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Schriftsteller Rudolf Ungvary: Ungarn "ist eine Scheindemokratie"

Viktor Orban regiert in Ungarn am rechten Rand, sein staatsfreundliches Mediengesetz stieß auf Kritik. Das Verfassungsgericht hat es zwar in Teilen gekippt, doch Autor Rudolf Ungvary warnt: Ab 1. Januar gelte in Ungarn eine neue und undemokratische Verfassung - mit ihr sei das Urteil bedeutungslos.

Rudolf Ungvary im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Als Viktor Orban mit seiner Partei Fidesz im Frühjahr 2010 die ungarischen Parlamentswahlen haushoch gewann, da kündigte er eine Revolution an, und er meinte offenbar, was er sagte. Gestützt auf eine Zweidrittelmehrheit im Parlament krempelt der rechtspopulistische Politiker, dem immer wieder allzu viel Nähe zu Rechtsextremisten in seinem Land nachgesagt wird, das Land um. Erst liebäugelte er mit den in den Nachbarländern lebenden ungarischstämmigen Menschen, was dort Ängste vor ungarischen Ambitionen nährte, Orban wolle die Grenzverläufe in der Region in Frage stellen. Dann kujonierte er die Medien seines Landes, die er unter eine stramme staatliche Aufsicht stellte. Und schließlich ließ er eine neue Verfassung verabschieden, die Anfang kommenden Jahres in Kraft tritt und der Kritiker attestieren, sie unterwerfe das Land einem mindestens rechtskonservativen Weltbild. Aber nun deutet sich Widerstand an. Das Verfassungsgericht kippte Teile des Mediengesetzes und andere Regelungen und am Freitag soll es sogar eine Großdemonstration der Opposition gegen Viktor Orban geben. – Am Telefon bei uns ist nun der ungarische Schriftsteller Rudolf Ungvary. Guten Morgen nach Budapest.

    Rudolf Ungvary: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Ungvary, Viktor Orban regiert Ungarn jetzt seit eineinhalb Jahren mit Zweidrittelmehrheit. Ist Ungarn Ihrer Meinung nach jetzt noch eine funktionierende Demokratie?

    Ungvary: Es ist eine Scheindemokratie und was da hierzulande entsteht, ist eigentlich der Führerstaat des Viktor Orbans, ein skrupellos und machtbewusster Ministerpräsident, und wie György Konrád einmal bemerkte, an den Rändern Europas kichert der Wahnsinn.

    Kapern: Worauf stützen Sie diese doch schweren Vorwürfe gegen den Ministerpräsidenten?

    Ungvary: Also das ist ganz eindeutig, wie er die gesamte Staatsmacht an sich reißt, wie er die Balancen und Gleichgewichte ausmerzt aus der Demokratie und eine illiberale Struktur entstehen lässt. Also, die Maßnahmen, die jetzt unlängst erfolgten, wie zum Beispiel, dass die einzige oppositionelle Radiostation Ungarns, Radio Klub, darf gar nicht senden. Die nationale Medienaufsichtsbehörde, der verlängerte Arm der Regierung, vergab nämlich die Frequenz kurzerhand an einen völlig unbekannten Konkurrenten. Das bedeutet, dass es keinen unabhängigen Radiosender mehr in Ungarn gibt.

    Kapern: Nun hat ja Viktor Orban ein häufig kritisiertes Mediengesetz erlassen, das dem Staat weitgehende Kontroll- und Eingriffsrechte bei den Medien einräumt. Dieses Gesetz ist vor wenigen Tagen vom Verfassungsgericht gekippt worden. Ist das nicht ein Beleg dafür, dass Demokratie und Rechtsstaat vor allem in Ungarn doch noch funktionieren?

