Burkhard Müller-Ullrich: Heute Abend findet im Haus der Berliner Festspiele eine Feierstunde zum 50-jährigen Bestehen des Writers in prison committee statt. Der P.E.N.-Club, der inzwischen 89 Jahre alt ist, war eigentlich ein unpolitischer Schriftstellerverein. Das änderte sich durch die Erfahrungen mit den Diktaturen Stalins und Hitlers, da schuf der P.E.N.-Club ein Komitee, das sich speziell für verfolgte und inhaftierte Kollegen einsetzte.
Beim deutschen P.E.N. ist Dirk Sager für die Arbeit dieses Komitees verantwortlich. Herr Sager, wie genau funktioniert das? Wie ist das writers in prison committee organisiert?
Dirk Sager: Die Zentrale des Writers in prison committee ist in London angesiedelt. Dort arbeiten fest angestellte Mitglieder, sammeln Informationen aus aller Welt, durch Zeitungsausschnitte, aber auch durch die Kommunikationswege von Organisationen, Schriftstellern, also haben auch Zugang zu Informationen, die noch nicht öffentlich sind. Zweimal im Jahr gibt die Zentrale in London eine Caselist heraus, in der alle Schicksale von verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Journalistinnen und Journalisten zusammengefasst sind, und mit dieser Caselist arbeiten die nationalen Sektionen der Writers in prison committees und versuchen, Öffentlichkeit zu erzeugen, den Betroffenen selbst Mut zu machen und sie zu bestärken, indem wir ihnen Briefe schreiben, und versuchen schließlich, auch den Angehörigen der Verfolgten praktische Hilfe zukommen zu lassen.
Müller-Ullrich: Wie unterscheidet sich denn diese Arbeit jetzt von, sagen wir mal, der Arbeit von Amnesty International, die sich ja auch für Verfolgte, zu Unrecht Verfolgte – und das heißt meist politisch Verfolgte – einsetzen? Heißt das, dass Autoren irgendwie was Eigenes brauchen, weil sie was Besseres sind?
Sager: Nein! Der P.E.N. hat mit dieser Arbeit angefangen. Die Gründung des Writers in prison committees liegt vor der Gründung von Amnesty International. Es hat sich aber gezeigt und es zeigt sich auch heute noch, dass Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Journalisten ganz besonders bedroht sind, wenn es um die Verteidigung der Meinungsfreiheit geht. Bei ihnen setzen die Regime an. Nehmen Sie als Beispiel Russland. Es sind 300 Journalisten in den letzten 20 Jahren in Russland ermordet worden, weil sie sich dem Diktat der lokalen Herrscher, den Provinzgouverneuren oder den Industrieinteressen widersetzt haben, oder weil sie der Regierung in Moskau im Wege standen.
Müller-Ullrich: Wie verhindern Sie denn, dass, sagen wir mal, einfache Kriminelle unter den Journalistenmantel schlüpfen, was ja möglich ist, weil es keine wirklich geschützte Berufsbezeichnung ist? Jeder der schreibt, kann ja dadurch einen anderen Status bekommen.
Sager: Ja. Aber es ist ja erkennbar, ob jemand, der schreibt, sich mit seinen Schriften angreifbar gemacht hat, weil er eingetreten ist für die Freiheit der Meinung, weil er Machenschaften der Regierung bekämpft hat, weil er Korruption versucht hat aufzudecken. Also jeder der schreibt, bringt ja selbst den Nachweis seiner Arbeit und bringt auch damit den Nachweis für den Grund, aus dem er verfolgt wird.
Müller-Ullrich: Also es ist nicht so, dass Sie automatisch für Schriftsteller eintreten, weil es Schriftsteller sind, sondern das was ihnen vorgeworfen wird, das muss mit dieser schriftstellerischen Arbeit direkt zusammenhängen?
Sager: Ja und das versucht die Londoner Zentrale, mit Recherchen auch abzusichern, dass keiner unter dem Mantel des Journalisten ganz andere Dinge versucht hat zu erledigen.
Müller-Ullrich: Wenn wir die Fallstatistik Ihrer Arbeit mal ein bisschen im historischen Querschnitt anschauen, dann würde mich interessieren, wie sich gewissermaßen das Eintreten für von rechten und linken Diktaturen Verfolgte bemessen lässt. Es ist ja so, dass Schriftsteller und Journalisten lange Zeit ein linkes Herz hatten. In der Zeit des alten Kalten Krieges, da hatte man ja ein bisschen Mühe, sich wirklich für diejenigen einzusetzen, die von linken totalitären Regimen verfolgt wurden.
