"Am Ende dieses Prozesses wird Schottland ein unabhängiges Land in der EU sein. Das ist die Zukunft – wie schnell das geht, hängt von einer Reihe von Faktoren ab."
Nicht ob, sondern wann Schottland unabhängig wird, ist für Michael Russell die Frage. Der 66-Jährige sitzt als Minister der schottischen Nationalisten, der SNP - Scottish National Party -, in der Regional-Regierung und kümmert sich um Verfassungsfragen und Brexit. Russel befürchtet bis zu 100.000 Jobs könnten in Schottland durch den Brexit verloren gehen. Nach dem verlorenen Unabhängigkeitsreferendum 2014 fordert er jetzt bald ein zweites - wegen Brexit!
"Schottland will das Vereinigte Königreich nicht verlassen. Das Werben der Unabhängigkeitsbefürworter führt nirgendwo hin."
Glaubt indes Jim Ferguson von der Brexit-Party in Schottland, der getreu dem Namen der Partei vor allem eines will:
"So schnell wie möglich den Brexit vollziehen."
"Das ist so hirnrissig das Ganze"
In Schottland vertritt der smarte Geschäftsmann Ferguson aus Inverness freilich eine Minderheitsmeinung: 62 Prozent der Schotten stimmten für den Verbleib in der EU. Für diesen Bevölkerungsteil war und ist das Spektakel der letzten Tage, Wochen und Monate unwürdig und überflüssig.
"Das ist so hirnrissig das Ganze. Das macht überhaupt keinen Sinn. Das macht keinen Sinn für Leute wie ich, die ein Geschäft haben wie ich und entweder Sachen importieren oder exportieren in die EU. Alle sagen das Gleiche, ob es ein kleines Geschäft mit zwei oder drei oder 250 oder 1.000 ist: Die sagen alle das Gleiche: Das ist so was von doof."
Sagt George Ormiston. In Stirling baut er Querflöten aus Holz und exportiert die meisten in die EU.
Als "komplettes Desaster – ein Akt der Dummheit", bezeichnet die Stimme des Volkes – ein Taxifahrer in Edinburgh – den Brexit, den ein junger Krankenpfleger und Familienvater in Dundee allerdings gut findet:
"Ich bin dafür, aber der Brexit ist von der Vorgängerregierung nicht gut organisiert worden. Wir zahlen soviel in die EU und bekommen nur einen Bruchteil davon zurück."
Allgemeines Kopfschütteln
Bei einer jungen Angestellten löst die Frage nach dem Brexit vor allem Kopfschütteln aus:
"Wir teilen nicht die gleichen Werte, vor allem hier oben in Schottland spüre ich, dass wir nicht die Werte der Menschen südlich der Grenze teilen, denn wir sind pro europäisch, ich habe viele Freunde, die dort studieren und von dort kommen."
"Ich will in der EU bleiben. Die EU sorgt für uns und garantiert Bewegungsfreiheit",
sagt diese Studentin. Vor allem die jungen Menschen sehen ihre Zukunft in Europa und gingen deshalb Anfang Oktober in Edinburgh massenhaft zur Unabhängigkeitsdemonstration. Denn nach einem Brexit führt der Weg zurück in die EU nur über die Unabhängigkeit.
Trotz Regens bevölkerten Zigtausende die Straßen Edinburghs und Holyrood Park. All under one Flagg – alle unter einer Flagge, so lautete das Motto und der Name der Organisatoren.
Jede Stimme zählt
Musiker und Politiker gaben sich auf einer Bühne das Mikro in die Hand. Wir sind bereit für Unabhängigkeit: Die Botschaft will die nationalistische Abgeordnete im Regionalparlament, Joanna Cherry, nach London und in die Wahlbezirke getragen wissen. Bald wird es eine Unterhauswahl geben, daran zweifelt in Schottland niemand und sie gilt als Stimmungsbarometer auch für Unabhängigkeit.
Jede Stimme zählt, denn die der meisten Farmer und Fischer ist den schottischen Nationalisten keineswegs sicher. Den Farmern hat die Regierung in London Ausgleich für wegfallende Subventionen versprochen. Den Fischern, so glaubt Elspeth MacDonald, Geschäftsführerin der Schottischen Fischer-Föderation, SFF, bietet Brexit eine Chance.
"Rund 60 Prozent der Fische in britischen Gewässern werden nicht von britischen, sondern anderen EU-Schiffen gefangen. Dieses Ungleichgewicht kann korrigiert werden."
Die Exportunternehmen der Fisch-verarbeitenden Industrie indes stehen wegen neuer Formalitäten, möglicher Zölle und Gebühren dem Brexit skeptisch gegenüber.
Der Brexit erinnert an das Monster von Loch Ness
Am Ende gibt es so viele Ansichten zu Brexit wie Fische im Meer, meint Elspeth MacDonald. Und auch in Schottland wünschen sich die meisten vor allem, dass endlich eine Entscheidung fällt, denn: Mit dem Brexit sei das so wie mit dem Loch-Ness-Monster. Jeder glaubt zu wissen, wie es aussieht, niemand weiß aber wirklich wie es ist, denn niemand hat es bis jetzt wirklich gesehen.