    Ungvary: Ja, da muss ich Ihnen sagen, dass das Verfassungsgericht so entschieden hat und somit Teile des umstrittenen neuen Mediengesetzes für verfassungswidrig erklärte, kann eigentlich dennoch kaum von einem Sieg für die Pressefreiheit gesprochen werden. Im kommenden Jahr nämlich tritt in Ungarn eine völlig neue und undemokratische Verfassung in Kraft, die gar nicht freiheitlich ist, und im Sinne dieser neuen Verfassung wird das Urteil am 1. Januar völlig bedeutungslos. Also da könnte man sagen, sozusagen ist das eine Last-Minute-Maßnahme zur Gesichtswahrung des Gerichts, und in diesem Sinne könnte man höchstens davon reden, dass das demokratische Leben in diesem Lande so zerstört ist, die Atmosphäre ist so vergiftet, dass sich viele Ungarn vorstellen können, es handle sich hinsichtlich dieses Entscheides um ein abgekartetes Gaunerstück, um dem Rest der Welt eine Posse in Sachen Rechtsstaat vorzuführen.

    Kapern: Sie haben gesagt, die neue Verfassung, die am 1. Januar in Kraft tritt, sei undemokratisch. Worauf stützen Sie sich dabei?

    Ungvary: Diese Verfassung beinhaltet im Grunde genommen ganz verschwommene Passagen: solche Passagen, die völlig mehrdeutig sind und der Regierung es ermöglichen, dass Journalisten gezwungen werden, ihre Quellen freizugeben zum Beispiel, und es beruft sich auf Gemeininteressen, wonach man Zeitungen und Medien maßregeln kann, also Hunderte von kleinen feinen Details, die der Regierung die Möglichkeit geben, gegebenenfalls richtig durchzugreifen. Im Westen hat man immer geglaubt, Orban habe die staatliche Kontrolle der Online-Medien unter EU-Druck etwas zurückgenommen. Tatsächlich aber existieren die Durchgriffsmöglichkeiten bis heute. Die Gummiparagraphen in diesem Mediengesetz machen letztlich alles möglich.

    Kapern: Herr Ungvary, am Freitag wird es eine Großkundgebung der Opposition vor dem Parlament geben. Das ist eine Demonstration gegen ein weiteres Gesetz, das dort erlassen werden soll, das es ermöglicht, Gesetze im Eilverfahren innerhalb von zwei Tagen zu verabschieden. Wie stark ist die Opposition gegen Orban, der ja doch mit einer gigantischen Mehrheit gewählt worden ist vor eineinhalb Jahren?

    Ungvary: Es ist so: diese Opposition in Ungarn ist eigentlich total eingeschüchtert. Nämlich diejenigen Liberalen und Linken in Ungarn, die nach der Systemwende ihre Hoffnungen darauf setzten, dass Ungarn endlich zu Europa gehöre, diese wurden durch diese überwältigende Mehrheit in Ungarn, die sich für Orban und seine illiberale Demokratie entschied, total verunsichert. Und deshalb kann sich diese Linke und diese ungarischen Liberalen eigentlich nicht mobilisieren. Dadurch sind ihre Versammlungen heutzutage noch sehr, sehr schwach. Sie können keine beeindruckende Massenmenge darstellen auf der Straße, und im Grunde genommen beherrscht die Straße weiterhin die äußerste Rechte.

    Kapern: Gehen die europäischen Nachbarn, geht die EU zu vorsichtig, zu sachte mit Viktor Orban um?

    Ungvary: Ja. Im Grunde genommen hat man keine richtige Ahnung davon, was sich für gespenstische Prozesse hier in Ungarn abspielen. Man meint, da seien nur gewisse Übergriffe und seltsame Anordnungen vorhanden, aber im Grunde genommen spielt sich eine Art Gleichschaltung des gesamten Machtapparats ab, das im Grunde genommen nur mit Weißrussland zu vergleichen ist.

    Kapern: Der ungarische Schriftsteller Rudolf Ungvary heute live im Deutschlandfunk. Herr Ungvary, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, sage danke für das Gespräch und alles Gute nach Budapest.

    Ungvary: Danke! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.