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Schritt für Schritt zurück ins Leben

Die Sportmoderatorin Monika Lierhaus hatte ein lebensgefährliches Aneurysma erlitten - und kämpft sich seitdem mühevoll zurück ins Leben. Rund 800.000 schädelhirnverletzten Menschen in Deutschland haben ein Leben lang mit Behinderungen zu kämpfen.

Von Marieke Degen |
    Monika Lierhaus bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Hirnhauterkrankung.
    Monika Lierhaus bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Hirnhauterkrankung. (picture alliance / dpa)
    Stefan Lenger ist gerade einmal 18 Jahre alt, als er mit dem Auto in die Leitplanke rast.

    "Danach kam ein LKW vorbei, der ist noch einmal draufgefahren und dann vier Wochen später bin ich aus dem künstlichen Koma wieder erwacht."

    Stefan Lenger erleidet ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Zwei Jahre bleibt er im Krankenhaus, nach und nach lernt er wieder laufen und sprechen. Der junge Mann erholt sich körperlich erstaunlich gut. Was bleibt, sind heftige Kopfschmerzattacken, und noch schlimmer: Gedächtnisprobleme. Stefan Lenger kann sich nur schwer etwas merken.


    "Ich war jetzt gerade auf der Pressekonferenz - ich weiß, dass ich auf der Pressekonferenz war - die Namen kann ich definitiv nicht wiedergeben. Dann zu den Inhalten - es ging um Schädelhirnverletzungen, aber was jeder einzelne Referent wiedergegeben hat, in welchen Bereichen er sich mit Schädelhirnverletzungen befasst, das kann ich nicht wiedergeben. Da macht man sich dann einfach so seine Notizen."

    Stefan Lenger beißt sich durch. Er schafft sogar eine ganz reguläre Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. Trotzdem: Einen Job hat er heute nicht, er lebt von Hartz IV. Die Mitarbeiter auf den Ämtern haben nur wenig Verständnis: Körperlich ist er fit, man kann ihm seine Gedächtnisprobleme nicht ansehen. Kleine Alltagshilfen - zum Beispiel ein Diktiergerät als Gedächtnisstütze - werden abgelehnt. Stefan Lenger ist kein Einzelfall. Menschen, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, werden mit ihren Problemen oft alleine gelassen, sagt der Neuropsychologe Hartwig Kulke.

    "Im Prinzip ist es so, dass unmittelbar nach der Verletzung die Versorgung in Deutschland eigentlich gut ist. Nur das Ganze findet in der Regel fernab von Wohnort und Arbeitsplatz statt und hat in der Regel auch nur eine sehr limitierte Zeit."

    Nach ein paar Wochen oder Monaten werden die Patienten aus der Reha entlassen, damit ist die Förderung erstmal zu Ende. Doch die Behinderungen bleiben, ein Leben lang.


    "Der wesentlichste Punkt ist Konzentration und Aufmerksamkeit, das ist bei fast jedem Schädelhirntraumatiker betroffen. Das kann sich so auswirken, dass jemand nur sehr kurz durchhält, sehr häufig Pausen braucht, auch nach wenigen Stunden so erschöpft ist, dass er gar nichts mehr machen kann, das kann sich aber auch so auswirken, dass jemand sehr ablenkbar ist, zum Beispiel in belebten Umgebungen sich nicht um einen Sachverhalt kümmern kann, sich nicht auf einen Sachverhalt konzentrieren kann."

    Eine Reha weit weg in einer Klinik würden die Patienten problemlos immer wieder bekommen. Aber was sie viel dringender bräuchten, wäre Hilfe zu Hause, in ihrer gewohnten Umgebung. Die Patienten bräuchten Neuropsychologen, die ihre kognitiven Fähigkeiten ganz individuell fördern und ihnen helfen, den Alltag zu bewältigen. Aber:

    "Ambulante Strukturen wie man sie etwa aus der Krankengymnastik oder aus der Sprachtherapie kennt, existieren in Deutschland nicht, weil die gesetzliche Krankenversicherung die ambulante Neuropsychologie nicht bezahlt."

    Eine der größten Herausforderungen ist es, die Patienten wieder ins Arbeitsleben zu integrieren. Auch dabei könnten die ambulanten Neuropsychologen helfen.

    "Da muss man eigentlich mit jedem Einzelfall, mit jedem einzelnen Patienten, jedem einzelnen Arbeitgeber zusammenarbeiten, generell ist die Bereitschaft, auf betroffene zuzugehen, nach meiner persönlichen Erfahrung recht hoch, umso höher je kleiner der Betrieb, was die Betriebe ganz dringend brauchen, ist eine konkrete Beratung, wie ein Arbeitsplatz aussehen muss, damit der betroffene wieder zurechtkommt."

    Stefan Lenger zum Beispiel ist hochintelligent und voll ausgebildet, er kann problemlos auch sehr anspruchsvolle Tätigkeiten verrichten - trotz seiner Gedächtnisprobleme. Er müsste dabei nur etwas mehr begleitet werden, vielleicht könnte er in einem Team eingesetzt werden. Arbeit zu haben und finanziell unabhängig zu sein, das ist sein größter Wunsch.

    "Durch eine Festanstellung hat man erstmal einen geregelten Tagesablauf, man hat soziale Kontakte, man tauscht sich mit seinen Leuten aus, man ist unter Menschen und wenn das nette Menschen sind, dann geht man ja auch gerne hin, und dann macht das auch einfach Freude. Jeder, der einmal arbeitslos gewesen ist, wird das verstehen."

    Der Neuropsychologe Hartwig Kulke hofft, dass die Krankenkassen irgendwann bereit sind, ambulante Neuropsychologen zu bezahlen. Die Verhandlungen mit den Kassen laufen seit Jahren.