Das Jahr der Atomkatastrophe von Fukushima ist das Jahr, in dem sich der Reaktorunfall von Tschernobyl zum 25. Mal jährt. Es ist das Jahr, in dem Karl Theodor zu Guttenberg stürzt, genauso wie der libysche Herrscher Muhammar al-Gaddafi. Im europäischen Forschungszentrum CERN werden kleinste Teilchen extrem beschleunigt, um auf die größten Fragen letztgültige Antworten zu geben. Philosophen und Dichter widmen sich geläufig bekannten Sinnkonstrukten, Kunstausstellungen wollen Erwartungshaltungen sprengen und enttäuschen das Publikum. Alles wie immer, könnte man sagen - oder in den Worten von Patricia Görg:
"Die Erde rotiert weiter, (sie) scheuert durchs All."
Patricia Görg hat das Jahr 2011 protokolliert wie in einem Laborversuch und nutzt als Ordnungsprinzip für ihren Abriss jenes simple Verfahren, mit dem üblicherweise auch im ganz normalen Arbeitsleben Ordnung gehalten wird, das Prinzip der Kalenderwoche. Das ist auf den ersten Blick ernüchternd, auf den zweiten aber auch sehr einleuchtend, denn so rückt sie die Perspektiven zurecht, relativiert vieles von dem, was im erlebten Moment noch für Aufregung gesorgt hat. 52 Wochen weist der Kalender auf, jede Einheit umfasst sieben Tage im Überblick, vom Werktag bis zum Wochenende - handlicher geht's nicht. Doch was bleibt vom Weltgeschehen, im Großen und im Kleinen, wenn dieses Prinzip darüber gestülpt wird, wenn Ereignisse zu hierarchiefrei geordneten Informationen zusammen schnurren?
Patricia Görgs "Handbuch der Erfolglosen" wäre ein wenig bemerkenswertes Journal, wenn es sich alleine auf diesen einen Effekt verlassen würde. Dass Information etwas anderes ist als Wissen oder Erkenntnis, ist schließlich ein Gemeinplatz, mit dem man sich nicht aufhalten muss. Die Kunst der Autorin liegt nicht in der bloßen Reihung, sondern in der Montage der Einzelheiten im Detail, in der Art, wie sie sich kommentieren - und wie sie auch von Patricia Görg kommentiert werden.
Schon in ihren früheren Büchern hat die Berliner Schriftstellerin gerne Konkretes und Fantastisches aufeinanderprallen lassen und diesen Kontrasten ironische Effekte und überraschende Pointen abgewonnen. Im "Handbuch der Erfolglosen" spielt sie das einmal mehr aus und stellt den Notizen zu globalen Katastrophen, historischen Ereignissen oder persönlichen Erlebnissen kurze geschliffene Geschichten gegenüber, die sich beispielsweise um Exoplaneten oder um aktuelle Weltraumforschung drehen und dem irdischen Jammertal einen unendlichen und kalten Weltraum entgegensetzen.
"Erfolglosigkeit", schreibt Patricia Görg in einem kurzen Geleitwort, sei "jene sanfte lebensimmanente Form des Scheiterns, die jedem widerfährt, und sei er noch so weit gekommen. Sie ist das das eigentliche Wissensgebiet, das wir durchqueren." Es geht ihr also nicht um Häme, wenn große Männer fallen oder übersteigerte Ambitionen in Kunst oder Kulturbetrieb sich in peinlichen Bagatellen auflösen. Hinter ihrer Vorstellung von Erfolglosigkeit wirkt vielmehr ein Bild vom Menschen, der von einer verborgenen Angst vor dem Nichts getrieben ist - und man sollte als Leser dabei an jenen Herrn "Meier mit y" denken, den Patricia Görg in ihrem 2008 erschienenen Roman beschrieben hat. An einen aschgrauen, geizigen, irgendwie leblosen ältlichen Herrn, dem sie ebenfalls über ein Jahr hin im Alltag gefolgt ist: im Supermarkt und in der Wohnung und fast immer nur in Situationen ohne Glanz, ohne Großzügigkeit, ohne Kraft und ohne Vision von sich selbst.
So wie "Meier-mit-y" durch sein Leben schleicht, so rinnt auch das Jahr 2011 in ihrem "Handbuch" dahin, bringt Schlagzeilen hervor, manchmal auch atemlose Stille oder blankes Entsetzen - aber letztlich keine Bewegung, keine Anteilnahme, keine Emphase und schon gar nichts, was bleibt. Diesen Zusammenprall ihrer Bausteinchen inszeniert Patricia Görg aber natürlich auch mit einer gewissen Wehmut, denn wenn alles entgleitet -- was sollen dann diese Anstrengungen überhaupt noch, von denen das Buch berichtet?
