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Schottische Wirtschaft
"Keine besonders rosige Zukunft"

Tom Mathar vom Marktforschungsinstitut LJ Research Edinburgh sieht einige "harte Trends", die gegen die Unabhängigkeit Schottlands sprechen: den demografischer Wandel und die Produktivitätsquote etwa, die nicht so gut sei, wie die schottische Regierung behaupte. Auch die Finanzindustrie würde nicht profitieren, sagte Mathar im DLF.

Tom Mathar im Gespräch mit Birgid Becker |
    Blick auf eine Ölbohrinsel nahe des schottischen Invergordon.
    Die Entwicklung des schottischen Ölsektors muss keineswegs so positiv sein, wie die Regierung sie einschätzt, sagt Tom Mathar. (picture alliance/dpa-Zentralbild - Daniel Gammert )
    Birgid Becker: Die ökonomischen Risiken einer schottischen Unabhängigkeit sind vor allem von britischer Seite viel beschworen worden. Die offenen Währungsfragen, so hieß es dann, könnten dazu führen, dass das Pfund abgewertet wird, Bankkunden könnten ihr Geld in Sicherheit bringen, Investoren ihr Kapital abziehen. Werden also die Schotten die neuen Griechen? Das habe ich Tom Mathar gefragt, der in Edinburgh beim Marktforschungsunternehmen LJ Research beschäftigt ist: Teilt er diese Sorgen vor einer ökonomischen Krise für den Fall der Unabhängigkeit Schottlands?
    Tom Mathar: Ich denke, es wird auf jeden Fall eine Zeit großer Unsicherheit geben. Es wird eine Weile dauern, bis sich das alles wieder geregelt und eingependelt hat. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob die Schotten die neuen Griechen sind. Es ist in der Tat so, dass es in Schottland einen großen Anteil an Arbeitern im öffentlichen Sektor gibt, und insofern gibt es eine hohe Abhängigkeit wirklich davon, wie es dem Staat generell geht. Es arbeiten allerdings auch viele im Rechtswesen, in der Finanzindustrie, im Ölbereich etc. Von daher würde ich denken, in Teilbereichen ist das Land wirklich ganz gut aufgestellt. Es wird nicht das neue Armenhaus Europas werden, das glaube ich nicht. Aber es wird auch nicht das neue Norwegen.
    Die Schotten sind älter und häufiger krank
    Becker: Aber Schottland ist doch stark genug, um wirtschaftlich allein zu überleben, oder? Stärker sogar als andere europäische Regionen, die nach Unabhängigkeit streben.
    Mathar: Das würde ich so, ehrlich gesagt, nicht sagen. Letztendlich weiß es keiner genau. Aber es gibt ein paar Statistiken und ein paar Trends, von denen ich denke, dass sie eigentlich eher gegen die Abhängigkeit sprechen. Das ganz große Argument ist natürlich erst mal, dass wir in einem Land leben, das seit mehr als 300 Jahren ziemlich eng verzahnt ist mit dem Rest des Landes. Von daher weiß keiner genau, was eigentlich passiert, wenn man auf einmal wieder Grenzen aufbaut und neue Verbindungen im wirtschaftlichen Bereich, neue Infrastrukturen aufbauen muss. Von daher bin ich mir nicht sicher. Es gibt auch eine demografische Entwicklung in Schottland, die anders ist als im Rest des Landes. Die Leute hier sind älter, sind statistisch gesehen auch häufiger krank. Von daher fallen mehr Lasten auf den Sozialstaat in Schottland zu. Und die Frage, ob das alles umverteilt werden kann, sprich ob der Staat, auch ein neuer schottischer Staat genug Geld einnehmen würde, um all diese wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben erfüllen zu können, ist eine große Frage.
    Becker: Nun unterscheidet sich aber die schottische Wirtschaft gar nicht so sehr von der britischen. Der geht es im Moment recht gut. Und wenn man auf die Kennziffern guckt, dann sind Wachstum und Produktivität ähnlich hoch. Es gibt in Schottland eine hervorragend ausgebildete Bevölkerung, auch wenn Sie sagen, die ist im Schnitt etwas älter als die britische. Noch einmal gefragt: Warum wirklich die Sorgen? Welche Branchen würden denn nicht profitieren, wenn es zu einem Ja zur Unabhängigkeit käme?
