Bevor sich der Vorhang zu dieser äußerst schrillen und düsteren Oper hebt, geht es erstmal in den Wald. In den deutschen, wo - laut Schild - Juden keinen Zutritt haben. Zwei urwüchsige Bajuwaren reißen dort Witze. Etwa über eine alte Jüdin, die ihr Mineralwasser nur ohne Kohlensäure - ohne Gas - bestellt, da ihre Familie ... Naja, man weiß, was kommt. Dieses zynische Vorspiel vor dem Musiktheater wirkt als bitter-scharfes Amuse-Bouche, das nachfolgende Spektakel erregt die Sinne dann auf ungemein komplexere Weise.
Detlev Glanert hat für seine Oper in 13 Szenen einen wild gewordenen Tonsatz entwickelt, der diverse Stile imitiert und nicht nur in der Kombination unterschiedlichster Texturen doch eigenständig bleibt. Ungewöhnlich ist die 'durchlöcherte' Orchesterbesetzung, gegenüber dem klassischen Apparat und der Anordnung von Instrumentalgruppen. Glanert spart einzelne Instrumente aus und begründet das mit der Leidensgeschichte des jüdischen Volkes. Porös ist seine Musik allerdings überhaupt nicht, vielmehr gibt es jede Menge schnaufendes und wütend orgelndes Klangmaterial. Aber auch filigrane Klagechoräle, barockes Cembaloknistern und Lamento-Ariosi, irgendwo zwischen Gesang und Geräusch. Manchmal wird üppig elektronisch verstärkt, den Kontrast bilden radikal vereinsamte Kantilenen. Glanerts Mischkalkulation geht auf, wäre aber ohne das geniale Libretto von Werner Fritsch und Uta Ackermann zu postmodern, zu austauschbar. Erst durch die sich passgenau einfügende, dunkel glühende Sprache, durch die herbe, derbe Poetik sowie Sinn- und Reimverbindungen wie "bekehrt - begehrt" wirkt alles wie aus einem Guss.
Die Figur des Hofjuden Oppenheimer, genannt Jud Süß, erscheint übrigens keineswegs als rein positiver Gegenentwurf zu Veit Harlans antisemitischem Propagandafilm. Oppenheimer nutzt kühl alle Vorteile, stellt seine finanziellen Geschäfte übers Private und hat mit Religion nur wenig am Hut. Ihm gegenüber steht eine in größten Materialismus und höchste Dekadenz abgedriftete Gesellschaft ohne jeglichen Sinn für wahre Werte. Oppenheimers Arbeitgeber, Herzog Karl Alexander von Württemberg, wird in der Münchner Inszenierung Guy Montavons noch irrsinniger gezeichnet als in der Vorlage. Ein verfressener Hurenbock, zeitweise im Rollstuhl, dessen Tod wie eine Erlösung für alle wirkt. Oppenheimer wird angeklagt, für das Ableben des Herrschers verantwortlich zu sein, doch alles ist nur eine Intrige machtgeiler Hofschranzen.
Peter Sykora steckt die ganze Bagage in historistische, wunderbar überzeichnete Kleider. Oppenheimer trägt einen eleganten roten Zwirn. Allerdings nur, wenn er sich gerade im Rückblick auf sein Leben befindet, dies ist nämlich die dramaturgische Volte des Ganzen. Den Ausgangs-, Kern- und Endpunkt bildet ein Kerker. Hier sitzt und sinnt Süß in Lumpen, sein Henker schaut schon zum Fenster herein. Immer wieder verschwindet die Zelle für mehr oder minder kurze Zeit, die Drehbühne kommt zum Einsatz und zeigt des Herzogs Wunderkammer mit Schmuck und Trophäen hinter Glas, ein Schlafzimmer oder enge Gänge. Dunkle Spiegel sorgen für bedrückende Atmosphäre. Die ununterbrochen wechselnde Temperatur von Musik, Text und Szene hält einen mächtig auf Trab. Wenn nach 90 Minuten der Vorhang fällt, hat man einen Trip durch verbürgte, erfundene und mögliche Vergangenheiten erlebt. Religionsdiskurse wurden geführt, Sinn- und Seinsfragen gestellt, gestritten und intrigiert. Es bleibt die Erkenntnis, dass die vorgeführten Lebenskonzepte zu nichts führen. Es heißt: weitermachen, weitersuchen.
Dass das Gärtnerplatztheater mit "Joseph Süß" einen Triumph im Köcher hat, der die Bayerische Staatsoper blass aussehen lässt, ist natürlich auch Dirigent Roger Epple und Chordirektor Jörn Hinnerk Andresen zu danken. Und dem exzellenten Ensemble: Gary Martin gibt die Titelpartie mit sehr präsentem Bariton, Stefan Sevenich brilliert als Herzog, Carolin Neukamm singt Oppenheimers Tochter Naemi mit feinen, zarten Linien, Karolina Andersson (als italienische Operndiva Graziella) bewältigt mühelos die einzige echte Arie, die Glanert in diesem Werk geschrieben hat. Auch die kleineren Partien sind allesamt Rollen füllend besetzt.