Ist dann nicht alles gleich - die Islamisten, die indonesische Schattentheater überfallen, und die frühen Bilder von Gerhard Richter in einer Ausstellung? Die Ausführungen von Wolf Singer über die Zufälligkeit des Subjekts genauso wie die Guy-Fawkes-Masken der Occupy-Bewegung?
Fatalismus wäre ein zu pauschaler Begriff für die Haltung, die Patricia Görg in diesem Buch vorführt, denn auch wenn vieles sich als nichtig entpuppt, oder als bizarr, bleiben ihr dennoch einige Helden, deren Arbeiten diesem ständigen Verfließen entgegenwirken. Einer von ihnen ist Peter Kurzeck, dem sie 2011 bei einer Lesung zuhört, und dessen raunende Beschwörungen der erlebten Geschichte sich der Vergänglichkeit genauso widersetzen wie die Arbeiten des Filmemachers Thomas Imbach, dessen Film "Day Is Done" nichts bietet außer einer Collage von Eindrücken, die über Jahre hin in Zürich aus einem Atelierfenster heraus aufgenommen worden sind, eine oszillierende Melange aus allem, was den Alltag ausmacht, eine flirrende, unscharfe Kompilation des ganzen Lebens. Ihre eigenen erzählerischen Mittel in diesem Buch sind ganz andere als die des Wortakrobaten Kurzeck oder als die des Dokumentarfilmers Imbach - aber in ihrer künstlerischen Haltung entpuppt Patricia Görg sich als seelenverwandt.
Den Theaterintendanten Ulrich Kuon hat sie an einem Tag früh im Jahr 2011 sagen hören: "Jeden Tag gehe ich ins Theater und arbeite weiter. Schritt für Schritt. Und eines Tages bin ich wieder weg." Das Zitat gibt den Ton vor, auf den dieses Buch gestimmt ist. Patricia Görgs "Handbuch der Erfolglosen" ist ein Buch über das ernüchterte Weitermachen, nicht über das Pathos eines Sisyphus, der seinen Stein immer wieder einen Hang hinauf zu rollen versucht. Kalenderwochen vertragen sich nicht mit dem Gestus der Mythen. Und Mythen vertragen sich auch nur selten mit den unscheinbaren Dingen, die uns im Alltag die Energie aussaugen.
Patricia Görg: "Handbuch der Erfolglosen". Berlin Verlag, Berlin 2012
"Die Erde rotiert weiter, (sie) scheuert durchs All."
Patricia Görg hat das Jahr 2011 protokolliert wie in einem Laborversuch und nutzt als Ordnungsprinzip für ihren Abriss jenes simple Verfahren, mit dem üblicherweise auch im ganz normalen Arbeitsleben Ordnung gehalten wird, das Prinzip der Kalenderwoche. Das ist auf den ersten Blick ernüchternd, auf den zweiten aber auch sehr einleuchtend, denn so rückt sie die Perspektiven zurecht, relativiert vieles von dem, was im erlebten Moment noch für Aufregung gesorgt hat. 52 Wochen weist der Kalender auf, jede Einheit umfasst sieben Tage im Überblick, vom Werktag bis zum Wochenende - handlicher geht's nicht. Doch was bleibt vom Weltgeschehen, im Großen und im Kleinen, wenn dieses Prinzip darüber gestülpt wird, wenn Ereignisse zu hierarchiefrei geordneten Informationen zusammen schnurren?
Patricia Görgs "Handbuch der Erfolglosen" wäre ein wenig bemerkenswertes Journal, wenn es sich alleine auf diesen einen Effekt verlassen würde. Dass Information etwas anderes ist als Wissen oder Erkenntnis, ist schließlich ein Gemeinplatz, mit dem man sich nicht aufhalten muss. Die Kunst der Autorin liegt nicht in der bloßen Reihung, sondern in der Montage der Einzelheiten im Detail, in der Art, wie sie sich kommentieren - und wie sie auch von Patricia Görg kommentiert werden.