    Finanzindustrie würde aus Edinburgh in Richtung London abziehen
    Mathar: Ich bin mir sicher, dass die Finanzindustrie nicht davon profitieren würde. Die Finanzindustrie möchte Stabilität und Investoren sind abgeschreckt, wenn sie Unsicherheit haben. Ich bin mir sicher, dass auf kurz oder lang die Finanzindustrie aus Edinburgh – die sitzt nun mal in Edinburgh insbesondere – abziehen würde Richtung London. Ich bin mir nicht so sicher, wie der Dienstleistungssektor aufgestellt ist, weil wie gesagt viele Aufträge – ich denke an unsere eigene Firma – kommen nun mal aus London. Ich bin mir nicht sicher, wie unsere englischen Kunden über längere Zeit darüber denken, dass sie jetzt mit jemandem arbeiten, der im Ausland sitzt. Der Ölsektor ist ebenso fraglich. Da gibt es ziemlich positive optimistische Einschätzungen auf der Seite der schottischen Regierung. Aber auf der anderen Seite gibt es auch ziemlich viele Stimmen, die sagen, dass das alles sehr, sehr optimistisch kalkuliert ist. Von daher würde ich denken, dass viele sehr essentielle Sektoren im Land nicht eine besonders rosige Zukunft haben, sollte das Land unabhängig werden.
    Becker: Weil ja gerade für die Ölindustrie, für den Ölsektor argumentiert wird, dass der das Land stärken würde, wenn er unabhängig wäre von Großbritannien, wenn er unabhängig Gewinne einfahren könnte.
    Mathar: Genau. Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen zu. Es gibt die Einschätzungen aus Westminster, es gibt die Einschätzungen aus der schottischen Regierung und ein paar Einschätzungen von den Ölfirmen selber, und hier scheint der Konsens zu sein, dass die Einschätzungen von der schottischen Regierung vielleicht ein bisschen zu heroisch sind, also tatsächlich ein bisschen zu optimistisch sind.
    Becker: Wenn wir jetzt Öl und Banken, sagen wir mal, als Schwachstellen definieren, andere Bereiche gibt es ja auch, die zum Beispiel florierende Lebensmittelindustrie. Da wird wertmäßig sogar mehr exportiert als beim Öl, und für schottischen Whisky ist es ja vielleicht sogar nett, wenn er aus einem eigenständigen Schottland stammt, oder?
    Tourismus-Industrie könnte positive Impulse bekommen
    Mathar: Ja, das kann sein. Das weiß man nicht. Ebenso könnte das in der Tourismus-Industrie der Fall sein. Die Tourismus-Industrie ist natürlich ein ganz besonders wichtiger Sektor in Schottland. Das könnte sein, dass Schottland rüberkommt - wie soll man sagen - mit einer klareren Identität oder als noch stärkere Marke, die sich abgrenzt vom Rest des Landes, als anti-englisch vielleicht oder nicht-britisch, sondern schottisch. Das kann sein, dass das eine eigene positive Identität produziert, die der Tourismus-Industrie gut tut und, wie Sie sagen, der Whisky-Industrie ebenso.
    Becker: Würde aber die Risiken nach Ihrer Einschätzung nicht aufwiegen?
    Mathar: Nein, meiner Meinung nach nicht. Ich glaube, insgesamt gibt es ein paar ganz harte Faktoren oder ganz harte Trends, die wirklich gegen die Unabhängigkeit sprechen: demografischer Wandel, Produktivitätsquote. Die ist, glaube ich, nicht so gut, wie die schottische Regierung sagt. Das Bruttoinlandsprodukt ist zwar gut, aber die Frage ist, ob es genug produziert, um die ganzen Versprechen erfüllen zu können, die die schottische Regierung sagt, sie kann sie versprechen.
    Um sieben Uhr mit Nein gestimmt
    Becker: Dr. Mathar, Sie kommen aus Hamburg, arbeiten in Edinburgh, und damit sind Sie schottisch genug, um jetzt wählen zu dürfen. Wie kommt das? Immerhin: Sean Connery darf wohl nicht wählen.
    Mathar: Ja. Sean Connery lebt nicht in Schottland und deswegen darf er nicht wählen. Ich lebe in Schottland, deswegen darf ich wählen. Die Briten sind Pragmatiker, was das angeht. Sie haben sich gesagt, wenn nur die Schotten wählen dürfen, ist erst mal die Frage, wie definiert man eigentlich "nur Schotte"? Muss man hier geboren sein, oder müssen die Eltern hier geboren sein, oder wie soll das laufen? Sprich: Man hat diverse juristische Nachspiele befürchtet und hat dann einfach gesagt, ja gut, okay, wir machen das eben so wie bei den Kommunalwahlen. Sprich: Jeder darf wählen, der jetzt zu der Zeit hier in Schottland lebt.
    Becker: Haben Sie schon gewählt?
    Mathar: Ich habe schon gewählt. Ich war einer der Ersten heute Morgen. Ich bin um sieben Uhr ins Wahllokal gegangen und habe mit Nein gestimmt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.