Max Frisch war ein Mann des Aufbruchs, der fortwährenden Neubestimmung - oder wenigstens der Vorstellung, jederzeit neu anfangen zu können. Stirb und Werde. Biografien sind Särge; was sie einschließen, hat nie gelebt. So dachte er. Dass aus Anlass seines 100. Geburtstags jetzt ein ganzer Stoß biografischer Werke auf den Markt gekommen ist, würde ihn wohl nicht amüsieren. Verhindern hätte er es allerdings nicht können. Zwar kann man Tagebücher und Briefe für die unmittelbare Nachwelt sperren, was er auch getan hat; ein posthumes Biografieverbot hat noch niemand verhängt.
Max Frisch ist unter den großen toten Autoren einer der lebendigsten; er beschäftigt Schüler, die auf dem Gymnasium den "Homo Faber" vorgesetzt bekommen; er fesselt immer noch viele Leser; von beidem profitiert der Suhrkamp-Verlag ganz schön. Und er reizt auch die jungen Kollegen zur Auseinandersetzung, wie kürzlich eine Umfrage unter Schweizer Schriftstellern gezeigt hat: Da war keiner, dem dieser Autor gleichgültig gewesen wäre. Soviel zur Aktualität der Bücher. Warum aber interessiert sein Leben so? Frisch hat ja nicht, wie Joseph Conrad, die Welt umsegelt oder, wie Hemingway, gegen Feinde und große Tiere gekämpft. Viel "action" ist in dieser Biografie nicht zu finden. Wer Max Frischs Leben erzählen will, muss vor allem von der Entwicklung eines Bewusstseins erzählen, das möglichst viel Welt in sich aufnehmen wollte - vor allem in Gestalt von fremden Ländern und Frauen - und das Aufgenommene dann zum Ausdruck bringen wollte. In Frischs Bewusstsein spiegelt sich die Zeit, in seinem Werk findet sie zur Form.
Für den Biografen ergibt sich daraus die Versuchung, vom Geschriebenen auf das Gelebte zu schließen, manchmal ein Kurzschluss. Dazu kommt ein spezielles Handicap: Max Frisch hat sein eigenes biografisches Material mit einem Scharfsinn und einer Formulierungskraft behandelt, hinter die jeder Biograf nur zurückfallen kann. Wo der biografische Hase hinläuft, der Igel Frisch ist schon da gewesen.
Am wenigsten Schwierigkeiten bereitet diese Situation dem Bildbiografen. Volker Hage, Spiegel-Redakteur und vor vielen Jahren schon Autor einer Frisch-Monografie bei rororo, hat mehr als 300 Fotos zusammengestellt, aus öffentlich zugänglichen, aber auch aus privaten Quellen. Mit zunehmender Faszination blättert man in dem Band. Man sieht den Zweijährigen in einem Fotoatelier, den Zehnjährigen rudernd auf dem Zürichsee, den jungen Architekten, den Soldaten, den Bergwanderer, den Schwimmer im eigenen Pool, einmal hat er aus Spaß die Badehose wie eine Mütze auf den Kopf gesetzt. Frischs Frauen, Geliebte, Kinder, Freunde sind abgebildet, auch sein Jaguar, Seite an Seite mit dem seines Verlegers Siegfried Unseld. Auch so entsteht das Bild eines Menschen.
Von einigem Gewicht sind die drei Gespräche im Anhang, die Hage seinerzeit für seine Monografie mit Frisch geführt hat und in diesem Band erstmals veröffentlicht. Sie üben in ihrer vollkommen unschuldigen und unbearbeiteten Offenheit einen starken Reiz aus:
"Ich habe gern Fußball gespielt. Ich wollte in der Nationalmannschaft Mittelstürmer oder Torwart werden, also nicht irgendeiner. Ich war arrogant, hatte aber eine große Angst: Ich glaubte, mein Penis sei zu groß, und wenn ich aufs Feld komme, so lacht die ganze Tribüne. Dieser Größenwahn! Im Fußballerischen wie im Sexuellen. Ich hatte keine Ahnung damals. Wir gingen in die ersten Liebesbeziehungen hinein und mussten das alles von A bis Z lernen. (...) Es hat gedauert, bis ich überhaupt gelernt habe, dass die Frau den Beischlaf auch will. Ich hatte immer dieses schlechte Gefühl: Jetzt habe ich dieses Mädchen so wahnsinnig gern, wie eine Prinzessin. Wenn Sie mein Ansinnen wüsste! Wie würde sie entsetzt sein! Es war ein Schock, wenn eine Frau einladend und aktiv wurde. Was bedeutete das? War sie eine Hure? Die Frau musste die Koketterie durchhalten, das Nein bis zum Koitus."
