Archiv


Schriftsteller hält Piraten "in ästhetischer Hinsicht für nahezu debil"

Wer wie die Mitglieder der Piratenpartei eine Lockerung des Urheberrechts fordert, habe eine "laienhafte Vorstellung" von dem, "was Literatur ausmacht", meint der Autor Karl-Heinz Ott. Sein Beruf sei keine Freizeitbeschäftigung, sondern ein Broterwerb.

Karl-Heinz Ott im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: "Wir sind die Urheber!": Schon mehr als tausend Schriftsteller, Künstler, Musiker und Wissenschaftler haben einen von dem Kölner Verleger Helge Malchow, dem Berliner Literaturagenten Matthias Landwehr und der Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" lancierten Aufruf "gegen den Diebstahl geistigen Eigentums" unterschrieben. Warum? - In Freiburg im Breisgau ist am Telefon der Schriftsteller Karl-Heinz Ott; Herr Ott, bei dem gegenwärtigen Gezerre um die Zukunft des Urheberrechts geht es doch eigentlich vor allem um audiovisuelle Werke, die man sich im Internet herunterladen kann, die Literaten sind davon doch viel weniger betroffen - oder?

    Karl-Heinz Ott: Ja gut, aber wenn man das Urheberrecht grundsätzlich abschaffen möchte, dann sind wir sehr schnell betroffen und dann bekommen wir für die Arbeit an einem Roman, die ja durchaus mal fünf Jahre dauern kann, in denen man auch nichts anderes tut, kein Geld mehr.

    Müller-Ullrich: Aber von Abschaffen ist ja auch nicht wirklich die Rede. Ist denn so eine Kriminalisierungskampagne, wie sie in der Gegenrichtung unternommen wird, da ein sinnvolles Mittel?

    Ott: Na ja, gut. Die Piraten nennen sich ja stolz "Piraten" und insofern steckt ja im Namen schon drin, dass sie Raub und Diebstahl für etwas Erstrebenswertes halten, und insofern ist die Kriminalisierung ja von denen selbst schon im Begriff mitgeliefert.

    Müller-Ullrich: Es handelt sich ja unter anderem auch um eine Betrachtung der technischen Möglichkeiten, die sich nun mal ergeben haben durch die Existenz des Internets: Also man kann Dinge herunterladen, man kann die Spuren verwischen. Wie soll man jetzt da mit Empörung dagegen vorgehen?

    Ott: Angenommen die Bücher wurden weitestgehend oder vielleicht zu 100 Prozent ins Internet gestellt - und zwar so, dass jeder sich das kostenlos herunterladen könnte -, dann müssten Sie mir ja erklären, wovon ich leben sollte.

    Müller-Ullrich: Na vom Bücherverkauf natürlich, denn dass jemand im Internet sich kundig macht, ist ja noch mal ein ganz anderer kultureller Akt als das Lesen.

    Ott: Ja gut, aber es geht ja auch bei der ganzen Debatte gegen die Verlage. Es wird der Eindruck erweckt, als seien die Verlage inzwischen die bösen, geldgierigen Haie, die uns Autoren ausbluten, was einfach nicht stimmt. Sehr viele Verlage, vor allem literarisch orientierte Verlage, kämpfen ums Überleben. Also auch große Verlage wissen manchmal nicht, wie es nächstes Jahr weitergeht, und dann werden sie fusioniert oder aufgekauft. Die Autoren zittern dann schon, weil sie nicht wissen, ob sie übernommen werden. Und man muss einfach mal sehen: Wenn es in diesem Sinne gegen die Verlage geht, müsste man sich auch fragen, wer verdient eigentlich an diesem Geschäft. Das ist doch Google!

    Müller-Ullrich: Also solange es Bücher gibt, gibt es ja Raubkopierer. Und auf der anderen Seite kann man ja auch sagen, jeder Raubkopierer ehrt den Autor, denn sonst hätte er es ja gar nicht gemacht.

    Ott: Das stimmt! Das ist viel Ehre, aber wenig Einkommen dabei.

    Müller-Ullrich: Oder würden Sie sagen, die ganze Diskussion geht nur ums Geld?

    Ott: Ja es geht vor allem ums Geld. Worum denn sonst? Ich meine, Ehre ist schön und gut, aber da kann man nicht von leben, und ich bin doch erstaunt, welch laienhafte Vorstellung über das, was Literatur ausmacht, bei den Piraten herrscht. Man hat das Gefühl manchmal, diese doch recht ahnungslosen, radikal kunstfernen Internet-Konsumenten halten Literatur für eine Art Freizeitbeschäftigung, für eine Art spleeniger Selbstverwirklichung.

    Aber das ist natürlich ganz anders und insofern hat Kunst, anders als das diese Leute, die sich ja selbst zum Teil Gesellschaftskünstler nennen, aber anders als die meinen hat Kunst durchaus mit Können zu tun. Ich würde sagen, das ist der wesentliche Aspekt. Das ist eine hoch konzentrierte Arbeit. Und wenn jemand drei, vier Jahre am Schreibtisch sitzt und in der Zeit nichts verdient - wir bekommen ja kein monatliches Gehalt von irgendjemandem -, dann möchte er natürlich möglichst viel damit verdienen, vor allem, wenn man vielleicht auch noch Kinder hat.

    Müller-Ullrich: Na klar! Aber wenn Sie sagen, die Piraten sind dermaßen intellektuell unterbelichtet oder, sagen wir mal, kunstfern, dann könnten Sie sich ja auch zurücklegen und sagen, die lesen nicht, aber die schaden auch nicht, weil die sind unserem Bereich ja so extrem weit entfernt.

    Ott: Ja gut, in ästhetischer Hinsicht halte ich tatsächlich manche Leute von denen, die sich da laut zu Wort melden, für nahezu debil. Die scheinen wirklich sehr, sehr, sehr kunstfern zu sein. Aber das wäre mir auch insofern egal, weil die Leute gibt es immer. Aber inzwischen wählen ja bürgerliche Leute, die jahrelang CDU oder SPD gewählt haben, aus irgendwelchen Protestanwandlungen diffuser Art einfach die Piraten und sie kommen ja inzwischen auf zum Teil stattliche zehn Prozent, und dann darf man doch ein bisschen Angst bekommen.

    Müller-Ullrich: "Wir sind die Urheber!" - zu diesem Manifest der Angst, wie wir jetzt hörten, äußerte sich der Schriftsteller Karl-Heinz Ott, einer der prominenten Mitunterzeichner neben Daniel Kehlmann, Elke Heidenreich, Uwe Tellkamp, Christoph Ransmayr, Günter Wallraff, Charlotte Roche, Sibylle Lewitscharoff, Sven Regener und vielen, vielen anderen.

    Links auf Dradio.de:

    Künstler unterzeichnen Aufruf für Stärkung des Urheberrechts (Aktuell)
    Schriftsteller Matthias Politycki verteidigt den Aufruf (DKultur)