an, künftig als parteiloser Minister zu fungieren, um seine Verantwortung wahrzunehmen und keine Belastung für die FDP zu sein. Wissing hatte sich wiederholt für den Verbleib der FDP in der Ampelkoalition eingesetzt. Er übernimmt auch das Justizressort von Marco Buschmann, der wie Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger das Amt niedergelegt hat. Das Bildungsministerium übernimmt zusätzlich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).
Ist die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen arbeitsfähig?
Die rot-grüne Minderheitsregierung ist durch das Fehlen stabiler Mehrheiten nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig. Grüne und SPD müssen nun bei wichtigen Entscheidungen versuchen, Oppositionsparteien zu überzeugen. Insbesondere bei finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen könnte dies schwierig werden.
Das Ziel ist, bis zu den Neuwahlen zumindest die laufenden Geschäfte zu sichern. Scholz signalisiert Kooperationsbereitschaft gegenüber CDU-Chef Merz, um dringende wirtschaftliche und verteidigungspolitische Fragen zu klären.
Doch aus der Union heißt es unmissverständlich: Ohne eine vorgezogene Vertrauensfrage ist man zu Verhandlungen nicht bereit. CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sieht die Union nicht als Mehrheitsbeschaffer. "Für mich bedeutet staatspolitische Verantwortung eine handlungsfähige Regierung. Und das ist nicht mehr mit dem Bundeskanzler Scholz machbar. Wir brauchen neue Wahlen. Wir können nicht auf den Trümmern dieser Regierung weiterarbeiten." Laut der repräsentativen Studie Deutschlandtrend von Infratest Dimap wollen auch zwei Drittel der Deutschen möglichst schnelle Neuwahlen, also nicht so lang warten wie der Kanzler.
Was bedeutet der Bruch für die Gesetzgebung?
Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition liegen viele Gesetzesvorhaben erst einmal auf Eis. Darunter sind wichtige Projekte, die die Zustimmung der FDP benötigten oder von ihr beeinflusst wurden - beispielsweise die Finanzierung der Ukraine-Hilfe und Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen. Beim Lieferkettengesetz etwa, das von der Wirtschaft scharf kritisiert wird, wird sich wohl nichts mehr tun.
Weitere wichtige Themen stehen auf der Agenda der Politik, darunter die Energieversorgung, Infrastruktur-Maßnahmen, die Cybersicherheit und das Bundeswehr-Budget. Doch wegen der Schuldenbremse werden viele politischen Ziele nicht umsetzbar sein.
Auch der Haushalt für 2025 ist noch nicht beschlossen - die rot-grüne Minderheitsregierung wird ihn wohl auch nicht mehr aufstellen können. Der Haushalt war bereits vor dem Koalitionsbruch ein großes Konfliktthema in der Ampel: SPD und Grüne hatten eine Ausweitung des Budgets unter Umgehung der Schuldenbremse vorgeschlagen, unter anderem für die Ukraine-Hilfe und soziale Projekte. Die FDP hatte dies strikt abgelehnt.
Selbst der Nachtragshaushalt für 2024 steht noch nicht fest. Wenn keine Einigung erzielt wird, könnte eine vorläufige Haushaltsführung notwendig werden. Der neue SPD-Finanzminister Kukies wird versuchen, den finanziellen Spielraum zu nutzen. Doch die unsichere Finanzlage macht es schwer, Gesetze zu beschließen, da sie oft unter Finanzierungsvorbehalt stehen.
Der Bundeskanzler will dennoch versuchen, bis Weihnachten Mehrheiten für zentrale Regierungsprojekte zu sichern. Unter anderem will Scholz das Gesetz zur Eindämmung der kalten Progression, das Rentenpaket II und Regelungen zur gemeinsamen EU-Asylpolitik noch in diesem Jahr durch den Bundestag bringen. SPD-Fraktionschef Mützenich nannte zudem die Kindergeld-Erhöhung, das Deutschlandticket, Entlastungen der Industrie und der Zulieferbetriebe sowie den Schutz des Verfassungsgerichts.
Was bedeutet das Ampel-Aus für die deutsche Wirtschaft?
Das Aus der Ampelkoalition hat ernste Folgen für die deutsche Wirtschaft, die sich ohnehin in einer schwierigen Lage befindet. Für 2024 wird bereits das zweite Rezessionsjahr in Folge erwartet, und eine politische Hängepartie könnte die Situation weiter verschärfen, denn Wachstumspakete und Einzelmaßnahmen liegen auf Eis. Kanzler Scholz betonte, dass die Wirtschaft keine Zeit für langwierige politische Übergänge habe und will deshalb Gespräche mit der Opposition suchen, um schnell wirtschaftliche und verteidigungspolitische Entscheidungen voranzutreiben. Der Arbeitgeberverband fordert schnelle Neuwahlen, damit eine handlungsfähige Regierung ins Amt kommt.
Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, drängte auf schnelle Entscheidungen, um die Beschäftigten abzusichern und Planungssicherheit für die Wirtschaft zu erreichen. Unabhängig vom Wahltermin dulde dies keinen Aufschub mehr. "Wir haben keinen Nachtragshaushalt. In der Folge drohen wichtige Infrastrukturprojekte liegen zu bleiben und kaputt zu gehen, zum Beispiel bei der Schiene. Wir brauchen dringend eine Krankenhausreform."
Große Herausforderungen in der Industrie, zum Beispiel, wohin sich die Netzentgelte für die energieintensive Industrie im nächsten Jahr entwickeln, müssten angepackt werden. "Jeden Monat, in dem wir Verzögerungen über diese Entscheidungen haben, geht etwas kaputt." Fahimi sprach sich auch klar für einen Überschreitungsbeschluss aus, da der Investitionsstau nicht mit dem Regelhaushalt zu lösen sei.
Unterdessen bleibt unklar, wie es mit den von der Ampel geplanten wirtschaftspolitischen Maßnahmen weitergeht. Das Wachstumspaket der Bundesregierung, das 49 Einzelmaßnahmen umfasst, konnte bislang nur teilweise umgesetzt werden. Auch weitere Reformen, wie das umstrittene Lieferkettengesetz und die geplanten Haushaltsentscheidungen für 2025, sind fraglich. Ohne neuen Haushalt wird die Regierung nur eingeschränkt investieren können, was insbesondere die Unternehmen in Deutschland treffen dürfte.
Zusätzliche Belastung durch drohenden Handelskrieg mit den USA
Erschwerend kommt hinzu, dass internationale Unsicherheiten wie ein möglicher Handelskrieg durch Donald Trump die Exporte und Standorte deutscher Unternehmen weiter belasten könnten. Experten warnen, dass die deutsche Wirtschaft empfindliche Rückgänge im Exportmarkt USA verzeichnen könnte.
Unternehmen könnten zunehmend Investitionen in die USA verlagern. Das hätte Folgen für Standorte und Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Bei den Zulieferern ist die Krise schon da, auch wegen falscher Einschätzung zum Absatz von Elektroautos. Eine handlungsfähige Regierung ist nach Ansicht von Experten daher dringend erforderlich, um die Wirtschaft vor weiteren Schäden zu bewahren.
og, tei