"Ich bin mir nicht sicher, ob Eifersucht zwangsläufig mit Liebe verbunden ist. Wissen Sie, das ist ja auch nur so ein Klischee: Man sagt, es ist richtig, eifersüchtig zu sein, das ist ein Liebesbeweis. Aha, er ist wegen dir eifersüchtig, das heißt, dass er dich wirklich liebt. Aber ich glaube das nicht wirklich. Aufgrund der sexuellen Dimension der Eifersucht kann man auch dann eifersüchtig sein, wenn es um einen Menschen geht, den man zwar körperlich sehr heftig begehrt, aber den man nicht zutiefst liebt. Ein sehr gutes Beispiel dafür in der französischen Literatur ist Marcel Prousts 'Eine Liebe von Swann', da Swann verrückt ist vor Eifersucht wegen einer Frau, die er gar nicht wirklich liebt – da gibt es diesen berühmten Satz, sie war nicht sein 'Genre', sie entspricht nicht seinem Niveau."
Nein, eine Romantikerin ist sie nicht, vielmehr eine Neo-Realistin, eine der coolen französischen Vorzeige-Skandal-Autorinnen, die, so scheint es auf den ersten Blick, völlig unverblümt und damit fernab vom Kosmos eines Marcel Proust sehr persönliche Intimitäten ausplaudern. 1968, als man in Paris einfach Gruppensex haben musste, um nicht als komplett spießig dazustehen, war Catherine Millet 20 Jahre jung. Schon kurze Zeit später feilte sie eifrig an ihrer Karriere als Kunstkritikerin und lernte dabei ihren Ehemann kennen, den Schriftsteller Jacques Henric. Ging es 2001 in ihrem ersten autobiografischen Buch, "Das sexuelle Leben der Catherine M.", um die vielen Männer, mit denen sie außerhalb der Ehe Sex gehabt hat, so dreht sich das nun erschienene Folgewerk um ihre Eifersucht auf die vielen Frauen, mit denen ihr Mann außerhalb der Ehe Sex gehabt hat.
"Ich habe sehr sehr schnell nach der Veröffentlichung des ersten autobiografischen Buches beschlossen, dieses zweite Buch zu schreiben. Viele Leute, vor allem Journalisten, die das erste Buch gelesen hatten, sagten: Das ist ja ganz toll, eine solche sexuelle Freiheit zu haben und gleichzeitig mit einem Mann zusammenzuleben, den man liebt. Also, Sie waren wohl noch niemals eifersüchtig?"
Doch, sehr sogar! So sehr, dass "Eifersucht" der deutsche Titel des neuen Buches ist. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Catherine Millet und Jacques Henric bis heute eine Ehe ohne Treueschwur verbindet. Aber gar nicht erstaunlich, wenn man erfährt, dass Frankreichs berühmte Libertine im tiefsten Leid berauschendes Vergnügen fand. Kein Wunder, denn Eifersucht ist ja, laut Grillparzers nachhaltigem Gedichtlein, "eine Leidenschaft / Die mit Eifer sucht, was Leiden schafft". Und so verzehrte sich Madame Millet in masochistischer Lust, nachdem sie auf dem Schreibtisch ihres Mannes Nacktfotos und andere Hinweise auf verschiedene Liebschaften gefunden hatte. Mehr noch als Indizien und die Suche, ja, die Sucht nach ihnen, haben eigene Fantasien das lustvolle Leid der bekennenden Autorin vertieft:
"Der Beweis, dass es eine Art masochistisches Vergnügen war, ist, dass die Vorstellung, mein Mann wäre mit anderen Frauen zusammen, meine Masturbationsfantasien nährten. Es war sehr seltsam und äußerst beunruhigend, vor mir selbst zugeben zu müssen, dass ich ein onanistisches Vergnügen daran fand, mir meinen Mann in der für mich schlimmsten Situation vorzustellen, also während er Sex hat mit einer anderen Frau. Das war sehr verstörend, ja."
Ein emotionsloser, distanziert-nüchterner Stil wurde Catherine Millet nach dem ersten schreibenden Selbsterkundungstrip vorgeworfen. Gerade darin liegt aber die Stärke der Autorin, die mit einer beeindruckenden Drastik zu Werke geht, von der sich in der deutschen Fassung der versierten Übersetzerin Sigrid Vagt nichts verliert – auch dann nicht, wenn die bereits erwähnten Masturbationsfantasien detailgenau ausgemalt werden.