Die Frage, welche der neuen Biografien Frisch gemocht hätte, wenn überhaupt, kann nicht entscheidend für ihre Bewertung sein. Aber zweifellos wäre er entsetzt gewesen über den Zugang, den Ingeborg Gleichauf gewählt hat. Sie hat bereits das Leben von Simone de Beauvoir und Hannah Arendt für ein jüngeres Publikum aufbereitet und versucht dies auch mit Frisch. Der Versuch geht, wenn man so sagen darf, vollkommen in die Hose. Weder wird sie dem Autor gerecht noch ihren Lesern. Das liegt an einem mal betulichen, mal kumpelhaften, mal pseudojugendlichen Ton, der Sätze hervorbringt wie die folgenden:
"Mit Frisch und Bachmann kann man lange Nächte erleben, in denen intensive Gespräche geführt werden, in denen man aber auch herrlich lacht und Spaß hat. Wer sie so erlebt, denkt: ein ideales Paar. Die andere Seite: Es kracht immer wieder zwischen den beiden ..."
Ja, denkt der junge Leser, Frisch und die Bachmann - das waren also Menschen wie du und ich, mit Spaß und Krach. Weniger menschelnd geht es bei Beatrice von Matt zu. Die einstige Literaturredakteurin der Neuen Zürcher Zeitung und Ehefrau Peter von Matts, des brillanten Schweizer Germanisten, der auch Präsident der Frisch-Stiftung ist, die über den Nachlass wacht - Beatrice von Matt hat Max Frisch noch gekannt. Im ersten und persönlichsten der im Band "Mein Name sei Frisch" versammelten Aufsätze verbindet sie Erinnerungen mit dem Versuch eines Psychogramms.
"Bei jeder Begegnung mit Frisch hatte ich die Empfindung, noch nie einen so verletzlichen und so menschlichen Menschen, gleichzeitig einen von so heller, harter Konsequenz gekannt zu haben. Ich ahnte auch, dass seine Unerbittlichkeit mit einer Gefährdung, dem drohenden Chaos im Innern zu tun hatte. (...) Die geglückte Form eines einzelnen Satzes war für ihn die Rettung vor dem Irrsinn der Unordnung."
Der gewichtigste Beitrag zum Frisch-Jahr ist zweifellos die Biografie von Julian Schütt. Seit vielen Jahren hat der Zürcher Germanist und Journalist daran gearbeitet, viele, die davon wussten, haben an ihre Vollendung gar nicht mehr geglaubt. Vollendet ist sie auch jetzt nicht: Sie bricht nach dem "Stiller" und dem Durchbruch Frischs zum "Weltautor" ab. Julian Schütt erklärt die Not, nur eine halbe Biografie vorgelegt zu haben, nicht ungeschickt zur Tugend: Zum einen sei für die spätere Lebensphase die Quellenlage zu "uneinheitlich" (mit anderen Worten: wichtige Tagebücher und Briefkonvolute sind noch nicht zugänglich). Zum anderen wolle er das Leben zeigen, wenn es noch im Fluss sei. So sei es eine "Biografie der Anfänge" geworden -was ja passe, weil Frisch auch immer wieder einen neuen Anfang gesucht habe. Nun ja.
Trotz dieses Etiketts: Schütt presst seinen Mann nicht auf das Prokrustesbett einer These, sondern folgt geduldig und sorgfältig dem, was die Dokumente hergeben. Und von denen gibt es wahrlich genug. Schütt hat sich durch das überaus umfangreiche Material gepflügt, das im Max-Frisch-Archiv der ETH in Zürich liegt, vor allem durch die Briefe und die Notizhefte. Er hat in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten Gespräche mit Freunden, Verwandten, Geliebten geführt, die zum Teil inzwischen gestorben sind, und versucht, die gewissermaßen offiziöse Version verschiedener Ereignisse und Episoden seines Lebens - also die definitive Form, die ihnen Frisch schriftlich gegeben hat - mit anderen Sichtweisen zu ergänzen. Das führt natürlich nicht dazu, und Schütt beansprucht das auch gar nicht, nun wüsste man endlich, wie es wirklich und eigentlich gewesen sei.
Aber es entsteht ein viel genaueres, viel differenzierteres Bild. So gab ihm Käte Rubensohn, die jüdische Verlobte der Dreißiger Jahre, Einblick in ihre unveröffentlichten Erinnerungen. Constanze von Meyenburg, genannt Trudy, Frischs erste Ehefrau, gab freimütig Auskunft über die komplizierte Ehe mit dem Mann, der nicht an die Ehe glaubte. Hier legt Schütt seine interpretatorische Zurückhaltung einmal ab; er weiß genau, warum aus dieser Verbindung nichts werden konnte.
"Die Beziehung kam nie ganz aus dem Anfangsstadium heraus, als sie ein perfekt funktionierendes Arbeitsteam waren - er der frischgebackene Chef, Constanze seine fünf Jahre jüngere Helferin."
Und weiter:
"Er versuchte stärker zu sein als die Natur, es ging nicht. Der Sex stimmte nicht. So kam früh Trennendes in die Beziehung."
Auf einen inneren Vorbehalt deutet auch das grafologische Gutachten, das Frisch heimlich vor der Hochzeit anfertigen ließ: Ob Trudy und er denn wirklich zur Ehe taugten? Er zumindest, das zeigte sich dann, taugte, trotz aller Bemühungen, nicht. Nach fünf Jahren Ehe verliebte er sich 1947 auf einer Berlin-Reise gleich am ersten Abend.