Schon in ihren früheren Büchern hat die Berliner Schriftstellerin gerne Konkretes und Fantastisches aufeinanderprallen lassen und diesen Kontrasten ironische Effekte und überraschende Pointen abgewonnen. Im "Handbuch der Erfolglosen" spielt sie das einmal mehr aus und stellt den Notizen zu globalen Katastrophen, historischen Ereignissen oder persönlichen Erlebnissen kurze geschliffene Geschichten gegenüber, die sich beispielsweise um Exoplaneten oder um aktuelle Weltraumforschung drehen und dem irdischen Jammertal einen unendlichen und kalten Weltraum entgegensetzen.
"Erfolglosigkeit", schreibt Patricia Görg in einem kurzen Geleitwort, sei "jene sanfte lebensimmanente Form des Scheiterns, die jedem widerfährt, und sei er noch so weit gekommen. Sie ist das das eigentliche Wissensgebiet, das wir durchqueren." Es geht ihr also nicht um Häme, wenn große Männer fallen oder übersteigerte Ambitionen in Kunst oder Kulturbetrieb sich in peinlichen Bagatellen auflösen. Hinter ihrer Vorstellung von Erfolglosigkeit wirkt vielmehr ein Bild vom Menschen, der von einer verborgenen Angst vor dem Nichts getrieben ist - und man sollte als Leser dabei an jenen Herrn "Meier mit y" denken, den Patricia Görg in ihrem 2008 erschienenen Roman beschrieben hat. An einen aschgrauen, geizigen, irgendwie leblosen ältlichen Herrn, dem sie ebenfalls über ein Jahr hin im Alltag gefolgt ist: im Supermarkt und in der Wohnung und fast immer nur in Situationen ohne Glanz, ohne Großzügigkeit, ohne Kraft und ohne Vision von sich selbst.
So wie "Meier-mit-y" durch sein Leben schleicht, so rinnt auch das Jahr 2011 in ihrem "Handbuch" dahin, bringt Schlagzeilen hervor, manchmal auch atemlose Stille oder blankes Entsetzen - aber letztlich keine Bewegung, keine Anteilnahme, keine Emphase und schon gar nichts, was bleibt. Diesen Zusammenprall ihrer Bausteinchen inszeniert Patricia Görg aber natürlich auch mit einer gewissen Wehmut, denn wenn alles entgleitet -- was sollen dann diese Anstrengungen überhaupt noch, von denen das Buch berichtet?
Ist dann nicht alles gleich - die Islamisten, die indonesische Schattentheater überfallen, und die frühen Bilder von Gerhard Richter in einer Ausstellung? Die Ausführungen von Wolf Singer über die Zufälligkeit des Subjekts genauso wie die Guy-Fawkes-Masken der Occupy-Bewegung?
Fatalismus wäre ein zu pauschaler Begriff für die Haltung, die Patricia Görg in diesem Buch vorführt, denn auch wenn vieles sich als nichtig entpuppt, oder als bizarr, bleiben ihr dennoch einige Helden, deren Arbeiten diesem ständigen Verfließen entgegenwirken. Einer von ihnen ist Peter Kurzeck, dem sie 2011 bei einer Lesung zuhört, und dessen raunende Beschwörungen der erlebten Geschichte sich der Vergänglichkeit genauso widersetzen wie die Arbeiten des Filmemachers Thomas Imbach, dessen Film "Day Is Done" nichts bietet außer einer Collage von Eindrücken, die über Jahre hin in Zürich aus einem Atelierfenster heraus aufgenommen worden sind, eine oszillierende Melange aus allem, was den Alltag ausmacht, eine flirrende, unscharfe Kompilation des ganzen Lebens. Ihre eigenen erzählerischen Mittel in diesem Buch sind ganz andere als die des Wortakrobaten Kurzeck oder als die des Dokumentarfilmers Imbach - aber in ihrer künstlerischen Haltung entpuppt Patricia Görg sich als seelenverwandt.
Den Theaterintendanten Ulrich Kuon hat sie an einem Tag früh im Jahr 2011 sagen hören: "Jeden Tag gehe ich ins Theater und arbeite weiter. Schritt für Schritt. Und eines Tages bin ich wieder weg." Das Zitat gibt den Ton vor, auf den dieses Buch gestimmt ist. Patricia Görgs "Handbuch der Erfolglosen" ist ein Buch über das ernüchterte Weitermachen, nicht über das Pathos eines Sisyphus, der seinen Stein immer wieder einen Hang hinauf zu rollen versucht. Kalenderwochen vertragen sich nicht mit dem Gestus der Mythen. Und Mythen vertragen sich auch nur selten mit den unscheinbaren Dingen, die uns im Alltag die Energie aussaugen.
Patricia Görg: "Handbuch der Erfolglosen". Berlin Verlag, Berlin 2012