Musiker, Fotografen, Künstler, Heilpraktiker, Dolmetscher, Pfleger oder Taxifahrer und deren Kolleg*innen sind gemeint, wenn über Solo-Selbständige gesprochen wird. Ihre Einbußen können über das berufliche Sein oder nicht Sein entscheiden, denn viele Geschäfte mussten schließen. Messen, Veranstaltungen, Konzerte – alles abgesagt. Und damit versiegt für viele die Einnahme. Auch diesen Personen möchte die Bundesregierung helfen. 40 Milliarden Euro sollen bereitgestellt werden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte im Deutschlandfunk-Interview dafür unbürokratische Hilfe zu, die Schwarze Null im Bundeshaushalt sei laut Scholz aber im Zuge der Krise nicht mehr zu halten.
Christoph Heinemann: Herr Scholz, wer kann mit welcher Hilfe rechnen?
Olaf Scholz: Wir haben mehrere Hilfswege auf den Weg gebracht. Einige sind schon unterwegs, andere werden wir jetzt in Kürze, das heißt nächste Woche dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorlegen, so dass die dann auch gleich greifen können.
Das erste ist, dass wir schon letzte Woche ein großes Kreditprogramm auf den Weg gebracht haben, das die Banken in Deutschland in die Lage versetzt, ihren Kunden weiter Kredite zu geben, obwohl die Lage riskant ist. Das heißt, wir haben mit Hilfe unserer Förderbank einen großen Teil der Kreditsicherheit gegeben, die die Kunden, die von Ihnen beschriebenen Geschäftsleute, die Solo-Selbständigen alleine oft gar nicht mehr geben können. Das steht ganz kleinen Unternehmen, Einzelunternehmern genauso zur Verfügung wie mittelständischen Unternehmen und sehr großen. Das weiten wir jetzt noch aus, aber es ist sofort da, und wir reden jetzt überall mit allen Banken, dass sie das Programm genau kennen und auch einsetzen können, denn das ist jetzt scharf geschaltet.
Das zweite ist, dass wir dafür Sorge tragen wollen, dass diejenigen, die jetzt plötzlich kein Einkommen mehr haben, eine Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu steht in Deutschland das System der Grundsicherung zur Verfügung, das ja für alle offen ist, nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Selbständige, und wir wollen jetzt sicherstellen, dass das aber nun in dieser Situation ganz schnell und unbürokratisch geschehen kann, zum Beispiel, indem wir auf die Vermögensprüfung, die normalerweise stattfindet, für ein paar Monate verzichten, so dass man seinen Antrag abgeben kann und sagen kann, was die Mietkosten sind, wie viele Familienangehörige da leben, und dann geht das ganz schnell.
Das dritte ist, dass wir dafür Sorge tragen wollen, dass jemand, der jetzt seine Miete weiterzahlen muss, im Geschäft zum Beispiel, dafür von uns einen Zuschuss bekommt. Darlehen, direkte Hilfe zum Lebensunterhalt und Zuschuss – drei Instrumente, die jetzt zur Verfügung stehen.
Heinemann: Sie haben gesagt, von uns. Wie praktisch kommen Solo-Selbständige an die von Ihnen skizzierten Hilfen?
Scholz: Was die Kredite betrifft, bei der Bank, bei der sie sowieso ein Konto haben, auch wenn das jetzt vielleicht nicht das Konto ist mit den größten Beständen. Die Bank ist eine gute Kundenbeziehung und die hat dann die Gelegenheit, sich an unsere Förderbank zu wenden, damit sie die Sicherheit hat, die der Kunde der Bank gegenwärtig vielleicht gar nicht in diesem Maße liefern kann.
Zweitens: Was die Grundsicherung betrifft, sind dafür die Jobcenter in Deutschland ausgerüstet. Die Bundesagentur und die Jobcenter sorgen jetzt dafür, dass auch genug Mitarbeiter und Technik diese Sachen bewältigen können und dass man vieles möglichst elektronisch machen kann.
Das vierte: die Direktförderung. Da diskutieren wir heute noch mit den Ländern über die Art und Weise, wie das geschehen soll. Da viele Länder in Deutschland auch Programme abwickeln, ist zum Beispiel die Idee, die wir heute zu Ende besprechen wollen, ob das nicht möglicherweise von den Förderbanken der Länder verwaltet werden kann, denn die machen dann ja auch die Förderprogramme der Länder, so dass man nicht sich an mehrere wenden muss. Meine Idealvorstellung ist, dass die Bank, bei der man sowieso wegen des Kredits nachfragt, diese Beziehung auch aufnimmt, so dass man da gar nicht selber hin muss, und das praktisch als Zuschuss gleich mit einrechnet in die Kreditvergabe.
Gemeinsames Vorgehen oberste Prämisse
Heinemann: Das heißt, trotz unterschiedlicher Geldquellen, Bund und Länder, streben Sie ein einheitliches Verfahren an?
