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Schriftsteller gegen Hass
"Literatur statt Brandsätze"

Die Frage, wie sich die Gräben in der deutschen Gesellschaft wieder schließen lassen, beschäftigt auch die Schriftstellerin Anna Kaleri. Sie hat in Leipzig die Initiative "Literatur statt Brandsätze" gegründet - inzwischen hat sich ein Netzwerk in ganz Sachsen daraus entwickelt.

Anna Kaleri im Gespräch mit Michael Köhler | 18.02.2020
Eine Fotografie der Schriftstellerin Anna Kaleri. Sie steht in einem braunen Mantel mit brombeerfarbenen Schal vor dem dicken Stamm eines Baumes im Herbst.
"Lauter Leise": Die Schriftstellerin Anna Kaleri organisiert in Sachsen Lesungen gegen Hass (Alexander Gehring)
Michael Köhler: Sie haben einen Verein ins Leben gerufen und engagieren sich für Kunst und Literatur in Sachsen. Das hat angefangen mit "Literatur statt Brandsätze"?
Anna Kaleri: Ja, genau, 2015/16 gab es ja eine Reihe von fremdenfeindlichen Vorfällen, brennende Unterkünfte für Geflüchtete bis hin dann auch zu dieser pogromartigen Stimmung in dem Dorf Clausnitz im Erzgebirge. Und das hat mich schon sehr aufgeschreckt, und als Autorin habe ich dann gedacht: Wir müssen dem etwas Konstruktives entgegensetzen - und habe dann den Aufruf gestartet für "Literatur statt Brandsätze". Da ging es eben darum, mit den Mitteln der Kultur, der Literatur auch für Differenziertheit und für konstruktiven Dialog zu sorgen oder dazu beizutragen. Und dieser Initiative haben sich 60 sächsische Autorinnen und Autoren angeschlossen; und daraus haben wir dann auch ein Leseprogramm angeboten. Jeder in Sachsen, der eine Lesung mit Gespräch bei sich haben wollte, konnte sich einfach aussuchen, wer kommen soll.
Und das war eine gute Erfahrung, hat auch zu einer sachsenweiten Vernetzung beigetragen und auch dazu, dass ich einige Gemengelagen in Städten wie zum Beispiel Zwickau und Bautzen besser kennengelernt habe. Das war aber klar, dass das ehrenamtlich so nicht weitergehen kann. Das war ein halbes Jahr der volle Wahnsinn: 30 Veranstaltungen. Wir haben dann ja von heute auf morgen den Verein "Lauter Leise" gegründet, zusammen mit anderen Kulturschaffenden, und haben dann "Literatur statt Brandsätze" als ein Bestandteil des Vereinsprogramms, uns aber insgesamt breiter aufgestellt. Das heißt: Wir machen jetzt Kunstaktionen im öffentlichen Raum, sind aber auch an Schulen unterwegs - vor allem in Leipzig und im ländlichen Raum. Der Schwerpunkt ist immer, konstruktive Ausdrucksformen und konstruktives Gespräch zu stärken.
Differenziertes Bild entgegensetzen
Köhler: Sie haben es ein bisschen beschrieben: Ihr ursprünglicher Verein "Literatur statt Brandsätze" ist aufgegangen in der größeren Bewegung "Lauter Leise" - ein schönes Wortspiel. Da heißt es unter anderem: "Das Bestreben, Zeitströmungen spürbar zu machen, verlangt nach einer Beobachtung und Zurückhaltung im Urteil. Diese leise Eigenschaft der Kunst ist ein wichtiges Korrektiv zur Selbstgerechtigkeit, zu Hetze und Gewalt." Das heißt, Sie antworten nicht mit gleichen Mitteln, sondern wollen einen friedlich künstlerischen Umgang mit dem Problem stiften. Richtig?
Kaleri: Genau! Um diesen Vorurteilen, die sich angehäuft haben, auch ein differenziertes Bild entgegenzusetzen und natürlich auch Empathie und Weltoffenheit zu stärken. All das geschieht ja auch in der aktiven Auseinandersetzung. Zum Beispiel mit Literatur, indem man sich in die Helden einfühlt und mit ihnen auch in andere Welten abtaucht; aber immer auch ein breites Bild vor sich hat, fernab von Schwarz und Weiß und fernab dieser vorschnellen Bewertung, in der wir uns ja heute befinden.
Restriktive und progressive Kräfte
Köhler: Frau Kaleri, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Sie im Ostharz geboren sind, also noch in der DDR geboren worden sind. Was heißt Ihr Engagement für Sie und Ihre Arbeit als Autorin und öffentliche Person?
Kaleri: Ich lebe seit 1996 in Leipzig und beobachte hier in Sachsen tägliches Tauziehen der restriktiven und der progressiven Kräfte. Letztendlich geht es um verschiedene Interpretationen dessen, wie wir praktisch dieses Zusammenleben hier gestalten wollen. Das ist aber eine Frage, die nicht ausgesprochen wird. Und tageweise oder je nach Entscheidung scheint es einmal so, dass der Pegel mehr in Richtung Angst oder mehr in Richtung Freiheit ausschlägt. Und gerade für mich, die ich noch in der DDR aufgewachsen bin, ist es natürlich klar, dass Freiheit und Bürger- beziehungsweise Menschenrechte ein hohes und beschützenswertes Gut darstellen. Und dafür stehe ich ein mit vielen, vielen anderen Menschen zusammen. Das ist eine Haltung, weil es das ja auch ist, was Demokratie stärkt und ausmacht. Das ist unser Recht und zurzeit, würde ich sagen, fast auch unsere Pflicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.