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Schriftstellerin und Theologin Knauss
"Glauben hilft beim Sterben nicht"

In ihrem neuen Roman "Der Gott der letzten Tage" versetzt sich die Schriftstellerin und Theologin Sibylle Knauss in einen todkranken Pfarrer. Das Thema Tod polarisiere, sagte sie im Deutschlandfunk. "Da gibt es nur zweierlei: entweder Faszination an dem Thema oder Abwehr."

Sibylle Knauss im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Die Schriftstellerin Sibylle Knauss
    Die Schriftstellerin Sibylle Knauss (Manuela Meyer Saarbruecken)
    Monika Dittrich: Zu sterben, das ist das letzte Abenteuer, das uns bevorsteht. Sagt die Schriftstellerin Sibylle Knaus. Ihr jüngster Roman, der erst vor wenigen Wochen erschienen ist, handelt vom Sterben. Das Buch heißt "Der Gott der letzten Tage" und es geht hier tatsächlich um die letzten Tage – und zwar die eines Mannes, eines Pfarrers, der den Tod vor Augen hat. Sibylle Knauss, die Autorin, ist uns jetzt aus Stuttgart zugeschaltet. Guten Morgen!
    Sibylle Knauss: Guten Morgen.
    Dittrich: Frau Knauss, was interessiert Sie am Sterben?
    Knauss: Ich würde diese Frage mir selbst gar nicht stellen – nicht am Sterben interessiert mich etwas, sondern ich habe versucht, mich mit einem einzelnen Fall zu beschäftigen. Ich habe versucht, mich in das Innere eines Mannes zu versetzen, der den sicheren Tod vor Augen hat. Und natürlich kann man sich mit dem Sterben nicht konfrontieren, ohne sich mit dem eigenen Tod, der eigenen Endlichkeit zu konfrontieren. Das ist, glaube ich, jedem so gegangen, der mal einen Angehörigen, einen nahestehenden Menschen im Sterben begleitet hat. Das verweist einen ganz eindeutig auf die eigene Endlichkeit.
    Dittrich: Der Protagonist Ihres Buches, ein Pfarrer, schildert als Ich-Erzähler diese letzte Phase seines Lebens, die Erinnerungen, die an ihm vorbeiziehen, die ungelösten Konflikte - aber auch den körperlichen Verfall. Wir haben eine Passage vorbereitet und hören kurz hinein:
    "Er fühlt etwas Ungewohntes. Er fühlt sich nackt, öffnet die Augen und sieht, dass es der Fall ist. Sie haben seinen Leib aufgedeckt und machen sich an ihm zu schaffen. Zwei Frauen. Er fühlt ihre Hände über seinen Leib gleiten. Er sieht an sich hinab, sieht seine Brust, die vorstehenden Rippen, den mageren Bauch, eine Mulde zwischen Hüftknochen und Schambein, den Penis, klein und schutzlos wie ein Tier, das sich im Nest seiner Schamhaare schlafen gelegt hat, den Katheter, der aus ihm herausführt, er sieht seine Beine, lang und dünn, die Füße weit weg, versucht sie zu sich heranzuziehen, merkt aber, dass er so wenig Gewalt über sie hat wie über seine Arme. Die Frauen sind überaus freundlich. Wir waschen Sie, sagen sie."
    "Wir werden eines Tages sterben müssen und vollkommene Laien sein"
    Dittrich: Ein Zitat aus dem Buch "Der Gott der letzten Tage". Geschrieben hat es Sibylle Knauss, mit der wir heute morgen hier im Deutschlandfunk über das Sterben sprechen. Frau Knauss, Sie haben das eben schon mal angesprochen, dass Sie sich in den Sterbenden hineinversetzen als Schriftstellerin. Warum stellen Sie sich diese letzte Etappe des Lebens so vor und nicht anders?
