Wir erinnern uns: 27. Oktober 2023, SPD-Zentrale Hannover. Gerhard Schröder ist gerade für 60 Jahre Parteimitgliedschaft geehrt worden. Otto Schily, sein ehemaliger Innenminister, ist gekommen, Saskia Esken und Lars Klingbeil hingegen, die beiden Vorsitzenden, fehlen. Dennoch: Gut gelaunt und voller Stolz hält Schröder seine Urkunde in die Kameras.
Sehr berührend, sei das gewesen, sagte Schröder damals, das müsse er sagen. Und: „Die haben die Urkunde übrigens unterschrieben!“ Auf die Frage, ob er Lars Klingbeil meine, sagte er: „Ja, natürlich!“
Wenige Monate zuvor ist der Versuch misslungen, ihn wegen seiner Putin-Treue aus der Partei zu werfen. Sein Berliner Altkanzler-Büro musste er aufgeben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, langjähriger Weggefährte will ihm zum 80. nicht gratulieren, auch Olaf Scholz hat mit ihm gebrochen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach schämt sich für ihn. Längst ist es einsam geworden um den von seinen Genossen nie wirklich geliebten „Basta-Kanzler“.
Putin bleibt er treu
„Der Mainstream war nie das von mir bevorzugte Gewässer!“, so hat er es oft formuliert. Er schwimmt gegen den Strom, er polarisiert, Putin bleibt er treu, trotz aller Kriegsverbrechen, die ihm zur Last gelegt werden. Gernot Erler, 2009 bis 2013 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und langjähriger Außenpolitiker der Partei, hat das schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine vorhergesagt, 2020 war das: „Wir werden nicht erleben, dass irgendwann einmal Gerhard Schröder einer Beschuldigung gegen Putin zustimmt, weil er großen Wert auf diese Männerfreundschaft legt!“
Nicht einmal im Vieraugengespräch hält Schröder dem Diktator im Kreml irgendetwas vor, so hat er es gerade in einer ARD-Doku betont, als er von seiner gescheiterten Vermittlungsmission in Moskau berichtet. Man mache ja kein Märchen, meint er da. „So führt man doch keine Verhandlungen. Es geht doch nicht um eine moralische Frage. Es geht darum, einen Konflikt zu beenden!“
Nie ist ein deutscher Kanzler so tief gefallen wie Gerhard Schröder. Dabei hat er eine steile Karriere hingelegt. Er wächst als Halbwaise in ärmlichen Verhältnissen im Lipperland auf, boxt sich durch, studiert später Jura. Später sagte er, er habe da rausgewollt, wo er hergekommen sei.
Mit 19 tritt er in die SPD ein, nach einer Zechtour rüttelt er am Zaun des Bonner Kanzleramtes und brüllt: „Ich will hier rein!“
Schröders Nein zu deutscher Beteiligung am Irak-Krieg
1998 wird der Traum wahr. Schröder löst Helmut Kohl ab. Seine erste Amtszeit verläuft holprig. Doch 2002 gelingt ihm die Wiederwahl, auch wegen seines kategorischen Neins zu einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg. „Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt!“, formulierte er damals.
Heute erinnern sich die Sozialdemokraten gern an diesen Schröder. Der Ruf nach Verhandlungen mit Putin kommt gerade im Osten gut an. Auch Olaf Scholz möchte als besonnen handelnder Friedenskanzler wieder punkten, so wie Schröder damals. Der hat Scholz für sein Nein zur Taurus-Lieferung gelobt, ebenso Fraktionschef Mützenich für seinen Vorschlag, den Krieg erst einmal einzufrieren.
SPD-Chef Lars Klingbeil will vom Lob Schröders nichts wissen, auch nichts von seinen Andeutungen, den Draht zu Putin noch einmal nutzen zu können. Was Gerhard Schröder als politische Meinung vertrete, habe nichts mit der Position der SPD zu tun, sagt der Co-Parteivorsitzende.
Gas, Gazprom, Nordstream
Dass der Altkanzler lange für Russlands Öl- und Gaskonzerne gearbeitet hat, hat lange niemanden interessiert. Bis heute ist er für die Nordstream-Gesellschaft tätig. Als hätte es die Unterdrückung der Opposition und den Tod Nawalnys nie gegeben, erklärt er im NDR-Film über Russland: Es gebe freie Wahlen, das könne man nicht bestreiten. „Einfach zu sagen, da ist nichts von demokratischer Willensbildung, ist genauso verkehrt.“
Auch wegen solcher Äußerungen ist die SPD mit sich im Reinen, mit ihm gebrochen zu haben. Aus manchen Annalen der Partei wurde er getilgt. Es muss wehtun – wenngleich Schröder das Gegenteil behauptet: „Wenn es einen Generalsekretär gibt – der müsste ja verantwortlich dafür sein -, der das für notwendig hält: ein armer Wicht! Mehr doch nicht. Soll ich mich darüber aufregen? Nein.“
Schröders Agenda 2010 spaltete die SPD
Die Entfremdung von seiner SPD allerdings beginnt viel früher. Gerhard Schröder steht für Sozialreformen, für Einschnitte, für Hartz IV. „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen“, sagte er 2003.
Seine „Agenda 2010“ spaltet die SPD, schon damals hadern viele mit ihm. Den Parteivorsitz legt er 2004 nieder. Als Kanzler geht er seinen Weg, mit klaren Ansagen: „Es ist notwendig und wir werden es machen, basta!“
Er ist eben immer seinen ganz eigenen Weg gegangen. Realitäten anzuerkennen, das ist ihm nie leichtgefallen. Seine Niederlage gegen Angela Merkel will er zunächst nicht eingestehen. „Glauben Sie im Ernst“, fragte er rhetorisch in der ARD-„Elefantenrunde“ am Wahlabend 2005, „dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen!“
Der Rest ist Geschichte, zum Zapfenstreich wünscht sich Schröder 2005 – ganz passend – „I did it my way“ von Frank Sinatra. Fast 20 Jahre sind seither vergangen, und er ist sich selbst zumindest treu geblieben. Heute sagt er: „Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere.“