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Schorlemmer (SPD) zu Asylpolitik
"Wir müssen eine internationale Lösung suchen"

Der SPD-Politiker und Theologe Friedrich Schorlemmer steht der geplanten Einrichtung von Transitzonen kritisch gegenüber. Zu viele Fragen seien ungeklärt, sagte er im Dlf. Etwa wer die Flüchtlinge im Anschluss aufnehme. Er halte es für nötig, nach einer solidarischen Lösung zu suchen.

Friedrich Schorlemmer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der Theologe Friedrich Schorlemmer auf der Leipziger Buchmesse: Er stell sein Buch "Luther" vor.
    Der Theologe Friedrich Schorlemmer sagt, es braucht solidarische Lösungen in der EU-Flüchtlingspolitik (Deutschlandradio / M. Hucht)
    Martin Zagatta: Auch die SPD ist in der Klemme in diesem heftigen Streit um Transitzentren und generell um die Flüchtlingspolitik. Darüber konnte ich am Abend mit Friedrich Schorlemmer sprechen, evangelischer Theologe, Bürgerrechtler, hervorgegangen aus der Friedensbewegung der DDR, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und auch Mitglied der SPD. Was hält er von dem heute auch im Bundestag erhobenen Vorwurf, dass die Union eine ganz und gar unchristliche Politik betreibt? Wird die Debatte vergiftet mit solchen Begriffen, oder kann man das so kritisch sehen?
    Friedrich Schorlemmer: Man muss es sehr kritisch sehen, weil es ein sehr, sehr ernstes Thema ist. Es geht, weiter gedacht, um 67 Millionen Flüchtlinge, die wir in der Welt haben, und um einige tausend, die zu uns gekommen sind und die dann keiner haben will. Menschen wollen Menschen nicht haben, obwohl sie eine Wertegemeinschaft darstellen, in der die Würde des Menschen als unantastbar angesehen wird, und sie zu achten und zu schützen sei doch Aufgabe aller staatlichen Gewalt.
    Und weil das so ist, steht in unserem Grundgesetz, darum bekennt sich das deutsche Volk zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Ich kann das auswendig, halte das für so wichtig, diese erhabenen Sätze, die wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, wenn wir vor konkreten Herausforderungen stehen.
    Zagatta: Es geht ja nicht nur um einige tausend. Aber jetzt abgesehen von den Zahlen: Ist es denn ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder gegen die Menschenwürde, wenn man die Asylberechtigung prüft und das in der EU so regelt, dass das in einem Land passiert und nicht mehrfach?
    Schorlemmer: Das finde ich völlig richtig. Man muss nicht nur nach ethischen Prinzipien fragen, sondern auch, wie man diesen Prinzipien treu bleibt und sie an der Wirklichkeit justiert. Aber ich bin sehr skeptisch, was diese Zentren anlangt. Sie haben ja mehrfach den Namen schon gewechselt. Diese …
    Zagatta: Transitzentren!
    Schorlemmer: Ja.
    "Man muss sich diese Dramatik klarmachen"
    Zagatta: Die SPD will einen anderen Namen, aber die Union arbeitet mit dem Begriff Transitzentren und hat auch klargestellt: Bei allen Vorwürfen und Vorbehalten, die es gegen diese Zentren gibt, hat man jetzt klargestellt, da sollen Menschen maximal 48 Stunden untergebracht werden, um ihre Berechtigung zu prüfen. Was ist da so schlimm dran?
    Schorlemmer: Nein, nein, das ist zumutbar. Nur: Wie soll das geschehen? Wie soll man sicher sein, dass die nicht irgendwo ins Land strömen? Und wer bringt sie dann wie wohin und wer nimmt sie? Die Fragen sind überhaupt noch nicht geklärt. Vielleicht löst es dieser ominöse Plan von Herrn Seehofer, glaube ich aber nicht. Was ich für nötig und für richtig halte, dass wir eine solidarische, das heißt auch eine internationale Lösung suchen und anfangen mit den Ländern, die bereit sind dazu. Insofern war das, was die Kanzlerin erreicht hat, sehr viel. Man darf sich erinnern: Vor ein paar Tagen stand auch schon die ganze EU zur Debatte. Man muss sich diese Dramatik klarmachen.
