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Schrumpfkur für das Proton

Physik. - Das Proton ist ein alter Bekannter, entdeckt vor knapp 100 Jahren. Doch nun stellt der Winzling die Fachwelt vor ein Rätsel. Denn ein internationales Forscherteam hat das Proton mithilfe eines Beschleunigers präzise vermessen – und ist dabei auf eine Überraschung gestoßen.

Von Frank Grotelüschen |
    Atomkerne, so lernt man in der Schule, bestehen aus winzigen Bausteinen. Und zwar aus zwei Sorten von Bausteinen – dem Neutron und dem Proton. Doch auch diese Teilchen sind, frei nach dem Prinzip der Matroschka-Puppe, zusammengesetzt, und zwar aus noch kleineren Bestandteilen, sagt Aldo Antognini, Physiker an der ETH Zürich.

    "Protonen bestehen aus Quarks: Immer drei Quarks kleben so stark zusammen, dass sie ein Proton bilden. Daher darf man sich das Proton nicht wie eine winzige Billardkugel vorstellen, also perfekt rund. Vielmehr entspricht es einer Anhäufung von Quarks."

    Das Proton besitzt also eine komplexe Struktur. Und deshalb ist es alles andere als einfach, seine Größe präzise zu messen. Antognini:

    "Die erste Methode, die Größe des Proton zu messen, bestand darin, Wasserstoff mit schnellen Elektronen zu beschießen. Die Elektronen wurden von den Wasserstoffkernen, also den Protonen, abgelenkt. Anhand der Ablenkwinkel konnte man dann abschätzen, wie groß das Proton ungefähr sein muss. Eine Methode, für die es 1961 sogar den Physiknobelpreis gab."

    Später entwickelten Forscher ein weiteres Verfahren: Sie beleuchten Wasserstoffatome mit hochpräzisen Laserstrahlen. Und aus der Art und Weise, wie das Elektron, das den Atomkern umschwirrt, auf die Laserblitze reagiert, können die Experten auf die Größe des Kerns schließen, also auf die Größe des Protons. Die Ergebnisse beider Methoden stimmten wie erwartet überein: Demnach misst das Proton rund 0,88 Femtometer. Ein Femtometer sind 10-15 Meter, der millionste Teil eines millionstel Millimeters. So weit, so gut – bis Antognini und seine Kollegen eine dritte Messmethode ins Spiel brachten.

    "Unser Experiment basiert auf einer exotischen Wasserstoff-Sorte, so genanntem myonischen Wasserstoff. Hier wird das Proton nicht von einem Elektron umkreist, sondern von einem Myon. Das Myon ist quasi der schwere Bruder des Elektrons. Er trägt dieselbe elektrische Ladung, ist aber 200 Mal schwerer. Wegen seiner höheren Masse umkreist es das Proton auf einer viel engeren Umlaufbahn. Und dadurch kann das Myon die Größe des Protons äußerst präzise abscannen."

    Der Aufwand allerdings war enorm: Ein Beschleuniger in der Schweiz musste die Myonen künstlich erzeugen. Diese Myonen ließ man dann auf Protonen treffen. Dann und wann schnappte sich ein Proton ein vorbeifliegendes Myon, um sich mit ihm zu einem Atom zusammenzutun. Nur: Myonen existieren kaum länger als eine Mikrosekunde, dann zerfallen sie wieder. Die Forscher hatten also nur eine Mikrosekunde Zeit, um den exotischen Wasserstoff mit Laserlicht zu beleuchten und präzise zu vermessen. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Das Experiment gelang. Jetzt präsentieren die Forscher ihr Resultat – ein bemerkenswertes Resultat.

    "Wir waren doch sehr überrascht, denn unser Wert ist um vier Prozent kleiner als der alte Wert – 0,84 statt 0,88 Femtometer. Eine deutliche Abweichung, und um sie zu erklären, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder verbergen sich in einigen der Versuche noch unentdeckte Fehler. Oder aber es steckt eine neue Physik dahinter."

    Um das zu klären, wird eine Reihe von neuen Experimenten an den Start gehen, zum Beispiel in Mainz, München und Paris. Vielleicht finden diese Versuche heraus, dass eine der Messmethoden fehlerhaft ist. Dann wäre entweder der größere Wert korrekt oder der neue, der kleinere. Es könnte aber auch sein, dass die Experimente die Diskrepanz bestätigen: In diesem Fall wäre das Proton, wenn man es mit Hilfe von Elektronen misst, ein wenig größer, als wenn man es mit Myonen unter die Lupe nimmt. Und das würde bedeuten, dass sich das Proton gegenüber Myonen anders verhält als gegenüber Elektronen – was der heute gültigen Theorie heftig widerspricht. Denn diese Theorie, die Quantenelektrodynamik, geht davon aus, dass Myonen und Elektronen in ihrem elektrischen Verhalten absolut identisch sind. Und sollte dem nicht so sein, müssten sich die Theoretiker unter den Physikern etwas Neues einfallen lassen.