    Knauss: Na, das hat natürlich eine große Faszination. Ich habe auch bei Lesern meines Buches, oder bei Menschen, die mich darauf ansprachen, wovon mein letztes Buch handelt, immer wieder gemerkt - Da gibt es nur zweierlei: entweder Faszination an dem Thema oder Abwehr. Und die Faszination, die ich auch empfinde, diesem Thema gegenüber, die bringt einen natürlich dazu, den Versuch zu machen, sich hineinzuversetzen. Und man stellt dann fest, wie schwierig das ist. Und wir alle wissen, dass wir in diese Phase vollkommen unvorbereitet gehen werden. Es gibt kein Einüben darin. Wir werden eines Tages sterben müssen und vollkommene Laien sein in der Kunst des Sterbens. Und das ist natürlich etwas, was einen berührt, wenn man zu tun hat mit einem solchen Fall. Man stellt auch fest, wie weit man von dem Sterbenden weg ist, dass … Der Sterbeprozess ist ja ein Prozess, in dem sich ein Mensch vom Leben und den anderen lebenden Menschen entfernt. Das kann für Angehörige sehr, sehr schmerzhaft sein. Sie stehen daneben und können den sterbenden Menschen nicht mehr erreichen. Das ist eine Illusion, zu glauben, dass ein nahestehender Mensch Auge in Auge und Hand in Hand mit geliebten Menschen sterben kann. Wir kennen diese alten Bilder, aus einer Welt, die eigentlich ziemlich versunken ist: Wo die Sterbenden im Kreis ihrer Familie lagen und alle drum herum, Kinder und Enkelkinder. Und das ist natürlich ein idealisiertes Genrebild. Das Sterben war immer schon ein Prozess mit großer Qual, mit Schmerzen, mit Angst verbunden. Und die Menschen, die drum herum stehen, entfernen sich von dem Sterbenden, der Sterbende entfernt sich von den Menschen. Und letzten Endes ist der Partner, der ihm gegenüber steht: Gott. Das ist unser letzter Gesprächspartner und in meinem Buch gibt es ja auch diese Gespräche des Sterbenden mit Gott. Und zwar unabhängig davon, ob wir in unserem Leben an Gott geglaubt haben, ob wir gläubige Christen waren – das ist die letzte Instanz! Oder das Nichts.
    "Die Unabänderlichkeit bleibt bestehen, egal ob man ein gläubiger Mensch ist"
    Dittrich: Das wird ja auch in Ihrem Buch sehr klar. Und Sie sind auch Theologin und der Protagonist Ihres Buches ist ein Pfarrer, der auf dem Sterbebett ein Gespräch mit Gott führt. Hilft der Glaube, hilft die Religion und hilft der Glaube an das ewige Leben beim Sterben?
    Knauss: Ich glaube nicht, dass es wirklich hilft. Denn die Unabänderlichkeit, die bleibt bestehen – egal, ob man ein gläubiger Mensch ist oder nicht. Ich glaube, es verändert sich damit, ob man in ein totales, gespenstisches Nichts hinübergeht; oder die, den Gedanken hat, die Vorstellung hat, dass man in Gottes Hand landet. Das ist ein Bild, ganz klar. Aber zwischen dem totalen Nichts und dieser Gottesvorstellung, die im Tod wirklich aktuell wird, dazwischen passt nur ein Wimpernschlag, ein Gedanke: Und das ist der Gedanke, den man im christlichen Kontext Glauben nennt.
    Dittrich: Sie beschreiben das Sterben als etwas Lebendiges: Das letzte Abenteuer, das uns bevorsteht. Das klingt so, als sollte man das akzeptieren, vielleicht sogar auskosten – etwas spitz formuliert – und nicht unbedingt beschleunigen, oder?
