Unweit vom Touristenrummel auf dem Altstätter Platz in Prag mit seinem berühmten Glockenspiel befindet sich ein unscheinbares Gebäude. Das Schild über der Tür sei leicht zu übersehen, sagt auch der Schriftsteller Jáchym Topol:
"Wir befinden uns hier in der Vaclav-Havel-Bibliothek. Hier befindet sich das größte digitale Archiv der Bücher von Vaclav Havel und ein gut besuchtes Kulturzentrum."
Die Vaclav-Havel-Bibliothek befindet sich in einer stillen Seitengasse. Ein Sinnbild für das, was mit Havels moralischen Grundsätzen in der tschechischen Gesellschaft von heute geschehen ist? Jáchym Topol zuckt mit den Schultern:
"Die Veranstaltungen sind voll. Ich beobachte tatsächlich, dass unsere Gäste hier so etwas wie das Ethos von Vaclav Havel suchen. Die meisten empfinden den Populismus der jetzigen tschechischen Regierung als Bedrohung. Irgendwie haben wir es bisher nie geschafft, einen normalen Präsidenten zu wählen. Vaclav Havel war ein Extrem, geboren aus der besonderen Situation des Umbruchs von 1989. Der heutige Präsident Zeman ist das andere Extrem."
Darf ein Schriftsteller sich über den Präsidenten lustig machen?
In einer Szene seines neuesten Romans "Ein empfindsamer Mensch" macht sich Topol in geradezu Schwejkscher Manier über Zeman lustig. Woraufhin der Präsident in einem Online-Beitrag wütend fragte: "Darf ein Schriftsteller so ein Buch überhaupt schreiben?"
Schon die Frage zeige, dass einige Politiker die Kultur gern wieder einer bestimmten Politik unterordnen möchten, meint der Schriftsteller Michal Ajvaz. Gerade sind seine "Erinnerungen eines alten Warans" in deutscher Übersetzung erschienen. Tschechiens letzter großer Surrealist sitzt im berühmten Cafe Slavia und schüttelt sein graues Haupt:
"Unsere Gesellschaft ist geteilt. Wenn die Literatur in solch einer Situation eine Aufgabe hat, dann die, dass sie im Gegensatz zu den wiederaufkommenden Ideologien einen offenen Geist transportieren sollte. Viele von denen, deren Bücher das tun, werden heute als havloid und Vertreter der weltoffenen Prager Kaffeehauskultur beschimpft."
In der Öffentlichkeit melden sich tschechische Autoren selten zu Wort. Einige aber stoßen durchaus gesellschaftliche Debatten an. Etwa, wenn sie sich wie Kateřina Tučková mit blinden Flecken in der tschechischen Geschichtsschreibung befassen.
"Ich zeige ihnen heute die Brünner Bronx. Und ich möchte ihnen diesen Stadtteilt zeigen, weil er die deutsch-jüdische Geschichte der Stadt erzählt und weil hier mein Roman 'Gerta' spielt."
Immer wieder führt Kateřina Tučková Besucher an die Plätze ihres Romans. Darin erzählt sie von der brutalen Vertreibung der deutschen Bevölkerung 1945 aus Brünn. Tučková lief den sogenannten Brünner Todesmarsch nach. Tausende folgten ihr.
Bedrohung durch totalitäre Regime
Für den Historiker und Autor Petr Stančík ist Tučkovás Buch ein Beweis dafür, dass Literatur auch in der heutigen Zeit eine große Kraft entfalten kann. Stančík erzählt in seinem Roman, "Der Sprungfedermann", vom tschechischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Es gehe ihm darin aber weniger um Heldentum als vielmehr um die Entscheidungen, die jeder für sich selbst in einer bestimmten Situation treffen müsse:
"Ich glaube zwar nicht, dass heute eine Gefahr wie in den dreißiger Jahren droht. Aber die Bedrohung, dass wieder totalitäre Regime an die Macht kommen, ist sehr real, auch in Tschechien. Es geht also wieder darum, wie sich jeder Einzelne entscheidet: Ob wir aktiv werden. Oder ob wir das Hinübergleiten in eine neue totalitäre Gesellschaft zulassen."