Sager: Ich glaube, dass diese Verhaltensmuster eher auf Unterstellung beruhen. Nehmen Sie als Beispiel die verfolgten Autorinnen und Autoren in der DDR, auf deren Schicksal wir ein besonderes Augenmerk hatten. Nehmen Sie das Beispiel Kuba, wo auch eine linke Diktatur versucht, das Land zu regieren. Aber es wurde doch zur Kenntnis genommen, dass diese linke Diktatur fürchterliche Opfer gefordert hat und immer noch fordert. Das heißt, dass der P.E.N. in seiner Arbeit auf einem Auge vielleicht nicht so gut sehen kann, oder gar blind ist, diese Gefahr besteht eigentlich seit ganz langem nicht mehr.
Müller-Ullrich: Was bleibt ist vielleicht eine perverse Genugtuung aller, die schreiben, natürlich nicht derjenigen, die betroffen sind von Verfolgung, aber überhaupt die Tatsache, dass man feststellt, Schrift wirkt.
Sager: Schrift wirkt und erregt auch Furcht der Herrschenden. Ich habe es selbst sehr direkt erlebt am Beispiel von Anna Politkowskaja, mit der ich in meiner Moskauer Zeit befreundet war, weil wir gleiche Interessengebiete hatten, nämlich den Krieg in Tschetschenien und die Machenschaften der Armee und der russischen Geheimdienste in Tschetschenien. Die Artikel von Anna Politkowskaja haben der Regierung in Moskau das Fürchten gelehrt, so sehr das Fürchten gelehrt, dass sie für die Sicherheit von Anna Politkowskaja nicht mehr garantieren wollten und es geduldet haben, dass sie in der Stadt ermordet wurde am hellen, lichten Tag, und sie haben es nicht für nötig befunden, die Täter und die Verantwortlichen im Hintergrund für diesen Mord zu finden. Dieser Mordfall ist bis heute nicht aufgedeckt.
Müller-Ullrich: Zum 50jährigen Bestehen des Writers in prison committee sprachen wir mit Dirk Sager vom deutschen P.E.N.-Club. Vielen Dank für die Auskünfte, Herr Sager.
Beim deutschen P.E.N. ist Dirk Sager für die Arbeit dieses Komitees verantwortlich. Herr Sager, wie genau funktioniert das? Wie ist das writers in prison committee organisiert?
Dirk Sager: Die Zentrale des Writers in prison committee ist in London angesiedelt. Dort arbeiten fest angestellte Mitglieder, sammeln Informationen aus aller Welt, durch Zeitungsausschnitte, aber auch durch die Kommunikationswege von Organisationen, Schriftstellern, also haben auch Zugang zu Informationen, die noch nicht öffentlich sind. Zweimal im Jahr gibt die Zentrale in London eine Caselist heraus, in der alle Schicksale von verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Journalistinnen und Journalisten zusammengefasst sind, und mit dieser Caselist arbeiten die nationalen Sektionen der Writers in prison committees und versuchen, Öffentlichkeit zu erzeugen, den Betroffenen selbst Mut zu machen und sie zu bestärken, indem wir ihnen Briefe schreiben, und versuchen schließlich, auch den Angehörigen der Verfolgten praktische Hilfe zukommen zu lassen.
Müller-Ullrich: Wie unterscheidet sich denn diese Arbeit jetzt von, sagen wir mal, der Arbeit von Amnesty International, die sich ja auch für Verfolgte, zu Unrecht Verfolgte – und das heißt meist politisch Verfolgte – einsetzen? Heißt das, dass Autoren irgendwie was Eigenes brauchen, weil sie was Besseres sind?
Sager: Nein! Der P.E.N. hat mit dieser Arbeit angefangen. Die Gründung des Writers in prison committees liegt vor der Gründung von Amnesty International. Es hat sich aber gezeigt und es zeigt sich auch heute noch, dass Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Journalisten ganz besonders bedroht sind, wenn es um die Verteidigung der Meinungsfreiheit geht. Bei ihnen setzen die Regime an. Nehmen Sie als Beispiel Russland. Es sind 300 Journalisten in den letzten 20 Jahren in Russland ermordet worden, weil sie sich dem Diktat der lokalen Herrscher, den Provinzgouverneuren oder den Industrieinteressen widersetzt haben, oder weil sie der Regierung in Moskau im Wege standen.
