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Schonender als man denkt

Der Bandscheibenvorfall spielt eine zentrale Rolle auf der 61. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie in. Allein in Deutschland müssen rund 30.000 Patienten nach dieser Diagnose operiert werden. Ob operative Maßnahmen wirklich notwendig sind, ist allerdings umstritten.

Von Mirko Smiljani |
    Bandscheibenvorfälle sind die Hölle: Der Patient leidet unter enormen Schmerzen, er kann sich kaum bewegen, seine Beine und Füße fühlen sich taub an, manchmal treten gar Lähmungen auf. Die Symptome sind beeindruckend, obwohl so viel gar nicht passiert ist.

    Professor Andreas Unterberg, Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg und 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie:

    "Die Bandscheibe ist vereinfacht gesagt der Puffer zwischen zwei Wirbeln, genauer gesagt zwischen den Wirbelkörpern, und setzt sich aus zwei Dingen zusammen, aus einem Kern, der gallertik ist, der weich ist wie ein Kissen und auch komprimierbar, und ein Band, das den Gallertkern umfasst und was das Ganze zusammenhält und was letztlich auch die Wirbelkörper miteinander verbindet, das ist der Faserring. Und beim Bandscheibenvorfall kommt es zum Einreißen des Faserrings und zum Austritt dieses gallertigen Kernes, ..."

    ... der dann im Spinalkanal auf Nervenwurzeln oder - schlimmer noch - auf den Schlauch drückt, durch den die Nervenfasern laufen. Dadurch kommt es zu Reizungen, die wiederum die eingangs beschriebenen Symptome auslösen. Trotz aller Schmerzen und Handicaps ist aber die Angst vor einer Operation ausgesprochen groß. Zu Unrecht, sagt Unterberg, der zunächst einmal mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufräumt: Querschnittslähmungen nach Bandscheiben-OPs kommen praktisch nie vor.

    "Das ist, ich darf es salopp sagen, grober Unfug! Das kann praktisch nicht zustande kommen! Und ich habe das glücklicherweise in meiner mittlerweile 25-jährigen beruflichen Karriere noch nicht ein einziges Mal erlebt, das ist eine theoretische Gefahr."

    Hinzu kommt, dass die Operationsmethoden sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert haben. Verglichen mit den Verfahren von zehn oder 20 Jahren sind mikrochirurgische Bandscheibenoperationen heute ausgesprochen schonend.

    "Da wird über ein Schlüsselloch operiert mit Mikroinstrumenten und mit einem Operationsmikroskop, das ist der Standard mittlerweile, und das ist bereits so minimalinvasiv, wie zum Beispiel eine endoskopische Operation des Bauchraumes."

    Trotzdem möchte auch der Heidelberger Neurochirurg nicht jeden Bandscheibenpatienten operieren. Es komme auf eine genau Diagnose an. Operationen sind dann sofort angesagt, ...

    " ... wenn man akute Blasen-Mastdarmstörungen hat bei einem Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule oder im Bereich der Halswirbelsäule, wenn es zur akuten Schädigung von Armen und Beinen kommt, da muss man sagen, da muss sofort operiert werden, sonst droht bleibender Schaden, der nicht wieder rückgängig zu machen ist."

    Solche Indikationen sind glücklicherweise eher selten, weit häufiger stellen Ärzte Diagnosen, bei denen gewisse Spielräume bestehen.

    "Das ist zum Beispiel eine Lähmung, das heißt, das Bein kann nicht mehr richtig bewegt werden. Man kann nicht mehr richtig Treppensteigen, oder es kommt eine Armlähmung zustande, der Bizeps ist so schwach, dass der Arm nicht mehr richtig gehoben werden kann, ..."

    ... dann sollte man zwar operieren, manchmal verbessert sich die Situation aber auch ohne Eingriff. Entscheidend ist eine saubere Diagnose. Genau da hapert es aber. Andreas Unterberg möchte zum Beispiel den Bandscheibenvorfall sehr viel präziser von der Bandscheibenvorwölbung unterscheiden. Das klingt einfach, hat sich aber offensichtlich noch nicht wirklich herumgesprochen.

    "Häufig wird sowohl von Radiologen als auch von anderen Ärzten bereits die Bandscheibenvorwölbung bereits als Bandscheibenvorfall bezeichnet, und die Bandscheibenvorwölbung ist in der Regel keine gute Indikation, keine gute Grundlage, um eine Operation überhaupt in Erwägung zu ziehen."

    Fazit: Operationen an der Bandscheibe sind heute weit sicherer als noch vor einigen Jahren. Trotzdem sollte die Entscheidung nicht übers Knie gebrochen werden. Muss operiert werden, sind viele Sorgen unnötig. Querschnittgelähmt verlässt den OP sicher niemand.