"Wenn Sie nach dem Kriegsende fragen, dann kommt für mich unvergesslich das Gefühl, das Gespür für diese Zeit wieder hoch. Das war im April 1945, und ich verbinde es mit Sonne, Wärme. Und ich hatte nur den Gedanken, aber mehr als den Gedanken, so ein innerliches Gefühl: Wir sind am Ziel angekommen, jetzt fängt das Leben an, und das Leben wird nie wieder gefährlich sein. "
Ruth Klüger war 13 Jahre alt, als sie kurz vor Kriegsende zusammen mit ihrer Mutter den nationalsozialistischen Vernichtungslagern entkam.
"Wir sind von einem Todesmarsch geflohen und haben uns als nicht-jüdische Deutsche ausgegeben, das gelang uns irgendwie, und landeten in der bayerischen Stadt Straubing. Das Kriegsende ist so positiv besetzt für mich wie nichts Anderes im Leben."
Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte Ruth Klüger in Wien. Sie wurde 1931 als Tochter einer Arztfamilie geboren, die sich selbst zum assimilierten Judentum zählte.
"Wir waren nicht besonders religiös. Aber es gab fromme Menschen in der Familie, und denen gegenüber war man zuvorkommend, hat möglichst nicht am Sabbat Schinken vor ihnen gegessen, aber sonst hat man schon Schinken gegessen. Also, wir waren emanzipierte Juden."
Ruth Klüger war 13 Jahre alt, als sie kurz vor Kriegsende zusammen mit ihrer Mutter den nationalsozialistischen Vernichtungslagern entkam.
"Wir sind von einem Todesmarsch geflohen und haben uns als nicht-jüdische Deutsche ausgegeben, das gelang uns irgendwie, und landeten in der bayerischen Stadt Straubing. Das Kriegsende ist so positiv besetzt für mich wie nichts Anderes im Leben."
Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte Ruth Klüger in Wien. Sie wurde 1931 als Tochter einer Arztfamilie geboren, die sich selbst zum assimilierten Judentum zählte.
"Wir waren nicht besonders religiös. Aber es gab fromme Menschen in der Familie, und denen gegenüber war man zuvorkommend, hat möglichst nicht am Sabbat Schinken vor ihnen gegessen, aber sonst hat man schon Schinken gegessen. Also, wir waren emanzipierte Juden."
Als sich das Leben von Grund auf änderte
Mit dem Einmarsch der Deutschen in Österreich 1938 änderte sich das Leben von Grund auf.
Adolf Hitler in seiner Rede zum "Anschluss Österreichs" am 15. März 1938 auf dem Wiener Heldenplatz: "Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reichs melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich!"
"Auf die Straße konnte man zuerst schon noch, aber später nicht mehr ohne Judenstern, und da war es kein Vergnügen, spazieren zu gehen. Ich wurde immer einsamer, ich habe weniger von der Welt draußen mitbekommen, als ... Sie sehen schon, ich sage die Welt draußen, als wäre die sogenannte arische Welt eben ein anderer Planet. Und ich wohnte dann am Ende mit meiner Mutter in einem dunklen Zimmer, in einer sogenannten Judenwohnung, die wir mit mehreren Familien teilten, und habe nichts mehr gehabt, außer Bücher, Gedichtbücher, wo man Gedichte auswendig lernen konnte. Es war ein reduziertes Leben. Es sind gewisse Dinge, die Kinder machen, die Kinder lernen: Sie gehen ins Kino, und sie lernen schwimmen und gehen Schlittschuhlaufen - und alle diese Dinge waren für mich nicht mehr da."
Adolf Hitler in seiner Rede zum "Anschluss Österreichs" am 15. März 1938 auf dem Wiener Heldenplatz: "Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reichs melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich!"
"Auf die Straße konnte man zuerst schon noch, aber später nicht mehr ohne Judenstern, und da war es kein Vergnügen, spazieren zu gehen. Ich wurde immer einsamer, ich habe weniger von der Welt draußen mitbekommen, als ... Sie sehen schon, ich sage die Welt draußen, als wäre die sogenannte arische Welt eben ein anderer Planet. Und ich wohnte dann am Ende mit meiner Mutter in einem dunklen Zimmer, in einer sogenannten Judenwohnung, die wir mit mehreren Familien teilten, und habe nichts mehr gehabt, außer Bücher, Gedichtbücher, wo man Gedichte auswendig lernen konnte. Es war ein reduziertes Leben. Es sind gewisse Dinge, die Kinder machen, die Kinder lernen: Sie gehen ins Kino, und sie lernen schwimmen und gehen Schlittschuhlaufen - und alle diese Dinge waren für mich nicht mehr da."