"Die Frau hieß Margot Schaake, war verheiratet, aber das war er auch. Sie war mit zwei anderen Frauen anwesend, anderntags hatte Frisch Mühe, die drei Frauen auseinanderzuhalten. Er erinnerte sich nur noch, dass er einmal vor ihnen niederkniete und eine Rede an die Frau hielt, an die er sich auch nicht mehr erinnerte. Aber er wachte am anderen Morgen nicht allein im Bett auf, Margot lag neben ihm, und Frisch verbrachte die nächsten Tage in Berlin meist mit ihr, äußerte sich im Notizheft euphorisch wie selten: 'Herrgott, ich bin glücklich, ganz warm und mit kalter Haut, die der Wind erfrischt hat, und glücklich wie seit Jahren nicht mehr. Wie ist sie herrlich! Wir werden uns wiedersehen, morgen, übermorgen; unsere Zeit ist kurz, lang die Erinnerung.' Sie schenkte ihm eine Leichtigkeit, die er verloren wähnte. 'Wir kennen uns rein gar nicht', sagte sie einmal, 'ich finde das schön'. Ein Satz, der Frisch vor Begeisterung den Atem nahm."
Über die nächsten Affären wusste Trudy dann Bescheid; bis er die Familie endgültig verließ, 1954, dauerte es noch einige quälende Jahre. Und dann ist Schütts Biografie auch schon zu Ende. Sie stellt uns keinen Unbekannten vor. Aber so genau wie hier hat man den Autor noch nie kennenlernen können. Frisch war kein "Erfinder" wie sein Antipode Dürrenmatt; er musste erlebt haben, was er schreiberisch verwandelte. Er musste sich mit Erlebnissen befeuern: mit Reisen ins zerstörte Deutschland, ins verwüstete Polen, ins stolze Amerika; mit großen Figuren wie Bert Brecht, Peter Suhrkamp, Kurt Hirschfeld. Die wichtigsten Lebenserfahrungen und Selbsterkenntnisse aber waren, auch wenn Schütt das nicht so ausspricht, die erotischen. Ein zweiter Teil, wenn er denn je geschrieben würde, verspräche da noch manches.
Manches Detail fördert der Biograf über den Journalisten Frisch zutage, der in den 30er-Jahren vor allem für die NZZ schrieb. Wenn er Literatur rezensierte, machte er einen Bogen um den politischen Gehalt der besprochenen Bücher, selbst bei Emigranten. Auch dem Zürcher "Emigrantentheater" - dem er später so viel Erfolge verdanken würde - stand er anfangs ablehnend gegenüber. Ein etwas mainstreamiger, politisch naiver, leicht chauvinistischer junger Mann tritt uns hier entgegen. Aus dem wurde spätestens mit Kriegsende einer der scharfsichtigsten, auch gegen eigene Versäumnisse unbarmherzigsten Zeitkritiker.
Schon 1941 erfuhr Frisch von einem ehemaligen Zeichenlehrer von Massakern an Juden im Osten, behielt das grauenvolle Wissen aber für sich - aus Scham? aus Unglauben? Wenn er früher und heftiger als andere der Schweiz vorwarf, dem Mördersystem Juden ausgeliefert und mit ihm unverdrossen Geschäfte gemacht zu haben, dann ging der Vorwurf wohl auch an die eigene Adresse, an die eigene frühere Leisetreterei gegenüber Deutschland, wo er seine Romane weiter verkaufen wollte.
Frischs Zeitungstexte können als Frühform des Ego-Journalismus betrachtet werden; auch deshalb, so Schütt, waren sie so erfolgreich. Als Ego-Biografen wiederum könnte man Volker Weidermann bezeichnen, Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und bekannt für einen subjektiven Zugang zu seinen Objekten. Dass er Max Frisch nicht nur schätzt und bewundert, sondern regelrecht liebt, hat er schon in seiner Literaturgeschichte "Lichtjahre" bekannt. Auch seine neue Frisch-Biografie ist von dieser Emphase geprägt. Die Liebe macht ihn aber nicht blind und auch nicht nachsichtig. Nicht dem Mann und nicht dem Werk gegenüber. Es gibt nicht viele Biografien großer Autoren, in denen man so viele harsche Urteile findet wie in Weidermanns "Max Frisch". "Stark gefühlt und schwach gestaltet"" heißt es über frühe Naturtexte, "ziemlich schauderhaft" über den Roman "Jürg Reinhart". Vor "Antwort aus der Stille" warnt er ausdrücklich und heftig mit den Worten:
"Freunde von Frisch - seht euch dieses Buch nicht an!"
Des Kritikers Bannstrahl trifft nicht nur den frühen, den "Frisch vor Frisch", sondern auch Erfolgsstücke wie "Biedermann und die Brandstifter" oder "Andorra". Dafür kann Weidermann aber auch ungeheuer loben. Der Roman "Stiller" ist für ihn "ein Hammer", das Stück "Biografie. Ein Spiel" findet er schlicht "genial". Kurz: Temperament und Urteilsfreude des Kritikers hat der Biograf nicht an der Garderobe abgegeben. Der Boden, auf dem er sein Urteil gründet, ist die Nachwelt: Vor der muss sich auch der Jahrhundert- , der Weltautor bewähren. Was diesen für Weidermann frisch und aktuell hält, ist seine Verquickung des Allerpersönlichsten mit dem Politischen. Frisch war, in Dürrenmatts berühmten Worten, einer, der seinen Fall zur Welt gemacht hat. In den Tagebüchern hat er dafür die perfekte Form gefunden.