    Zagatta: Heißt das auch – Sie sind ja Mitglied in der SPD -, dass die SPD das jetzt mittragen sollte, da nach einer Lösung zu suchen? Wie sehen Sie das?
    Schorlemmer: Ich muss ganz tief Luft holen. – Die SPD ist wieder mal in einer Dilemma-Situation. Jetzt hat sie das Problem an der Backe, während sie während der Verhandlungszeit zwischen den beiden Unionsparteien draußen vor gelassen wurde. Ich bin dafür, dass die SPD jeden Versuch macht, an ihren Positionen festzuhalten und gleichzeitig kompromissbereit zu sein und wo das geht, ohne Gesichtsverluste auch mitzumachen. Ich glaube, dass die SPD aus Gründen der Verlässlichkeit von Abmachungen auf die Erhaltung des Koalitionsvertrages bestehen muss und respektieren kann, dass Merkel auch doch erreicht hat, dass einige Länder auf dem Wege zu einer gesamteuropäischen Solidarität kommen. Dieser Weg ist richtig und gut und den muss auch die SPD unterstützen.
    Zagatta: Ist das nicht im Moment das große Problem, dass viele in der Bevölkerung sich da eine härtere – ob man das nun gutheißen will oder nicht – Flüchtlingspolitik wünschen, dass die Union jetzt versucht, dem Rechnung zu tragen, das erklärt ja auch mit diesen Erfolg der AfD, und dass die SPD, wenn sie sich nach der Wählerschaft richten will, vielleicht auch auf diesen Kurs einschwenken muss. Ist das nicht das Problem?
    Schorlemmer: Ja, das ist das Problem auch. Aber ich fände es pragmatisch wichtig, dass sie immer wieder wiederholt und die Führungspersonen das auch machen, dass wir nur eine internationale und solidarische Lösung anstreben können, und dass man das, was jetzt zur Debatte steht, noch mal verhandelt und nicht der SPD sagt, friss oder stirb. Das ist unwürdig und unmöglich, sachlich und menschlich.
    Zagatta: Die Union versucht jetzt, ob das richtig ist oder nicht, mit dieser Politik auch der AfD den Erfolg ein bisschen abzugraben. Wie erleben Sie das in Ihrem Umfeld? Ist es nicht sehr die Flüchtlingspolitik, die auch der AfD in die Hände spielt, dass das das Thema ist, wo sie auch Sorgen und Nöte aufgreift, die andere vielleicht bisher nicht so aufgegriffen haben?
    Schorlemmer: Hier haben die Parteien etwas übersehen, was im Volk für Stimmungen aufkamen. Aber ich denke, als Demokrat darf ich nicht einer so rechtslastigen Partei folgen und schon vorausschauend auf Stimmungen und auf Stimmen reagieren, sondern auch klarhalten, wofür wir selber einstehen. Wir stehen ein für die Werte des Grundgesetzes und nicht für Heimat und Deutschland, sondern für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe noch nirgend wann einen der Vertreter der AfD gehört, der die Menschenrechte und das Grundgesetz in den Mittelpunkt stellt, und das müssten alle Parteien weiter auch tun.
    "Ganz fatal, wenn wir uns auf ein einziges Thema so fixieren"
    Zagatta: Aber stellen Sie mit diesen Forderungen nicht einen höheren Anspruch an Deutschland als an andere Staaten? Beispielsweise Frankreich macht doch das genau, was in Deutschland für so große Aufregung sorgt. An der französisch-italienischen Grenze werden Flüchtlinge zurückgewiesen.
    Schorlemmer: Welche Vereinbarungen die miteinander getroffen haben, das weiß ich einfach nicht. Ich weiß nur, wie schwierig das Problem sein wird zwischen Bayern, also zwischen der Bundesrepublik und Österreich, und das wird der Testfall sein, ob das auch praktisch gelingt. Es muss gelingen und wir müssen uns diesem Thema zuwenden und zugleich Politik machen, die sich anderen Problemfeldern entschieden zuwendet: Wie geht es weiter mit der Ökologie? Wie werden die Flüchtlingsströme dadurch begrenzt, dass man an die Ursachen herangeht? Solche ernsten Dinge sind heute kaum berührt worden. Das finde ich ganz fatal, wenn wir uns auf ein einziges Thema so fixieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.