Franz Schuberts Symphonien haben gerade Konjunktur. Lange Zeit begegnete man in den Konzertsälen und Plattenläden vornehmlich der rätselhaften "Unvollendeten" und der so genannten "Großen" C-Dur-Symphonie, doch gerade in letzter Zeit häufen sich die Aufnahmen seiner Jugendsymphonien, die bereits von den Zeitgenossen als problematisch oder gar als künstlerisch gescheitert angesehen wurden. Eine dieser Neueinspielungen möchte ich Ihnen nun vorstellen, nämlich die der 3. und 4. Symphonie mit dem Freiburger Barockorchester unter dem spanischen Dirigenten Pablo Heras-Casado. Am Mikrofon begrüßt Sie Uwe Friedrich.
3. Symphonie, erster Satz
Schon in der getragenen Einleitung übernehmen Klarinetten und Flöten die Führung, treten im darauf folgenden Allegro con brio mit ihren keck punktierten Melodien deutlich in den Vordergrund. Wenn der symphonische Apparat in Gang gekommen ist mit der Tempozunahme, der Differenzierung der Instrumentengruppen, wird schnell deutlich, dass der 18-jährige Schubert in seiner dritten Symphonie ganz neue Wege gehen will. Die enge motivische Verzahnung der langsamen Einleitung mit den schnellen Entwicklungen des restlichen Satzes findet man so in der Wiener Klassik von Haydn, Mozart und Beethoven noch nicht.
Auch harmonisch beschreitet Schubert Pfade, die seinen Zeitgenossen unkonventionell erschienen sein müssen. Ihm kommt es hörbar nicht auf die Einhaltung der überkommenen Formideale an, vielmehr sucht er eine neue, sehr individuelle und überzeugende Lösung. Diese Suche findet im Sommer 1815 mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit statt. Zwar unterbricht Schubert die Niederschrift des ersten Satzes für einige Zeit, aber wahrscheinlich bloß, weil er sein bevorzugtes Notenpapier nicht zur Hand hatte. Bis zum Takt 81 schreibt er auf zwölfzeiligem Papier, dann komponiert er auf 16-zeiligem weiter. Nach dieser Unterbrechung brauchte er nur noch acht Tage für den Rest des Werks. Mit ganz ähnlichem Schwung machen sich nun der Dirigent Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester ans Werk, wenn sie den zweiten Satz Allegretto tatsächlich sehr heiter und fröhlich angehen.
3. Symphonie, zweiter Satz
Ursprünglich hatte Franz Schubert als zweiten Satz seiner dritten Symphonie ein Adagio molto geplant, beschleunigte das Tempo zunächst auf Andante molto, bis er sich schließlich für ein noch flotteres Allegretto entschied. All das ist an seinem Autograf abzulesen. Auch hier können wir sehen, wie wenig festgelegt und experimentierfreudig der Komponist seine Aufgabe anging. Den tänzerisch hüpfenden Gestus dieser Musik füllt das Freiburger Barockorchester mit anmutiger Leichtigkeit aus. Ob Franz Schubert seine dritte Symphonie oder Teile daraus je selbst gehört hat, ist umstritten. Es ist durchaus möglich, dass auch dieses Werk unter Schuberts Mitwirkung bei einem der Schottenhof-Konzerte gespielt wurde, auch wenn sich im Besitz seines Bruders Ferdinand einzig fünf Bläserstimmen erhalten haben. Aber wir dürfen uns einigermaßen sicher sein, dass der Komponist und seine Zeitgenossen das abschließende Presto vivace nie so virtuos gespielt hörten wie wir jetzt mit dem Freiburger Barockorchester auf Originalinstrumenten.
3. Symphonie, vierter Satz
Als ein "Werk der Jugend und ihres vergnügt lärmenden Tatendrangs, der sich regt und bewegt, ohne sich noch um Ziel und Erfolg Großes zu kümmern" hat der Kritiker Eduard Hanslick das Finale der 3. Symphonie Franz Schuberts beschrieben. Ein Jahr vor Rossinis "Barbier von Sevilla" entwickelt Schubert eine vorwärtsdrängende Energie, die es mit jeder italienischen Opernouvertüre aufnehmen kann. Ganz anders klingt hingegen sein nächster Versuch für großes Orchester, die c-Moll-Symphonie, die er 1816, also ein knappes Jahr nach der 3. abschloss. Er hat sie selbst als "Tragische" überschrieben, was schnell zu Vergleichen mit der c-Moll-Symphonie von Ludwig van Beethoven, der 5., führte, die selten zum Vorteil Schuberts ausfielen.