Auf dem (einen) Sofa nahm Jacques das Mädchen im hellen Tageslicht unter den Fernstern wie eine Hündin, auf dem anderen (Sofa) lag sie auf dem Rücken, ein heller Fleck auf dem blaugrünen Stoff. Ihr Oberkörper zwischen seine Beine geschoben, sein Glied zwischen ihre Brüste gepresst. ( ... ) In anderen Phantasmen nahm er das Mädchen im Stehen, den Rock einfach nur hochgehoben, hinter dem Tresen oder in der Garage, wo sie sich mit einem Fuß auf das Trittbrett des Geländewagens stützte. Im Flur fickten sie hastig auf dem Betonboden. Ich stand bei diesen Kopulationen immer hinter Jacques, das heißt, ich sah aus kurzem Abstand seinen Rücken und seinen Hintern, ich beobachtete die Bewegung seines Beckens und seiner Hände, wie sie den Hüftspeck oder die Brüste packten. ( ... ) Die Phantasie brach mit dem Bild ab, das das Signal zu meinem eigenen Orgasmus gab, dem Bild von Jacques in dem Moment, wenn er kam, ein Bild, so präzise, dass es mir weder das Hervortreten seiner gespannten Muskeln noch die Verzerrung seines Gesichts ersparte.
Ein obsessiver Voyeurismus heizt nicht nur die Fantasien der Catherine M. an, sondern diktiert ihr auch das alltägliche Gebaren: Wie ferngesteuert kommt sie sich vor, wenn sie ihrem Mann nachspioniert, in seinen Sachen herumschnüffelt, ihn mit quälenden Fragen nach Einzelheiten seiner sexuellen Exkursionen bedrängt. Begegnungen mit Rivalinnen vermeidet sie gleichwohl. Da, wo eine andere mit Jacques zusammen ist, kann Catherine nicht sein – erst recht nicht, wenn es sich um das eigene Heim handelt. Und so verdichtet sich die Lust am Leid zu psychischer Selbstauslöschung.
Die heftigsten Krisen spielten sich in unserem Haus im Süden ab. ( ... ) Jacques hält sich dort häufiger auf als ich; er war mit der einen oder anderen seiner Freundinnen hingefahren. Obwohl das Mobiliar und die Einrichtungsgegenstände von uns beiden ausgesucht und angeordnet worden sind, fing ich an, mich wie eine Besucherin zu verhalten, die sich vorsieht und ihre Bewegungen einschränkt, um nicht eine Ordnung zu stören, die nicht ihre eigene ist. Ich war ein Schattenbild, das man irgendwo ausgeschnitten und in 3D-Bilder eingefügt hatte.
Und doch ist Licht am Ende des Tunnels: Nach fast drei Jahren beschließt die Autorin, ihrer Krise ein Ende zu setzen. Was kann ihr dabei helfen? Spekulationen über die vermeintlich homoerotische Komponente weiblicher Eifersucht? Eine mehrjährige Psychoanalyse? Schreiben, Schreiben, Schreiben? Ein Roman über Selbstentfremdung, Masochismus und Voyeurismus, den Marguerite Duras 1964 unter dem Titel "Le ravissement de Lol V. Stein" publiziert hat und der auf deutsch "Die Verzückung der Lol V. Stein" heißt?
"Ich kann mich nicht vollkommen mit Lol V. Stein identifizieren, denn Lol ist in diesem Roman ein wenig verrückt, aber tatsächlich begibt sie sich in die Position des Voyeurs, und das bedeutet, dass sie Lust empfindet, wenn sie anderen nachspioniert. Ich glaube, dass ich meine Eifersucht überwinden konnte, als ich begriff, dass sie mir ein solches masochistisches Vergnügen bereitete. Der Eifersüchtige verletzt sich selbst, er möchte gern Beweise finden für den Verrat des anderen, und wenn er sie nicht findet, zerfleischt er sich selbst, er stellt sich Fragen über Fragen, er will auf jeden Fall leiden. Voilà. Und ich glaube, dass man das kapieren muss. Leider kapiert man es nicht sofort. Aber es irgendwann zu kapieren, führt dazu, dass man sich schließlich davon befreien kann."
Chapeau! Und Abgang. Aus ist das Buch. Ohne auch nur die Spur einer neuen Erkenntnis zum Thema Eifersucht zu hinterlassen. Vielleicht ist aber gerade die inhaltliche Banalität ihrer drastischen Falldarstellungen der Grund, warum die Autorin im Supermarkt oder beim Friseur darum gebeten wird, sich das Selbsterlebte ihrer Leserinnen und Leser anzuhören, deren Erzähltrieb sie offenbar durch den eigenen literarischen Exhibitionismus reizt. Am Ende stellt sich daher die Frage, ob tatsächlich der Wunsch, die Lust am Leid durch die Lust am Text abzulösen, die noch malige Selbstinszenierung der Catherine M. motiviert hat oder vielmehr das erneute Aufflackern bestsellerlüsternden Begehrens.