Müller-Ullrich: Wie verhindern Sie denn, dass, sagen wir mal, einfache Kriminelle unter den Journalistenmantel schlüpfen, was ja möglich ist, weil es keine wirklich geschützte Berufsbezeichnung ist? Jeder der schreibt, kann ja dadurch einen anderen Status bekommen.
Sager: Ja. Aber es ist ja erkennbar, ob jemand, der schreibt, sich mit seinen Schriften angreifbar gemacht hat, weil er eingetreten ist für die Freiheit der Meinung, weil er Machenschaften der Regierung bekämpft hat, weil er Korruption versucht hat aufzudecken. Also jeder der schreibt, bringt ja selbst den Nachweis seiner Arbeit und bringt auch damit den Nachweis für den Grund, aus dem er verfolgt wird.
Müller-Ullrich: Also es ist nicht so, dass Sie automatisch für Schriftsteller eintreten, weil es Schriftsteller sind, sondern das was ihnen vorgeworfen wird, das muss mit dieser schriftstellerischen Arbeit direkt zusammenhängen?
Sager: Ja und das versucht die Londoner Zentrale, mit Recherchen auch abzusichern, dass keiner unter dem Mantel des Journalisten ganz andere Dinge versucht hat zu erledigen.
Müller-Ullrich: Wenn wir die Fallstatistik Ihrer Arbeit mal ein bisschen im historischen Querschnitt anschauen, dann würde mich interessieren, wie sich gewissermaßen das Eintreten für von rechten und linken Diktaturen Verfolgte bemessen lässt. Es ist ja so, dass Schriftsteller und Journalisten lange Zeit ein linkes Herz hatten. In der Zeit des alten Kalten Krieges, da hatte man ja ein bisschen Mühe, sich wirklich für diejenigen einzusetzen, die von linken totalitären Regimen verfolgt wurden.
Sager: Ich glaube, dass diese Verhaltensmuster eher auf Unterstellung beruhen. Nehmen Sie als Beispiel die verfolgten Autorinnen und Autoren in der DDR, auf deren Schicksal wir ein besonderes Augenmerk hatten. Nehmen Sie das Beispiel Kuba, wo auch eine linke Diktatur versucht, das Land zu regieren. Aber es wurde doch zur Kenntnis genommen, dass diese linke Diktatur fürchterliche Opfer gefordert hat und immer noch fordert. Das heißt, dass der P.E.N. in seiner Arbeit auf einem Auge vielleicht nicht so gut sehen kann, oder gar blind ist, diese Gefahr besteht eigentlich seit ganz langem nicht mehr.
Müller-Ullrich: Was bleibt ist vielleicht eine perverse Genugtuung aller, die schreiben, natürlich nicht derjenigen, die betroffen sind von Verfolgung, aber überhaupt die Tatsache, dass man feststellt, Schrift wirkt.
Sager: Schrift wirkt und erregt auch Furcht der Herrschenden. Ich habe es selbst sehr direkt erlebt am Beispiel von Anna Politkowskaja, mit der ich in meiner Moskauer Zeit befreundet war, weil wir gleiche Interessengebiete hatten, nämlich den Krieg in Tschetschenien und die Machenschaften der Armee und der russischen Geheimdienste in Tschetschenien. Die Artikel von Anna Politkowskaja haben der Regierung in Moskau das Fürchten gelehrt, so sehr das Fürchten gelehrt, dass sie für die Sicherheit von Anna Politkowskaja nicht mehr garantieren wollten und es geduldet haben, dass sie in der Stadt ermordet wurde am hellen, lichten Tag, und sie haben es nicht für nötig befunden, die Täter und die Verantwortlichen im Hintergrund für diesen Mord zu finden. Dieser Mordfall ist bis heute nicht aufgedeckt.
Müller-Ullrich: Zum 50jährigen Bestehen des Writers in prison committee sprachen wir mit Dirk Sager vom deutschen P.E.N.-Club. Vielen Dank für die Auskünfte, Herr Sager.