4. Symphonie, erster Satz
Der Vergleich von Schuberts 4. Symphonie mit Beethovens 5. führt in die Irre. Dass Schubert von seiner "Tragischen Symphonie" sprach, liegt schlicht an der Tonart c-Moll, die nach klassisch-romantischem Verständnis für tragische Sujets geeignet war. Schubert wusste natürlich, dass Beethoven diese Tonart für seine 5. gewählt hatte, doch ist es unwahrscheinlich, dass gerade Beethoven sein großes Vorbild in Sachen Symphonien war. In einem Tagebucheintrag beklagte Schubert nämlich Beethovens "Bizzarerie, welche das Tragische mit dem Komischen, das Angenehme mit dem Widrigen, das Heroische mit der Heulerei, das Heilige mit dem Harlequin" vereine.
Die eigentliche Aufgabe, die Schubert sich mit der 4. Symphonie selber stellte, war wohl nicht, sich mit Beethoven zu messen, sondern überhaupt eine Symphonie in einer Molltonart zu schreiben. Vor allem die Hörner und Bässe des Freiburger Barockorchesters treiben die rhythmischen Finessen voran, die Holzbläser fügen dunkle Klangfarben hinzu, die schon weit in die Romantik hineinreichen. Kern des Werks ist allerdings nicht der erste Satz der Symphonie, sondern der zweite, das Andante. Hier beweist der Dirigent Pablo Heras-Casado, dass er auch den langen Atem hat für weit gespannte melodische und harmonische Entwicklungen.
4. Symphonie, zweiter Satz
Auch die vierte Symphonie schrieb Franz Schubert sehr schnell. In weniger als dreißig Tagen war die Partitur abgeschlossen, und auch bei dieser Symphonie steht nicht fest, ob er sie jemals in einer Aufführung gehört hat. Ein Kuriosum der Musikgeschichte fand am 2. Dezember 1860 statt, als die ersten beiden Sätze der 4. mit dem Scherzo der 6. und dem Finale der 3. Symphonie zu einer neuen Potpourri-Symphonie zusammengestellt wurden. Das zeugt von einem großen Unbehagen mit den frühen Schubert-Symphonien, das in der Äußerung des Schubert-Herausgebers Johannes Brahms gipfelt, diese Werke eigneten sich zwar zum Studium für Musiker und Musikwissenschaftler, aber nicht zur Aufführung und sollten deshalb auch gar nicht erst gedruckt werden.
Dass Brahms irrte, beweisen die Musiker des Freiburger Barockorchesters unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado glänzend. Sie kosten die Bandbreite der Klangfarben mit Begeisterung aus und werfen sich mit großem Schwung in die häufigen Wiederholungen. Was Schubert oft zum Vorwurf gemacht wurde, die gelegentlich etwas schroffen harmonischen Kehrtwenden, wird hier zur Eigenart, zum wiedererkennbaren Personalstil. Wer Schubert an Beethoven messen will, so wollen uns die Musiker offenbar sagen, hat beide nicht verstanden.
4. Symphonie, vierter Satz
Mit großem Nachdruck bekräftigt Franz Schubert im Finale seiner 4. Symphonie die endlich erreichte Zieltonart C-Dur. Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester spielen Schuberts 3. und die 4. Symphonie mit solch freudigem Schwung und gelassener Ernsthaftigkeit, dass die Einwände gegen dessen Instrumentalmusik mit ihren mehr oder weniger himmlischen Längen sofort verstummen. Diese beim Label Harmonia Mundi erschienene CD gehört zweifellos ganz nach oben in der Liste der Kaufempfehlungen.
Vorgestellte CD:
Franz Schubert: Symphonien Nr. 3 & 4
Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Dirigent)
LC 7045
Label: harmonia mundi
Bestellnummer: HMC 90 21 54
EAN: 3 149020 215425
3. Symphonie, erster Satz
Schon in der getragenen Einleitung übernehmen Klarinetten und Flöten die Führung, treten im darauf folgenden Allegro con brio mit ihren keck punktierten Melodien deutlich in den Vordergrund. Wenn der symphonische Apparat in Gang gekommen ist mit der Tempozunahme, der Differenzierung der Instrumentengruppen, wird schnell deutlich, dass der 18-jährige Schubert in seiner dritten Symphonie ganz neue Wege gehen will. Die enge motivische Verzahnung der langsamen Einleitung mit den schnellen Entwicklungen des restlichen Satzes findet man so in der Wiener Klassik von Haydn, Mozart und Beethoven noch nicht.
Auch harmonisch beschreitet Schubert Pfade, die seinen Zeitgenossen unkonventionell erschienen sein müssen. Ihm kommt es hörbar nicht auf die Einhaltung der überkommenen Formideale an, vielmehr sucht er eine neue, sehr individuelle und überzeugende Lösung. Diese Suche findet im Sommer 1815 mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit statt. Zwar unterbricht Schubert die Niederschrift des ersten Satzes für einige Zeit, aber wahrscheinlich bloß, weil er sein bevorzugtes Notenpapier nicht zur Hand hatte. Bis zum Takt 81 schreibt er auf zwölfzeiligem Papier, dann komponiert er auf 16-zeiligem weiter. Nach dieser Unterbrechung brauchte er nur noch acht Tage für den Rest des Werks. Mit ganz ähnlichem Schwung machen sich nun der Dirigent Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester ans Werk, wenn sie den zweiten Satz Allegretto tatsächlich sehr heiter und fröhlich angehen.