"Heute ist mir Theresienstadt eine Kette von Erinnerungen an verlorene Menschen"
Der Vater war nach Frankreich geflohen. Er wurde an die Deutschen ausgeliefert und vermutlich in Riga ermordet. Die Emigrationspläne der Mutter schlugen fehl. Sie wurde im September 1942 mit ihrer Tochter auf einem der letzten Transporte österreichischer Juden nach Theresienstadt deportiert. In ihrer Autobiografie "Weiter leben" erinnert sich Ruth Klüger:
"Unter den Alten und Kranken, die dort in Massen starben, war auch meine Großmutter Klüger, die Mutter meines Vaters. Heute ist mir Theresienstadt eine Kette von Erinnerungen an verlorene Menschen, Fäden, die nicht weitergesponnen wurden. Theresienstadt war Hunger und Krankheit."
Anderthalb Jahre später kamen sie und ihre Mutter in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Sie überlebte, weil sie - die damals Zwölfjährige - sich drei Jahre älter machte und damit für arbeitsfähig galt. Im Außenlager Christianstadt musste sie Schwerstarbeit leisten.
"Es gab nichts als Zukunft. Die Gegenwart war ja nichts, woran man sich klammern konnte. Es gab nichts als Zukunft. Wenn man mit den anderen Frauen am Abend zusammen gesessen ist, so bestand diese Zukunft aus Kochrezepten. Die Frauen haben sich endlos Kochrezepte erzählt und waren enorm großzügig mit dem Zucker und den Eiern. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie alle diese Sachen schmecken, aber irgendwie war das eine äußerst unterhaltsame Gesprächskultur. Na ja, und dann hat man sich erzählt von Gesellschaften, die man gehabt hat, und wie schön es war, mit dem Auto herum zu fahren und überhaupt: Wie gut es ist, in Freiheit zu leben."
"Unter den Alten und Kranken, die dort in Massen starben, war auch meine Großmutter Klüger, die Mutter meines Vaters. Heute ist mir Theresienstadt eine Kette von Erinnerungen an verlorene Menschen, Fäden, die nicht weitergesponnen wurden. Theresienstadt war Hunger und Krankheit."
Anderthalb Jahre später kamen sie und ihre Mutter in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Sie überlebte, weil sie - die damals Zwölfjährige - sich drei Jahre älter machte und damit für arbeitsfähig galt. Im Außenlager Christianstadt musste sie Schwerstarbeit leisten.
"Es gab nichts als Zukunft. Die Gegenwart war ja nichts, woran man sich klammern konnte. Es gab nichts als Zukunft. Wenn man mit den anderen Frauen am Abend zusammen gesessen ist, so bestand diese Zukunft aus Kochrezepten. Die Frauen haben sich endlos Kochrezepte erzählt und waren enorm großzügig mit dem Zucker und den Eiern. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie alle diese Sachen schmecken, aber irgendwie war das eine äußerst unterhaltsame Gesprächskultur. Na ja, und dann hat man sich erzählt von Gesellschaften, die man gehabt hat, und wie schön es war, mit dem Auto herum zu fahren und überhaupt: Wie gut es ist, in Freiheit zu leben."
"Wir sind mit dem Leben entkommen"
Im Februar 1945 wurden die KZ-Häftlinge aus dem Arbeitslager Christianstadt auf einen Todesmarsch nach Bergen-Belsen gezwungen. Wie durch ein Wunder gelang Ruth Klüger zusammen mit ihrer Mutter und einer Pflegeschwester die Flucht. Ein Pfarrer verhalf ihnen zu falschen Papieren.
"Wir sind in einem Flüchtlingsstrom nach Bayern gekommen, und das war schon eher gemütlich, denn da war ja eine Volksgemeinschaft. Da waren wir Deutsche. Wir waren glücklich, entkommen zu sein, während die anderen Deutschen das gegenteilige Gefühl hatten. Die hatten das Gefühl, jetzt verlieren sie alles. Sie verlieren ihre Heimat, sie verlieren ihre Häuser, die Kinder sind krank, und das Leben ist entsetzlich. Und wir hatten das Gefühl, jetzt geht endlich die Sonne langsam auf. Wir sind mit dem Leben entkommen."