Scholz: Wir wollen gemeinsam vorgehen. Ich habe mich mehrfach mit den Länderfinanzministern unterhalten. Ich habe zusammen mit der Kanzlerin mehrere Gespräche mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder und den Bürgermeistern der Stadtstaaten geführt. Das muss und wird dazu führen, dass das zusammen geht. Wir haben jetzt die Aufgabe, jeden Tag die Sachen vorzubereiten. Am Montag will das Bundeskabinett Beschlüsse fassen. Das heißt, das Wochenende wird mit viel Arbeit noch verbunden sein. Dann hoffen wir, dass der Deutsche Bundestag und der Bundesrat alles nächste Woche schon Gesetz werden lässt, so dass das sofort beginnen kann.
Heinemann: Herr Scholz, noch mal kurz zur Klärung. Welcher Teil der Hilfen muss zurückgezahlt werden?
Scholz: Wenn es Darlehen gibt, müssen sie zurückgezahlt werden. Die Hilfen zum Lebensunterhalt, die Grundsicherung muss nicht zurückgezahlt werden. Und die Zuschüsse natürlich auch nicht.
Heinemann: Herr Scholz, Sie können sich vorstellen staatliche Beteiligungen an Konzernen. Diese Meldung wird jetzt verbreitet. Wie genau stellen Sie sich das vor?
Scholz: Wir haben so was Ähnliches ja schon während der letzten Finanzkrise 2008/2009 gemacht, allerdings auf einen anderen Sektor, nämlich die Banken bezogen, und es kann schon sein, dass Unternehmen jetzt plötzlich Liquiditätsmängel haben. Die versuchen wir, mit unseren Kreditprogrammen zu begleiten, so dass das nicht sofort ein Problem wird. Aber irgendwann wird wahrscheinlich Eigenkapital fällig und dann sind wir bereit, mit dem Finanzmarkt-Stabilisierungsfonds, den wir vor über zehn Jahren eingesetzt haben, wieder unseren Beitrag zu leisten, so dass Eigenkapital jetzt aber in dem Fall für die Realwirtschaft zur Verfügung steht - die Unternehmen, wo unglaublich viele Männer und Frauen arbeiten und die jetzt zum Beispiel von einem Tag auf den anderen kein Geschäft mehr haben.
Bundesagentur für Arbeit hat große Rücklagen
Heinemann: Welche weiteren Erfahrungen aus der Bankenkrise können jetzt helfen?
Scholz: Ein Instrument, das ich damals als Arbeitsminister eingesetzt habe: die Kurzarbeit. Das heißt, die Förderung der Kurzarbeit. Das ist ja letztendlich ein Instrument, das dafür sorgt, dass obwohl keine Arbeit mehr da ist die Unternehmen ihre Beschäftigen nicht kündigen, weil wir im Prinzip einen Teil oder einen großen Teil der Lohnkosten übernehmen, so dass die Tatsache, wenn es gar keine Arbeit mehr gibt, dass es möglich ist, dass wir sehr, sehr viel von diesem Betrag auf die Rechnung der Bundesagentur für Arbeit nehmen. Die hat allerdings große Rücklagen. Das ist noch besser als in der letzten Finanzkrise. Wir haben damals in den zwei Jahren etwa fünf Milliarden Euro gebraucht. Jetzt hat aber die Bundesagentur über 20 Milliarden Rücklagen. Wir können also richtig helfen und wollen das auch.
Heinemann: Ihren Teil will auch die EZB leisten. 750 Milliarden Euro stellt die Europäische Zentralbank für den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen zur Verfügung. Finanziert die Bank damit indirekt Staatsdefizite?
Scholz: Nein! Sie stellt erst mal sicher, dass Liquidität auf den Finanzmärkten gewährleistet ist. Das ist die Zielsetzung, die ich verstanden habe und die auch so erklärt worden ist. Wir haben ja viele Aufgaben gleichzeitig zu gewährleisten. Aber eins muss immer sichergestellt sein, dass wir dafür sorgen, dass die Finanzmärkte, dass die Finanzierung der Staaten immer liquide funktioniert, und das kann die Zentralbank gut machen.
Wir in Deutschland haben jetzt weniger ein solches Problem, weil wir in den letzten Jahren sehr, sehr gut gewirtschaftet haben und unsere Staatsverschuldung auf unter 60 Prozent gerutscht ist. Das hilft uns jetzt in dieser Situation. Manche haben ja noch vor wenigen Wochen gesagt, das wäre eigentlich übertrieben, dass wir so darauf achten, dass wir ordentlich mit unserem Geld umgehen. Jetzt zeigt sich, da haben wir richtig gehandelt.
Schwarze Null - "Da macht sich niemand eine Illusion"
Heinemann: Warum stellt man mit Blick auf Italien zum Beispiel nicht Mittel aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung, aus dem ESM? Die sind an Auflagen gebunden.