Catherine Millet: "Eifersucht"
Aus dem Französischen von Sigrid Vagt
Carl Hanser Verlag, 224 Seiten, fester Einband, 21,50 Euro
Nein, eine Romantikerin ist sie nicht, vielmehr eine Neo-Realistin, eine der coolen französischen Vorzeige-Skandal-Autorinnen, die, so scheint es auf den ersten Blick, völlig unverblümt und damit fernab vom Kosmos eines Marcel Proust sehr persönliche Intimitäten ausplaudern. 1968, als man in Paris einfach Gruppensex haben musste, um nicht als komplett spießig dazustehen, war Catherine Millet 20 Jahre jung. Schon kurze Zeit später feilte sie eifrig an ihrer Karriere als Kunstkritikerin und lernte dabei ihren Ehemann kennen, den Schriftsteller Jacques Henric. Ging es 2001 in ihrem ersten autobiografischen Buch, "Das sexuelle Leben der Catherine M.", um die vielen Männer, mit denen sie außerhalb der Ehe Sex gehabt hat, so dreht sich das nun erschienene Folgewerk um ihre Eifersucht auf die vielen Frauen, mit denen ihr Mann außerhalb der Ehe Sex gehabt hat.
"Ich habe sehr sehr schnell nach der Veröffentlichung des ersten autobiografischen Buches beschlossen, dieses zweite Buch zu schreiben. Viele Leute, vor allem Journalisten, die das erste Buch gelesen hatten, sagten: Das ist ja ganz toll, eine solche sexuelle Freiheit zu haben und gleichzeitig mit einem Mann zusammenzuleben, den man liebt. Also, Sie waren wohl noch niemals eifersüchtig?"
Doch, sehr sogar! So sehr, dass "Eifersucht" der deutsche Titel des neuen Buches ist. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Catherine Millet und Jacques Henric bis heute eine Ehe ohne Treueschwur verbindet. Aber gar nicht erstaunlich, wenn man erfährt, dass Frankreichs berühmte Libertine im tiefsten Leid berauschendes Vergnügen fand. Kein Wunder, denn Eifersucht ist ja, laut Grillparzers nachhaltigem Gedichtlein, "eine Leidenschaft / Die mit Eifer sucht, was Leiden schafft". Und so verzehrte sich Madame Millet in masochistischer Lust, nachdem sie auf dem Schreibtisch ihres Mannes Nacktfotos und andere Hinweise auf verschiedene Liebschaften gefunden hatte. Mehr noch als Indizien und die Suche, ja, die Sucht nach ihnen, haben eigene Fantasien das lustvolle Leid der bekennenden Autorin vertieft:
"Der Beweis, dass es eine Art masochistisches Vergnügen war, ist, dass die Vorstellung, mein Mann wäre mit anderen Frauen zusammen, meine Masturbationsfantasien nährten. Es war sehr seltsam und äußerst beunruhigend, vor mir selbst zugeben zu müssen, dass ich ein onanistisches Vergnügen daran fand, mir meinen Mann in der für mich schlimmsten Situation vorzustellen, also während er Sex hat mit einer anderen Frau. Das war sehr verstörend, ja."
Ein emotionsloser, distanziert-nüchterner Stil wurde Catherine Millet nach dem ersten schreibenden Selbsterkundungstrip vorgeworfen. Gerade darin liegt aber die Stärke der Autorin, die mit einer beeindruckenden Drastik zu Werke geht, von der sich in der deutschen Fassung der versierten Übersetzerin Sigrid Vagt nichts verliert – auch dann nicht, wenn die bereits erwähnten Masturbationsfantasien detailgenau ausgemalt werden.