    Knauss: Auskosten ist sicher der falsche Ausdruck da. Man sollte es akzeptieren. Wahrscheinlich ist unser ganzes Leben eine Art Einübung in das Akzeptieren-Können am Ende. Man sollte es nicht beschleunigen, darum ging es ja auch in dem Gespräch vorher. Dass … Also, ich habe versucht, das Persönliche, Intime, Innere beim Sterben darzustellen. Diese juristischen Regelungen, die werden in einer ganz anderen Welt vorgenommen: Da sitzen Bundestagsabgeordnete, die ihren Parteien verantwortlich sind, die natürlich auch ihrem Gewissen verantwortlich sind, aber die so weit, wie es nur geht, von einem Sterbebett entfernt sind. Und wenn es ans faktische Sterben geht, dann ist jeder Fall ein Einzelfall. Und ich denke, es gibt je nach Einzelfall, Situationen, wo man es auf keinen Fall verlängern sollte. Es geht ja nicht darum … Die meisten, oder sagen wir mal, die größte Wahrscheinlichkeit für uns, besteht ja darin, dass wir in einem Krankenhaus sterben werden. Möglicherweise auf einer Intensivstation. Und da ist ja nicht die Frage der aktiven Sterbehilfe – da tritt ja die Frage der passiven Sterbehilfe auf. Da tritt ja die Frage auf: Ist das jetzt noch Lebensverlängerung, was hier medizinischerseits betrieben wird oder ist das Sterbeverlängerung? Und es kann nicht allgemeingültig entschieden werden. Natürlich haben wir ein gutes Gefühl – jeder von uns und jeder, der an der Gesetzfindung beteiligt ist – wenn wir sagen: Auf gar keinen Fall! Wir wollen das Leben schützen! Aber es gibt diesen Idealfall nicht. Es gibt nur je Einzelfälle. Und ich bin davon überzeugt, wir sollten den Ärzten nicht mit dem Gesetz drohen. Es kommt immer darauf an, bei der Pflege Sterbender, wie auch bei der medizinischen Behandlung, in welchem Geiste das geschieht. Und wenn das im Geiste des Mitleids und der Barmherzigkeit geschieht, dann können Mitleid und Barmherzigkeit auch einmal ein Grund dafür sein, eine Maschine nicht länger laufen zu lassen, ein Medikament so hoch zu dosieren, dass man den Tod in Kauf nimmt. Mit dem Gesetz zu drohen und mit einer Strafandrohung für Ärzte, das halte ich nicht für den richtigen Weg. Und ich verweise auch mal darauf, wie wir am Anfang des menschlichen Lebens verfahren sind, gesetzlich. Es gab einmal ein Abtreibungsverbot und strenge Regelungen im Strafgesetz für Abtreibungen. Und wir haben diese Gesetze liberalisiert. Und ich glaube, dass man das übertragen kann. Auch auf die Gesetzeslage am Ende des menschlichen Lebens. Es war gut, es zu liberalisieren.
    "Der Tod ist ein Gestaltungselement von Fernsehunterhaltung geworden"
    Dittrich: Haben wir es verlernt, mit dem Sterben und dem Tod zu leben?
    Knauss: Das ist eine Frage, die ja nicht nur die Situation in den Krankenhäusern betrifft. Unsere Lebensweise, unser Lebensstil, begünstigt das Verdrängen des Todes. Das ist ganz eindeutig so. Wir verreisen, wir setzen auf Entertainment, auf Eventkultur. Also das alles ist weit, weit entfernt von der Einsicht, dass unser Leben ein Ende haben muss.
    Dittrich: Andererseits: In Filmen und im Fernsehen wird ständig gestorben, es gibt unzählige Bücher – auch Ratgeber – über tödliche Krankheiten, über den Tod, das Ende des Lebens. Kann das trotzdem sein, dass der Tod ein Tabu ist, bei gleichzeitiger Dauerbeschäftigung mit dem Thema?
    Knauss: Genau so ist es. Da kann ich Ihnen voll zustimmen. Die vielen Tode, die in der Fernsehunterhaltung gestorben werden, die fordern ja nicht mehr unsere Empathie heraus. Das ist einfach ein Gestaltungselement von Fernsehunterhaltung geworden. Also das ist weit entfernt davon, dass wir uns mit dem Sterben wirklich auseinandersetzen. Und die kulturellen Impulse, denen wir nachgehen, gehen in der Regel in die andere Richtung: Genieße Dein Leben! Sieh zu, dass Du was davon abringst! Sieh nach Deinen materiellen Vorteilen … Die ja im Augenblick des Todes und im Angesicht des Todes, völlig irrelevant sind. Ich denke schon, dass es da Tabus gibt, dass der Tod früher oder möglicherweise auch in anderen Gesellschaften, noch sehr viel mehr zum Leben dazugehört, als das heute der Fall ist.
    Dittrich: Vielen Dank, Sibylle Knauss, für Ihre Zeit heute morgen. Wir sprachen über Sterben, Tod und Sterbehilfe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Sibylle Knauss: "Der Gott der letzten Tage". Klöpfer&Meier. 184 Seiten, 20 Euro.