Es war ein langer Weg bis dahin, darauf legt auch diese Biografie Wert. Frisch war ein Spätentwickler, der immer wieder zweifelte und zwischendurch das Schreiben ganz aufgab. Zu sich, zu seiner Sprache fand er erst 1944/45, mit "Bin oder die Reise nach Peking", für Weidermann "die Geburt des Schriftstellers Max Frisch, wie wir ihn kennen". Es sei aufregend, ihn in diesen "Jahren der Neuerfindung" zu beobachten.
Aufregend ist es auch für den Leser dieser Biografie, weil ihm der pathetische, der unpolitische, gar der chauvinistische Frisch der Zeit davor kaum bekannt gewesen sein dürfte. Weidermann führt ihn mit ein paar unschönen Sätzen vor, wie er seinen Blick auch nicht von den unangenehmen Seiten des Menschen abwendet. Die egoistische Kälte, die aus Briefen an die Mutter spricht; das Desinteresse an den Kindern (das die älteste Tochter Ursula Priess schon in ihrem Buch "Sturz durch alle Spiegel" aus ihrer Sicht reflektiert hat). Der Frauenverbrauch, wobei Weidermann keiner vermufften Moral anhängt, sondern nüchtern die Konsequenzen für Betroffene betrachtet. Die von Nahestehenden berichteten Wutanfälle und "Hinrichtungsmonologe". Auch eine Art Hinrichtung ist ja die schriftliche Abrechnung mit dem Freund Werner Coninx.
Das ist vielleicht der böseste Text von Max Frisch. Die Geschichte eines Leidens unter einer totalen Überlegenheit in allen Bereichen des Lebens. Alles steht darin, die Anzüge, das Geld, das Lächeln, die wertvolleren Probleme des Freundes. Es ist ein unglaublich zynischer Text, der die Überlegenheit des anderen ins Göttliche überhöht und damit etwas hilflos versucht, ihn lächerlich zu machen. Eine Abrechnung, wie sie Frisch nur einmal geschrieben hat. Und alles endet so: ' Ich meine, dass die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und das W. nichts dafür kann. Hätte ich mich ihm weniger unterworfen, es wäre ergiebiger gewesen, auch für ihn.' Der beste Freund für lange Jahre - ein fundamentales Unheil. Es steht auf keinem guten Fundament, ein Leben, wenn der einst vertrauteste Mensch im Rückblick als grundlegendes Lebensunheil beschrieben wird.
Frischs Verleger Siegfried Unseld hat berichtet, wie Frisch ihn, wegen einer angeblich unangemessen ausgerichteten Geburtstagsfeier, fürchterlich zusammengestaucht hat. Unselds Sohn Joachim nennt Frisch im Gespräch mit Weidermann gar schlankweg ein Ekel. Vielleicht am problematischsten für die Betroffenen, aber auch am unausweichlichsten für den Schriftsteller Frisch war die Verwendung der Menschen, mit denen er lebte, als Material für seine Bücher. Ingeborg Bachmann war tödlich getroffen, als sie sich im "Gantenbein" wiederzuerkennen glaubte. Marianne Frisch, die zweite Ehefrau, durfte in "Montauk" lesen, wie ihr Mann seine Affäre mit der jungen Alice Locke-Carey ausbreitete und auch sie selbst bloßstellte.
Die Veröffentlichung von "Montauk", ganz allgemein: Das "Alles-schreiben-Können" war ihm wichtiger als jede menschliche Beziehung. Das ist künstlerischer Egoismus, von dem wir Leser profitieren; in Frischs Fall noch dazu waren es die Konsequenz seines speziellen Schreibprogramms, seinen Fall zur Welt zu machen. Das Großartige an Frischs Werken wird erkauft nicht nur mit dem Wahrheitsfanatismus des Autors gegenüber sich selbst, sondern auch mit völliger Schonungslosigkeit gegenüber den Nächsten. Beides kommt in seiner ganzen Ambivalenz in Volker Weidermanns Biografie gut zum Ausdruck. Sein Stil ist flott, aber nicht ranschmeißerisch. Tiefschürfende Werkinterpretationen bietet Weidermann nicht. Sein Buch kommt, anders als der stärker der Wissenschaft verpflichtete Julian Schütt, auch ganz ohne Fußnoten aus. Weidermann fehlt Schütts umfassende Materialkenntnis; für Frisch-Experten hat er wenig Neues zu bieten. Dafür hat er zwei andere Dinge zu bieten: das Temperament - und dass sein Frisch eben kein halber, sondern ein ganzer Frisch ist.
