Tunesien
Schon vor Öffnung der Wahllokale vermehrt Manipulation festgestellt - Beobachter sprechen von "Scheinwahlen"

In Tunesien findet morgen die Präsidentschaftswahl statt - und der Gewinner scheint schon festzustehen: Präsident Saied. Kritiker werfen ihm vor, die Demokratie im Land untergraben zu haben. Das "Middle East Democracy Center" (MEDC) zählte schon vor Öffnung der Wahllokale 60 Verstöße gegen die Grundsätze fairer und freier Wahlen.

    Kais Saied steht an einem Pult und schaut ernst an der Kamera vorbei.
    Kais Saied, seit Oktober 2019 Präsident von Tunesien (picture alliance / ZUMAPRESS / Tunisian Presidency)
    Wie die Nicht-Regierungsorganisation MEDC mit Sitz in den USA erklärte, geht die Regierung mit gerichtlichen Schikanen und der Disqualifizierung von Kandidaten gegen die Opposition vor. Bei der Pressefreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerungen habe es bis zuletzt außerdem 47 Verstöße gegeben, darunter Fälle von Unterdrückung politischer Ansichten und der Arbeit von Journalisten. Anders als in früheren Abstimmungen werden auch keine bedeutenden ausländischen Beobachtermissionen die Wahlen überwachen. Die Akkreditierungen mehrerer tunesischer Beobachter-Vereine wurden abgelehnt.

    Zwei Gegenkandidaten zugelassen - einer ist in Haft

    Für die Wahl sind neben dem Amtsinhaber Saied nur zwei weitere Kandidaten zugelassen: Erstens der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui, Vorsitzender der Partei Echaab, ein Vertrauter Saieds. Zweitens der liberale Ayachi Zammel der relativ unbekannten Bewegung Azimoun, welcher im Gefängnis sitzt. Mitte September wurde Zammel zu 20 Monaten Haft wegen Unterschriftfälschung verurteilt. Er bestreitet die Betrugsvorwürfe. Mehrere weitere mögliche Kandidaten bekamen gar nicht erst eine Zulassung oder wurden ebenfalls inhaftiert.
    Bei der Wahl 2019, die Saied gewann, waren noch 25 Kandidaten zugelassen. Saied hat seine Macht anschließend schrittweise ausgebaut. 2021 rief er in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden seitdem zunehmend unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, Dutzende Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.

    Saieds erste Amtsjahre: "Totengeläut" für Demokratieprozess

    Dabei begann in Tunesien nach den Massenprotesten von 2011 eigentlich bereits ein schrittweiser Übergang zur Demokratie. Doch Saieds erste fünf Amtsjahre seien das "Totengeläut" für diesen Prozess gewesen, schreibt die Denkfabrik "Crisis Group". Die neue Kampagne der Unterdrückung richte sich inzwischen nicht nur gegen Kritiker Saieds, sondern auch gegen Migranten, Organisationen zum Schutz von Migranten, Journalisten und Anwälte.
    Am Freitag demonstrierten in der Hauptstadt Tunis trotz drohender Repressionen Hunderte Menschen gegen eine weitere Regierungszeit von Saied.
    Diese Nachricht wurde am 05.10.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.