Als amerikanische GIs im April 1945 in Straubing einmarschierten, mussten die Klügers ihre jüdische Identität nicht mehr verstecken.
"Da sind wir einfach auf den ersten besten Amerikaner zugegangen, das war ein Military Policeman, der da an der Straßenecke den Verkehr regelte, und haben ihm gesagt, wir sind aus einem Konzentrationslager entkommen. Und er sagte: schon wieder welche. Das Land ist ja voll davon. Ich hab genug davon. Das war ein bisschen enttäuschend, aber dann doch nicht so sehr. Aber ein besonderes Gefühl von verlorene Schwestern, kommt in meine Arme, das haben wir nicht gehabt."
1947 ging Ruth Klüger mit ihrer Mutter und Pflegeschwester in die USA. Den Kontakt zu Europa hat sie nie verloren. Bis heute begleitet sie die politische Entwicklung in Deutschland mit wohlwollend-kritischem Interesse.
"Es ist so, dass die Deutschen sich auf ihre Weise ebenso mit Erinnerung beschäftigen, wie es die Juden tun. Die Deutschen sind in mancher Beziehung selbstkritischer über ihre Vergangenheit, und wenn sie das sind, dann sind sie anderen Völkern voraus. Dann haben sie Einsichten, die über den Nationalismus hinausgehen. Ich bewundere das eigentlich an jungen, fortschrittlichen Deutschen, und derer gibt es ja viele. Die sind mit patriotischen Parolen nicht mehr einzufangen. Und dann gibt es eben die andere Seite, die jetzt gerade überschwappt mit den Rechtsextremisten, die finden, dass das einen Identitätsverlust darstellt. Meiner Ansicht nach nicht. Was hier stattfindet, meine ich, ist dieses Spiel und Gegenspiel von dem, was Erinnerung bietet. Also: Erinnerung belastet und Erinnerung erlöst."
"Wir sind in einem Flüchtlingsstrom nach Bayern gekommen, und das war schon eher gemütlich, denn da war ja eine Volksgemeinschaft. Da waren wir Deutsche. Wir waren glücklich, entkommen zu sein, während die anderen Deutschen das gegenteilige Gefühl hatten. Die hatten das Gefühl, jetzt verlieren sie alles. Sie verlieren ihre Heimat, sie verlieren ihre Häuser, die Kinder sind krank, und das Leben ist entsetzlich. Und wir hatten das Gefühl, jetzt geht endlich die Sonne langsam auf. Wir sind mit dem Leben entkommen."
Als amerikanische GIs im April 1945 in Straubing einmarschierten, mussten die Klügers ihre jüdische Identität nicht mehr verstecken.
"Da sind wir einfach auf den ersten besten Amerikaner zugegangen, das war ein Military Policeman, der da an der Straßenecke den Verkehr regelte, und haben ihm gesagt, wir sind aus einem Konzentrationslager entkommen. Und er sagte: schon wieder welche. Das Land ist ja voll davon. Ich hab genug davon. Das war ein bisschen enttäuschend, aber dann doch nicht so sehr. Aber ein besonderes Gefühl von verlorene Schwestern, kommt in meine Arme, das haben wir nicht gehabt."
1947 ging Ruth Klüger mit ihrer Mutter und Pflegeschwester in die USA. Den Kontakt zu Europa hat sie nie verloren. Bis heute begleitet sie die politische Entwicklung in Deutschland mit wohlwollend-kritischem Interesse.
"Es ist so, dass die Deutschen sich auf ihre Weise ebenso mit Erinnerung beschäftigen, wie es die Juden tun. Die Deutschen sind in mancher Beziehung selbstkritischer über ihre Vergangenheit, und wenn sie das sind, dann sind sie anderen Völkern voraus. Dann haben sie Einsichten, die über den Nationalismus hinausgehen. Ich bewundere das eigentlich an jungen, fortschrittlichen Deutschen, und derer gibt es ja viele. Die sind mit patriotischen Parolen nicht mehr einzufangen. Und dann gibt es eben die andere Seite, die jetzt gerade überschwappt mit den Rechtsextremisten, die finden, dass das einen Identitätsverlust darstellt. Meiner Ansicht nach nicht. Was hier stattfindet, meine ich, ist dieses Spiel und Gegenspiel von dem, was Erinnerung bietet. Also: Erinnerung belastet und Erinnerung erlöst."