Julian Schütt: Max Frisch. Biografie eines Anfangs. Suhrkamp, Berlin 2011. 410 S., 22,90 Euro
Volker Hage (Hrsg): Max Frisch. Sein Leben in Bildern und Texten. Suhrkamp, Berlin 2011. 257 S., 24,90 Euro
Volker Weidermann: Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 405 S., 22,95 Euro
Beatrice von Matt: Mein Name ist Frisch. Nagel & Kimche, Zürich 2011. 160 S., 15,90 Euro
Ingeborg Gleichauf: Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch - eine Biografie. Nagel & Kimche, Zürich 2010. 270 S., 18,90 Euro.
Max Frisch ist unter den großen toten Autoren einer der lebendigsten; er beschäftigt Schüler, die auf dem Gymnasium den "Homo Faber" vorgesetzt bekommen; er fesselt immer noch viele Leser; von beidem profitiert der Suhrkamp-Verlag ganz schön. Und er reizt auch die jungen Kollegen zur Auseinandersetzung, wie kürzlich eine Umfrage unter Schweizer Schriftstellern gezeigt hat: Da war keiner, dem dieser Autor gleichgültig gewesen wäre. Soviel zur Aktualität der Bücher. Warum aber interessiert sein Leben so? Frisch hat ja nicht, wie Joseph Conrad, die Welt umsegelt oder, wie Hemingway, gegen Feinde und große Tiere gekämpft. Viel "action" ist in dieser Biografie nicht zu finden. Wer Max Frischs Leben erzählen will, muss vor allem von der Entwicklung eines Bewusstseins erzählen, das möglichst viel Welt in sich aufnehmen wollte - vor allem in Gestalt von fremden Ländern und Frauen - und das Aufgenommene dann zum Ausdruck bringen wollte. In Frischs Bewusstsein spiegelt sich die Zeit, in seinem Werk findet sie zur Form.
Für den Biografen ergibt sich daraus die Versuchung, vom Geschriebenen auf das Gelebte zu schließen, manchmal ein Kurzschluss. Dazu kommt ein spezielles Handicap: Max Frisch hat sein eigenes biografisches Material mit einem Scharfsinn und einer Formulierungskraft behandelt, hinter die jeder Biograf nur zurückfallen kann. Wo der biografische Hase hinläuft, der Igel Frisch ist schon da gewesen.
Am wenigsten Schwierigkeiten bereitet diese Situation dem Bildbiografen. Volker Hage, Spiegel-Redakteur und vor vielen Jahren schon Autor einer Frisch-Monografie bei rororo, hat mehr als 300 Fotos zusammengestellt, aus öffentlich zugänglichen, aber auch aus privaten Quellen. Mit zunehmender Faszination blättert man in dem Band. Man sieht den Zweijährigen in einem Fotoatelier, den Zehnjährigen rudernd auf dem Zürichsee, den jungen Architekten, den Soldaten, den Bergwanderer, den Schwimmer im eigenen Pool, einmal hat er aus Spaß die Badehose wie eine Mütze auf den Kopf gesetzt. Frischs Frauen, Geliebte, Kinder, Freunde sind abgebildet, auch sein Jaguar, Seite an Seite mit dem seines Verlegers Siegfried Unseld. Auch so entsteht das Bild eines Menschen.
Von einigem Gewicht sind die drei Gespräche im Anhang, die Hage seinerzeit für seine Monografie mit Frisch geführt hat und in diesem Band erstmals veröffentlicht. Sie üben in ihrer vollkommen unschuldigen und unbearbeiteten Offenheit einen starken Reiz aus:
"Ich habe gern Fußball gespielt. Ich wollte in der Nationalmannschaft Mittelstürmer oder Torwart werden, also nicht irgendeiner. Ich war arrogant, hatte aber eine große Angst: Ich glaubte, mein Penis sei zu groß, und wenn ich aufs Feld komme, so lacht die ganze Tribüne. Dieser Größenwahn! Im Fußballerischen wie im Sexuellen. Ich hatte keine Ahnung damals. Wir gingen in die ersten Liebesbeziehungen hinein und mussten das alles von A bis Z lernen. (...) Es hat gedauert, bis ich überhaupt gelernt habe, dass die Frau den Beischlaf auch will. Ich hatte immer dieses schlechte Gefühl: Jetzt habe ich dieses Mädchen so wahnsinnig gern, wie eine Prinzessin. Wenn Sie mein Ansinnen wüsste! Wie würde sie entsetzt sein! Es war ein Schock, wenn eine Frau einladend und aktiv wurde. Was bedeutete das? War sie eine Hure? Die Frau musste die Koketterie durchhalten, das Nein bis zum Koitus."
Die Frage, welche der neuen Biografien Frisch gemocht hätte, wenn überhaupt, kann nicht entscheidend für ihre Bewertung sein. Aber zweifellos wäre er entsetzt gewesen über den Zugang, den Ingeborg Gleichauf gewählt hat. Sie hat bereits das Leben von Simone de Beauvoir und Hannah Arendt für ein jüngeres Publikum aufbereitet und versucht dies auch mit Frisch. Der Versuch geht, wenn man so sagen darf, vollkommen in die Hose. Weder wird sie dem Autor gerecht noch ihren Lesern. Das liegt an einem mal betulichen, mal kumpelhaften, mal pseudojugendlichen Ton, der Sätze hervorbringt wie die folgenden:
"Mit Frisch und Bachmann kann man lange Nächte erleben, in denen intensive Gespräche geführt werden, in denen man aber auch herrlich lacht und Spaß hat. Wer sie so erlebt, denkt: ein ideales Paar. Die andere Seite: Es kracht immer wieder zwischen den beiden ..."