Detlev Glanert hat für seine Oper in 13 Szenen einen wild gewordenen Tonsatz entwickelt, der diverse Stile imitiert und nicht nur in der Kombination unterschiedlichster Texturen doch eigenständig bleibt. Ungewöhnlich ist die 'durchlöcherte' Orchesterbesetzung, gegenüber dem klassischen Apparat und der Anordnung von Instrumentalgruppen. Glanert spart einzelne Instrumente aus und begründet das mit der Leidensgeschichte des jüdischen Volkes. Porös ist seine Musik allerdings überhaupt nicht, vielmehr gibt es jede Menge schnaufendes und wütend orgelndes Klangmaterial. Aber auch filigrane Klagechoräle, barockes Cembaloknistern und Lamento-Ariosi, irgendwo zwischen Gesang und Geräusch. Manchmal wird üppig elektronisch verstärkt, den Kontrast bilden radikal vereinsamte Kantilenen. Glanerts Mischkalkulation geht auf, wäre aber ohne das geniale Libretto von Werner Fritsch und Uta Ackermann zu postmodern, zu austauschbar. Erst durch die sich passgenau einfügende, dunkel glühende Sprache, durch die herbe, derbe Poetik sowie Sinn- und Reimverbindungen wie "bekehrt - begehrt" wirkt alles wie aus einem Guss.
Die Figur des Hofjuden Oppenheimer, genannt Jud Süß, erscheint übrigens keineswegs als rein positiver Gegenentwurf zu Veit Harlans antisemitischem Propagandafilm. Oppenheimer nutzt kühl alle Vorteile, stellt seine finanziellen Geschäfte übers Private und hat mit Religion nur wenig am Hut. Ihm gegenüber steht eine in größten Materialismus und höchste Dekadenz abgedriftete Gesellschaft ohne jeglichen Sinn für wahre Werte. Oppenheimers Arbeitgeber, Herzog Karl Alexander von Württemberg, wird in der Münchner Inszenierung Guy Montavons noch irrsinniger gezeichnet als in der Vorlage. Ein verfressener Hurenbock, zeitweise im Rollstuhl, dessen Tod wie eine Erlösung für alle wirkt. Oppenheimer wird angeklagt, für das Ableben des Herrschers verantwortlich zu sein, doch alles ist nur eine Intrige machtgeiler Hofschranzen.
Peter Sykora steckt die ganze Bagage in historistische, wunderbar überzeichnete Kleider. Oppenheimer trägt einen eleganten roten Zwirn. Allerdings nur, wenn er sich gerade im Rückblick auf sein Leben befindet, dies ist nämlich die dramaturgische Volte des Ganzen. Den Ausgangs-, Kern- und Endpunkt bildet ein Kerker. Hier sitzt und sinnt Süß in Lumpen, sein Henker schaut schon zum Fenster herein. Immer wieder verschwindet die Zelle für mehr oder minder kurze Zeit, die Drehbühne kommt zum Einsatz und zeigt des Herzogs Wunderkammer mit Schmuck und Trophäen hinter Glas, ein Schlafzimmer oder enge Gänge. Dunkle Spiegel sorgen für bedrückende Atmosphäre. Die ununterbrochen wechselnde Temperatur von Musik, Text und Szene hält einen mächtig auf Trab. Wenn nach 90 Minuten der Vorhang fällt, hat man einen Trip durch verbürgte, erfundene und mögliche Vergangenheiten erlebt. Religionsdiskurse wurden geführt, Sinn- und Seinsfragen gestellt, gestritten und intrigiert. Es bleibt die Erkenntnis, dass die vorgeführten Lebenskonzepte zu nichts führen. Es heißt: weitermachen, weitersuchen.
Dass das Gärtnerplatztheater mit "Joseph Süß" einen Triumph im Köcher hat, der die Bayerische Staatsoper blass aussehen lässt, ist natürlich auch Dirigent Roger Epple und Chordirektor Jörn Hinnerk Andresen zu danken. Und dem exzellenten Ensemble: Gary Martin gibt die Titelpartie mit sehr präsentem Bariton, Stefan Sevenich brilliert als Herzog, Carolin Neukamm singt Oppenheimers Tochter Naemi mit feinen, zarten Linien, Karolina Andersson (als italienische Operndiva Graziella) bewältigt mühelos die einzige echte Arie, die Glanert in diesem Werk geschrieben hat. Auch die kleineren Partien sind allesamt Rollen füllend besetzt.