Auf dem (einen) Sofa nahm Jacques das Mädchen im hellen Tageslicht unter den Fernstern wie eine Hündin, auf dem anderen (Sofa) lag sie auf dem Rücken, ein heller Fleck auf dem blaugrünen Stoff. Ihr Oberkörper zwischen seine Beine geschoben, sein Glied zwischen ihre Brüste gepresst. ( ... ) In anderen Phantasmen nahm er das Mädchen im Stehen, den Rock einfach nur hochgehoben, hinter dem Tresen oder in der Garage, wo sie sich mit einem Fuß auf das Trittbrett des Geländewagens stützte. Im Flur fickten sie hastig auf dem Betonboden. Ich stand bei diesen Kopulationen immer hinter Jacques, das heißt, ich sah aus kurzem Abstand seinen Rücken und seinen Hintern, ich beobachtete die Bewegung seines Beckens und seiner Hände, wie sie den Hüftspeck oder die Brüste packten. ( ... ) Die Phantasie brach mit dem Bild ab, das das Signal zu meinem eigenen Orgasmus gab, dem Bild von Jacques in dem Moment, wenn er kam, ein Bild, so präzise, dass es mir weder das Hervortreten seiner gespannten Muskeln noch die Verzerrung seines Gesichts ersparte.
Ein obsessiver Voyeurismus heizt nicht nur die Fantasien der Catherine M. an, sondern diktiert ihr auch das alltägliche Gebaren: Wie ferngesteuert kommt sie sich vor, wenn sie ihrem Mann nachspioniert, in seinen Sachen herumschnüffelt, ihn mit quälenden Fragen nach Einzelheiten seiner sexuellen Exkursionen bedrängt. Begegnungen mit Rivalinnen vermeidet sie gleichwohl. Da, wo eine andere mit Jacques zusammen ist, kann Catherine nicht sein – erst recht nicht, wenn es sich um das eigene Heim handelt. Und so verdichtet sich die Lust am Leid zu psychischer Selbstauslöschung.
Die heftigsten Krisen spielten sich in unserem Haus im Süden ab. ( ... ) Jacques hält sich dort häufiger auf als ich; er war mit der einen oder anderen seiner Freundinnen hingefahren. Obwohl das Mobiliar und die Einrichtungsgegenstände von uns beiden ausgesucht und angeordnet worden sind, fing ich an, mich wie eine Besucherin zu verhalten, die sich vorsieht und ihre Bewegungen einschränkt, um nicht eine Ordnung zu stören, die nicht ihre eigene ist. Ich war ein Schattenbild, das man irgendwo ausgeschnitten und in 3D-Bilder eingefügt hatte.
Und doch ist Licht am Ende des Tunnels: Nach fast drei Jahren beschließt die Autorin, ihrer Krise ein Ende zu setzen. Was kann ihr dabei helfen? Spekulationen über die vermeintlich homoerotische Komponente weiblicher Eifersucht? Eine mehrjährige Psychoanalyse? Schreiben, Schreiben, Schreiben? Ein Roman über Selbstentfremdung, Masochismus und Voyeurismus, den Marguerite Duras 1964 unter dem Titel "Le ravissement de Lol V. Stein" publiziert hat und der auf deutsch "Die Verzückung der Lol V. Stein" heißt?
"Ich kann mich nicht vollkommen mit Lol V. Stein identifizieren, denn Lol ist in diesem Roman ein wenig verrückt, aber tatsächlich begibt sie sich in die Position des Voyeurs, und das bedeutet, dass sie Lust empfindet, wenn sie anderen nachspioniert. Ich glaube, dass ich meine Eifersucht überwinden konnte, als ich begriff, dass sie mir ein solches masochistisches Vergnügen bereitete. Der Eifersüchtige verletzt sich selbst, er möchte gern Beweise finden für den Verrat des anderen, und wenn er sie nicht findet, zerfleischt er sich selbst, er stellt sich Fragen über Fragen, er will auf jeden Fall leiden. Voilà. Und ich glaube, dass man das kapieren muss. Leider kapiert man es nicht sofort. Aber es irgendwann zu kapieren, führt dazu, dass man sich schließlich davon befreien kann."
Chapeau! Und Abgang. Aus ist das Buch. Ohne auch nur die Spur einer neuen Erkenntnis zum Thema Eifersucht zu hinterlassen. Vielleicht ist aber gerade die inhaltliche Banalität ihrer drastischen Falldarstellungen der Grund, warum die Autorin im Supermarkt oder beim Friseur darum gebeten wird, sich das Selbsterlebte ihrer Leserinnen und Leser anzuhören, deren Erzähltrieb sie offenbar durch den eigenen literarischen Exhibitionismus reizt. Am Ende stellt sich daher die Frage, ob tatsächlich der Wunsch, die Lust am Leid durch die Lust am Text abzulösen, die noch malige Selbstinszenierung der Catherine M. motiviert hat oder vielmehr das erneute Aufflackern bestsellerlüsternden Begehrens.
Catherine Millet: "Eifersucht"
Aus dem Französischen von Sigrid Vagt
Carl Hanser Verlag, 224 Seiten, fester Einband, 21,50 Euro