Ja, denkt der junge Leser, Frisch und die Bachmann - das waren also Menschen wie du und ich, mit Spaß und Krach. Weniger menschelnd geht es bei Beatrice von Matt zu. Die einstige Literaturredakteurin der Neuen Zürcher Zeitung und Ehefrau Peter von Matts, des brillanten Schweizer Germanisten, der auch Präsident der Frisch-Stiftung ist, die über den Nachlass wacht - Beatrice von Matt hat Max Frisch noch gekannt. Im ersten und persönlichsten der im Band "Mein Name sei Frisch" versammelten Aufsätze verbindet sie Erinnerungen mit dem Versuch eines Psychogramms.
"Bei jeder Begegnung mit Frisch hatte ich die Empfindung, noch nie einen so verletzlichen und so menschlichen Menschen, gleichzeitig einen von so heller, harter Konsequenz gekannt zu haben. Ich ahnte auch, dass seine Unerbittlichkeit mit einer Gefährdung, dem drohenden Chaos im Innern zu tun hatte. (...) Die geglückte Form eines einzelnen Satzes war für ihn die Rettung vor dem Irrsinn der Unordnung."
Der gewichtigste Beitrag zum Frisch-Jahr ist zweifellos die Biografie von Julian Schütt. Seit vielen Jahren hat der Zürcher Germanist und Journalist daran gearbeitet, viele, die davon wussten, haben an ihre Vollendung gar nicht mehr geglaubt. Vollendet ist sie auch jetzt nicht: Sie bricht nach dem "Stiller" und dem Durchbruch Frischs zum "Weltautor" ab. Julian Schütt erklärt die Not, nur eine halbe Biografie vorgelegt zu haben, nicht ungeschickt zur Tugend: Zum einen sei für die spätere Lebensphase die Quellenlage zu "uneinheitlich" (mit anderen Worten: wichtige Tagebücher und Briefkonvolute sind noch nicht zugänglich). Zum anderen wolle er das Leben zeigen, wenn es noch im Fluss sei. So sei es eine "Biografie der Anfänge" geworden -was ja passe, weil Frisch auch immer wieder einen neuen Anfang gesucht habe. Nun ja.
Trotz dieses Etiketts: Schütt presst seinen Mann nicht auf das Prokrustesbett einer These, sondern folgt geduldig und sorgfältig dem, was die Dokumente hergeben. Und von denen gibt es wahrlich genug. Schütt hat sich durch das überaus umfangreiche Material gepflügt, das im Max-Frisch-Archiv der ETH in Zürich liegt, vor allem durch die Briefe und die Notizhefte. Er hat in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten Gespräche mit Freunden, Verwandten, Geliebten geführt, die zum Teil inzwischen gestorben sind, und versucht, die gewissermaßen offiziöse Version verschiedener Ereignisse und Episoden seines Lebens - also die definitive Form, die ihnen Frisch schriftlich gegeben hat - mit anderen Sichtweisen zu ergänzen. Das führt natürlich nicht dazu, und Schütt beansprucht das auch gar nicht, nun wüsste man endlich, wie es wirklich und eigentlich gewesen sei.
Aber es entsteht ein viel genaueres, viel differenzierteres Bild. So gab ihm Käte Rubensohn, die jüdische Verlobte der Dreißiger Jahre, Einblick in ihre unveröffentlichten Erinnerungen. Constanze von Meyenburg, genannt Trudy, Frischs erste Ehefrau, gab freimütig Auskunft über die komplizierte Ehe mit dem Mann, der nicht an die Ehe glaubte. Hier legt Schütt seine interpretatorische Zurückhaltung einmal ab; er weiß genau, warum aus dieser Verbindung nichts werden konnte.
"Die Beziehung kam nie ganz aus dem Anfangsstadium heraus, als sie ein perfekt funktionierendes Arbeitsteam waren - er der frischgebackene Chef, Constanze seine fünf Jahre jüngere Helferin."
Und weiter:
"Er versuchte stärker zu sein als die Natur, es ging nicht. Der Sex stimmte nicht. So kam früh Trennendes in die Beziehung."
Auf einen inneren Vorbehalt deutet auch das grafologische Gutachten, das Frisch heimlich vor der Hochzeit anfertigen ließ: Ob Trudy und er denn wirklich zur Ehe taugten? Er zumindest, das zeigte sich dann, taugte, trotz aller Bemühungen, nicht. Nach fünf Jahren Ehe verliebte er sich 1947 auf einer Berlin-Reise gleich am ersten Abend.
