"Meine erste Reaktion war: warum wundert mich das nicht?", sagt Robert Menasse zur sogenannten Ibiza-Affäre um das Strache-Video, und ergänzt: "Weil es genau das ist, was man in der politischen Praxis dieser Partei tagaus, tagein sehen konnte. Es war ja nicht so, dass wirkliche Saubermänner plötzlich als kleine Gauner entlarvt worden wären. Wir haben das ja jeden Tag gesehen."
Erstaunlich sei für ihn, dass sich die überwältigende Mehrheit in Österreich offenbar aber in einer Frage einig sei: "Sebastian Kurz ist der Heilige, der Arme, der betrogen wurde von seinem Koalitionspartner. Und er ist der Garant für Stabilität. Und in meinen Augen - und in den Augen einiger Intellektuellen und Künstler in Österreich, die ja doch auch eine Stimme haben - ist er eigentlich der Schuldige, denn er hat das Ganze erst ermöglicht."
Dass Kanzler Sebastian Kurz jetzt seine Hände in Unschuld wasche und mutmaße, die Sozialdemokraten hätten etwas mit dem Video zu tun, gewürzt mit einer Portion Antisemitismus - "Das ist die Silberstein-Methode" steht für Robert Menasse dabei als Chiffre für "Der Jud' ist schuld" - hält der Schriftsteller für den eigentlichen Skandal. "Es ist viel mehr als eine Regierungskoalition zerstört worden, wir erleben den schleichenden Prozess der Zerstörung der politischen Kultur in Österreich."
Austrofaschismus als Synonym für Patriotismus
Die historische Begründung dafür liegt laut Menasse darin, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich der Austrofaschismus nicht aufgearbeitet wurde, unter anderem, weil dessen Führer und Kanzler Dollfuß ein Gegner Hitlers war. "Als wäre ein konkurrierender Faschismus nicht auch Faschismus." So konnte nach 1945 gesagt werden, der Austrofaschismus sei in Wirklichkeit Patriotismus: "Patriotismus heute in Österreich ist das Synonym für austrofaschistische Sehnsucht nach einer bestimmten Form von schlampiger, autoritärer Politik."
Zur Rolle von Künstlern und Intellektuellen in dieser Situation sagt der Schriftsteller: "Ich habe manchmal das Gefühl, dass Künstler, Künstlerinnen, Intellektuelle eine größere und bedeutendere Aufgabe heute haben als je zuvor in meiner Lebenszeit. Weil sie die Letzten sind, die immer wieder an die Grundlagen einer liberalen und zivilen Demokratie erinnern. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Künstler die einzigen sind, die in dieser getriebenen, immer repressiveren, immer größeren Druck ausübenden Welt die einzigen sind, die noch Zeit haben nachzudenken. Die einen halben Tag im Kaffeehaus sitzen können zum Beispiel, vielleicht kommt man da eben auf bessere Gedanken."
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