Scholz: Der ESM ist erst mal da und das ist eine sehr, sehr gute Sache. Der hat in der letzten Finanzkrise ja anfangs gar nicht existiert. Wir haben da mit Vorläufern gearbeitet, die schnell gestrickt worden sind. Jetzt haben wir ein stabiles Instrument, das gewissermaßen in der Lage ist, tatsächlich Staaten bei der Staatsfinanzierung zu helfen, bei denen das hilfreich und notwendig ist. Das heißt aber nicht, dass man das sofort einsetzen muss, sondern dass man es jederzeit einsetzen kann, und wir beobachten die Lage alle gemeinsam. Das ist eine kollektive Aktion wo wir herausfinden, ob einige Staaten das brauchen oder nicht. Bis jetzt sagen sie, im Augenblick noch nicht.
Heinemann: Herr Scholz, was bleibt im Bundeshaushalt dieses und des kommenden Jahres von der schwarzen Null übrig?
Scholz: Ich glaube, da macht sich niemand eine Illusion. Wenn jetzt die Steuereinnahmen weniger werden, die Ausgaben größer werden, wir außerdem Sonderprogramme wie die, die wir eben diskutiert haben, auf den Weg bringen, dann werden wir nicht ohne zusätzliche Kreditaufnahme auskommen. Das weiß jeder genau und da redet auch keiner drum herum, und das verstehen sogar diejenigen, die das wie ich immer ganz wichtig gefunden haben, dass man in den Zeiten, in denen es einem gut geht, mit dem Geld sparsam wirtschaftet.
Heinemann: Das Ifo-Institut hält einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um sechs Prozent in diesem Jahr für möglich. Mit welchen Folgen?
Scholz: Gegenwärtig weiß niemand, auch kein Wissenschaftler und kein Politiker und kein Banker und kein Bürger genau, wie das Wirtschaftswachstum sich entwickeln wird und ob es einen solchen Rückgang der Wirtschaftsleistung geben wird. Aber wir müssen natürlich immer mit solchen Szenarien rechnen. Deshalb ist es auch gut, dass sie in die Öffentlichkeit gestellt werden, und das zeigt ja auch erst recht, wie richtig unsere Programme sind, denn wir müssen ja jetzt gemeinsam durch diese Situation kommen. Meine Haltung in dieser Frage ist ganz klar: Das Virus ist jetzt wirklich eine schicksalhafte Herausforderung für die ganze Menschheit und wir sollten spätestens jetzt lernen, dass wir als Menschen nur gut durch solche Situationen kommen, wenn wir zusammenhalten, und darum geht es in unserem Land, in Europa, aber auch auf der ganzen Welt.
"Corona-Partys sind ein schlechter Witz"
Heinemann: Apropos Zusammenhalten. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder werden am Sonntag über mögliche Ausgangsbeschränkungen beraten. Frage an den Vizekanzler: Erwarten Sie in Deutschland demnächst solche Beschränkungen?
Scholz: Ich hoffe, dass das nicht passiert. Das will ich ganz klar und sehr deutlich sagen. Denn das ist doch schwierig, wenn über sehr lange Zeit hinweg niemand das Haus verlassen kann, außer um zur Arbeit zu gehen oder schnell etwas einzukaufen. Deshalb hoffe ich auch, dass es jetzt ganz schnell gelingt zu zeigen, dass alle verstanden haben, dass das wirklich eine ernste Lage ist. Corona-Partys, von denen man hört, sind jetzt wirklich ein schlechter Witz - das muss man ausdrücklich sagen – und ein falscher und unberechtigter Mut, denn er unterstellt, dass es einem nichts anhaben kann. Das stimmt aber für niemanden. Wir müssen gewissermaßen sicherstellen, dass wir durch die Verlangsamung der Pandemie dafür Sorge tragen, dass es nicht passiert, dass unsere Kapazitäten in der medizinischen Versorgung nicht für jeden Fall geeignet sind. Deshalb bauen wir sie dramatisch aus, obwohl es schon die größten in ganz Europa sind und wir viel mehr Intensivbetten haben als viele andere. Es ist notwendig, dass wir das ausbauen, und das tun wir auch. Und ich hoffe natürlich auch, wenn man sich im öffentlichen Raum bewegt, im Park, in der Stadt, dass die Leute nicht in riesigen Gruppen zusammenstehen oder so, wie das sonst immer war, sondern auch ein bisschen alleine als Familie, als kleinste Gruppe, aber nicht in großen Zusammenballungen, denn das ist schon ernst. Wenn wir es nicht schaffen, die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu reduzieren, dann werden wir Herausforderungen haben, die schwerer zu bewältigen sind, als wenn wir es schaffen, und daran müssen wir jetzt alle miteinander arbeiten. Mein Appell: Keine Zusammenballungen im öffentlichen Raum. Dann kommen wir auch um so was herum.
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