"Die Frau hieß Margot Schaake, war verheiratet, aber das war er auch. Sie war mit zwei anderen Frauen anwesend, anderntags hatte Frisch Mühe, die drei Frauen auseinanderzuhalten. Er erinnerte sich nur noch, dass er einmal vor ihnen niederkniete und eine Rede an die Frau hielt, an die er sich auch nicht mehr erinnerte. Aber er wachte am anderen Morgen nicht allein im Bett auf, Margot lag neben ihm, und Frisch verbrachte die nächsten Tage in Berlin meist mit ihr, äußerte sich im Notizheft euphorisch wie selten: 'Herrgott, ich bin glücklich, ganz warm und mit kalter Haut, die der Wind erfrischt hat, und glücklich wie seit Jahren nicht mehr. Wie ist sie herrlich! Wir werden uns wiedersehen, morgen, übermorgen; unsere Zeit ist kurz, lang die Erinnerung.' Sie schenkte ihm eine Leichtigkeit, die er verloren wähnte. 'Wir kennen uns rein gar nicht', sagte sie einmal, 'ich finde das schön'. Ein Satz, der Frisch vor Begeisterung den Atem nahm."
Über die nächsten Affären wusste Trudy dann Bescheid; bis er die Familie endgültig verließ, 1954, dauerte es noch einige quälende Jahre. Und dann ist Schütts Biografie auch schon zu Ende. Sie stellt uns keinen Unbekannten vor. Aber so genau wie hier hat man den Autor noch nie kennenlernen können. Frisch war kein "Erfinder" wie sein Antipode Dürrenmatt; er musste erlebt haben, was er schreiberisch verwandelte. Er musste sich mit Erlebnissen befeuern: mit Reisen ins zerstörte Deutschland, ins verwüstete Polen, ins stolze Amerika; mit großen Figuren wie Bert Brecht, Peter Suhrkamp, Kurt Hirschfeld. Die wichtigsten Lebenserfahrungen und Selbsterkenntnisse aber waren, auch wenn Schütt das nicht so ausspricht, die erotischen. Ein zweiter Teil, wenn er denn je geschrieben würde, verspräche da noch manches.
Manches Detail fördert der Biograf über den Journalisten Frisch zutage, der in den 30er-Jahren vor allem für die NZZ schrieb. Wenn er Literatur rezensierte, machte er einen Bogen um den politischen Gehalt der besprochenen Bücher, selbst bei Emigranten. Auch dem Zürcher "Emigrantentheater" - dem er später so viel Erfolge verdanken würde - stand er anfangs ablehnend gegenüber. Ein etwas mainstreamiger, politisch naiver, leicht chauvinistischer junger Mann tritt uns hier entgegen. Aus dem wurde spätestens mit Kriegsende einer der scharfsichtigsten, auch gegen eigene Versäumnisse unbarmherzigsten Zeitkritiker.
Schon 1941 erfuhr Frisch von einem ehemaligen Zeichenlehrer von Massakern an Juden im Osten, behielt das grauenvolle Wissen aber für sich - aus Scham? aus Unglauben? Wenn er früher und heftiger als andere der Schweiz vorwarf, dem Mördersystem Juden ausgeliefert und mit ihm unverdrossen Geschäfte gemacht zu haben, dann ging der Vorwurf wohl auch an die eigene Adresse, an die eigene frühere Leisetreterei gegenüber Deutschland, wo er seine Romane weiter verkaufen wollte.
Frischs Zeitungstexte können als Frühform des Ego-Journalismus betrachtet werden; auch deshalb, so Schütt, waren sie so erfolgreich. Als Ego-Biografen wiederum könnte man Volker Weidermann bezeichnen, Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und bekannt für einen subjektiven Zugang zu seinen Objekten. Dass er Max Frisch nicht nur schätzt und bewundert, sondern regelrecht liebt, hat er schon in seiner Literaturgeschichte "Lichtjahre" bekannt. Auch seine neue Frisch-Biografie ist von dieser Emphase geprägt. Die Liebe macht ihn aber nicht blind und auch nicht nachsichtig. Nicht dem Mann und nicht dem Werk gegenüber. Es gibt nicht viele Biografien großer Autoren, in denen man so viele harsche Urteile findet wie in Weidermanns "Max Frisch". "Stark gefühlt und schwach gestaltet"" heißt es über frühe Naturtexte, "ziemlich schauderhaft" über den Roman "Jürg Reinhart". Vor "Antwort aus der Stille" warnt er ausdrücklich und heftig mit den Worten:
"Freunde von Frisch - seht euch dieses Buch nicht an!"
Des Kritikers Bannstrahl trifft nicht nur den frühen, den "Frisch vor Frisch", sondern auch Erfolgsstücke wie "Biedermann und die Brandstifter" oder "Andorra". Dafür kann Weidermann aber auch ungeheuer loben. Der Roman "Stiller" ist für ihn "ein Hammer", das Stück "Biografie. Ein Spiel" findet er schlicht "genial". Kurz: Temperament und Urteilsfreude des Kritikers hat der Biograf nicht an der Garderobe abgegeben. Der Boden, auf dem er sein Urteil gründet, ist die Nachwelt: Vor der muss sich auch der Jahrhundert- , der Weltautor bewähren. Was diesen für Weidermann frisch und aktuell hält, ist seine Verquickung des Allerpersönlichsten mit dem Politischen. Frisch war, in Dürrenmatts berühmten Worten, einer, der seinen Fall zur Welt gemacht hat. In den Tagebüchern hat er dafür die perfekte Form gefunden.
Es war ein langer Weg bis dahin, darauf legt auch diese Biografie Wert. Frisch war ein Spätentwickler, der immer wieder zweifelte und zwischendurch das Schreiben ganz aufgab. Zu sich, zu seiner Sprache fand er erst 1944/45, mit "Bin oder die Reise nach Peking", für Weidermann "die Geburt des Schriftstellers Max Frisch, wie wir ihn kennen". Es sei aufregend, ihn in diesen "Jahren der Neuerfindung" zu beobachten.
Aufregend ist es auch für den Leser dieser Biografie, weil ihm der pathetische, der unpolitische, gar der chauvinistische Frisch der Zeit davor kaum bekannt gewesen sein dürfte. Weidermann führt ihn mit ein paar unschönen Sätzen vor, wie er seinen Blick auch nicht von den unangenehmen Seiten des Menschen abwendet. Die egoistische Kälte, die aus Briefen an die Mutter spricht; das Desinteresse an den Kindern (das die älteste Tochter Ursula Priess schon in ihrem Buch "Sturz durch alle Spiegel" aus ihrer Sicht reflektiert hat). Der Frauenverbrauch, wobei Weidermann keiner vermufften Moral anhängt, sondern nüchtern die Konsequenzen für Betroffene betrachtet. Die von Nahestehenden berichteten Wutanfälle und "Hinrichtungsmonologe". Auch eine Art Hinrichtung ist ja die schriftliche Abrechnung mit dem Freund Werner Coninx.
Das ist vielleicht der böseste Text von Max Frisch. Die Geschichte eines Leidens unter einer totalen Überlegenheit in allen Bereichen des Lebens. Alles steht darin, die Anzüge, das Geld, das Lächeln, die wertvolleren Probleme des Freundes. Es ist ein unglaublich zynischer Text, der die Überlegenheit des anderen ins Göttliche überhöht und damit etwas hilflos versucht, ihn lächerlich zu machen. Eine Abrechnung, wie sie Frisch nur einmal geschrieben hat. Und alles endet so: ' Ich meine, dass die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und das W. nichts dafür kann. Hätte ich mich ihm weniger unterworfen, es wäre ergiebiger gewesen, auch für ihn.' Der beste Freund für lange Jahre - ein fundamentales Unheil. Es steht auf keinem guten Fundament, ein Leben, wenn der einst vertrauteste Mensch im Rückblick als grundlegendes Lebensunheil beschrieben wird.
Frischs Verleger Siegfried Unseld hat berichtet, wie Frisch ihn, wegen einer angeblich unangemessen ausgerichteten Geburtstagsfeier, fürchterlich zusammengestaucht hat. Unselds Sohn Joachim nennt Frisch im Gespräch mit Weidermann gar schlankweg ein Ekel. Vielleicht am problematischsten für die Betroffenen, aber auch am unausweichlichsten für den Schriftsteller Frisch war die Verwendung der Menschen, mit denen er lebte, als Material für seine Bücher. Ingeborg Bachmann war tödlich getroffen, als sie sich im "Gantenbein" wiederzuerkennen glaubte. Marianne Frisch, die zweite Ehefrau, durfte in "Montauk" lesen, wie ihr Mann seine Affäre mit der jungen Alice Locke-Carey ausbreitete und auch sie selbst bloßstellte.
Die Veröffentlichung von "Montauk", ganz allgemein: Das "Alles-schreiben-Können" war ihm wichtiger als jede menschliche Beziehung. Das ist künstlerischer Egoismus, von dem wir Leser profitieren; in Frischs Fall noch dazu waren es die Konsequenz seines speziellen Schreibprogramms, seinen Fall zur Welt zu machen. Das Großartige an Frischs Werken wird erkauft nicht nur mit dem Wahrheitsfanatismus des Autors gegenüber sich selbst, sondern auch mit völliger Schonungslosigkeit gegenüber den Nächsten. Beides kommt in seiner ganzen Ambivalenz in Volker Weidermanns Biografie gut zum Ausdruck. Sein Stil ist flott, aber nicht ranschmeißerisch. Tiefschürfende Werkinterpretationen bietet Weidermann nicht. Sein Buch kommt, anders als der stärker der Wissenschaft verpflichtete Julian Schütt, auch ganz ohne Fußnoten aus. Weidermann fehlt Schütts umfassende Materialkenntnis; für Frisch-Experten hat er wenig Neues zu bieten. Dafür hat er zwei andere Dinge zu bieten: das Temperament - und dass sein Frisch eben kein halber, sondern ein ganzer Frisch ist.
Julian Schütt: Max Frisch. Biografie eines Anfangs. Suhrkamp, Berlin 2011. 410 S., 22,90 Euro
Volker Hage (Hrsg): Max Frisch. Sein Leben in Bildern und Texten. Suhrkamp, Berlin 2011. 257 S., 24,90 Euro
Volker Weidermann: Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 405 S., 22,95 Euro
Beatrice von Matt: Mein Name ist Frisch. Nagel & Kimche, Zürich 2011. 160 S., 15,90 Euro
Ingeborg Gleichauf: Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch - eine Biografie. Nagel & Kimche, Zürich 2010. 270 S., 18,90 Euro.