3. Symphonie, zweiter Satz
Ursprünglich hatte Franz Schubert als zweiten Satz seiner dritten Symphonie ein Adagio molto geplant, beschleunigte das Tempo zunächst auf Andante molto, bis er sich schließlich für ein noch flotteres Allegretto entschied. All das ist an seinem Autograf abzulesen. Auch hier können wir sehen, wie wenig festgelegt und experimentierfreudig der Komponist seine Aufgabe anging. Den tänzerisch hüpfenden Gestus dieser Musik füllt das Freiburger Barockorchester mit anmutiger Leichtigkeit aus. Ob Franz Schubert seine dritte Symphonie oder Teile daraus je selbst gehört hat, ist umstritten. Es ist durchaus möglich, dass auch dieses Werk unter Schuberts Mitwirkung bei einem der Schottenhof-Konzerte gespielt wurde, auch wenn sich im Besitz seines Bruders Ferdinand einzig fünf Bläserstimmen erhalten haben. Aber wir dürfen uns einigermaßen sicher sein, dass der Komponist und seine Zeitgenossen das abschließende Presto vivace nie so virtuos gespielt hörten wie wir jetzt mit dem Freiburger Barockorchester auf Originalinstrumenten.
3. Symphonie, vierter Satz
Als ein "Werk der Jugend und ihres vergnügt lärmenden Tatendrangs, der sich regt und bewegt, ohne sich noch um Ziel und Erfolg Großes zu kümmern" hat der Kritiker Eduard Hanslick das Finale der 3. Symphonie Franz Schuberts beschrieben. Ein Jahr vor Rossinis "Barbier von Sevilla" entwickelt Schubert eine vorwärtsdrängende Energie, die es mit jeder italienischen Opernouvertüre aufnehmen kann. Ganz anders klingt hingegen sein nächster Versuch für großes Orchester, die c-Moll-Symphonie, die er 1816, also ein knappes Jahr nach der 3. abschloss. Er hat sie selbst als "Tragische" überschrieben, was schnell zu Vergleichen mit der c-Moll-Symphonie von Ludwig van Beethoven, der 5., führte, die selten zum Vorteil Schuberts ausfielen.
4. Symphonie, erster Satz
Der Vergleich von Schuberts 4. Symphonie mit Beethovens 5. führt in die Irre. Dass Schubert von seiner "Tragischen Symphonie" sprach, liegt schlicht an der Tonart c-Moll, die nach klassisch-romantischem Verständnis für tragische Sujets geeignet war. Schubert wusste natürlich, dass Beethoven diese Tonart für seine 5. gewählt hatte, doch ist es unwahrscheinlich, dass gerade Beethoven sein großes Vorbild in Sachen Symphonien war. In einem Tagebucheintrag beklagte Schubert nämlich Beethovens "Bizzarerie, welche das Tragische mit dem Komischen, das Angenehme mit dem Widrigen, das Heroische mit der Heulerei, das Heilige mit dem Harlequin" vereine.
Die eigentliche Aufgabe, die Schubert sich mit der 4. Symphonie selber stellte, war wohl nicht, sich mit Beethoven zu messen, sondern überhaupt eine Symphonie in einer Molltonart zu schreiben. Vor allem die Hörner und Bässe des Freiburger Barockorchesters treiben die rhythmischen Finessen voran, die Holzbläser fügen dunkle Klangfarben hinzu, die schon weit in die Romantik hineinreichen. Kern des Werks ist allerdings nicht der erste Satz der Symphonie, sondern der zweite, das Andante. Hier beweist der Dirigent Pablo Heras-Casado, dass er auch den langen Atem hat für weit gespannte melodische und harmonische Entwicklungen.
4. Symphonie, zweiter Satz
Auch die vierte Symphonie schrieb Franz Schubert sehr schnell. In weniger als dreißig Tagen war die Partitur abgeschlossen, und auch bei dieser Symphonie steht nicht fest, ob er sie jemals in einer Aufführung gehört hat. Ein Kuriosum der Musikgeschichte fand am 2. Dezember 1860 statt, als die ersten beiden Sätze der 4. mit dem Scherzo der 6. und dem Finale der 3. Symphonie zu einer neuen Potpourri-Symphonie zusammengestellt wurden. Das zeugt von einem großen Unbehagen mit den frühen Schubert-Symphonien, das in der Äußerung des Schubert-Herausgebers Johannes Brahms gipfelt, diese Werke eigneten sich zwar zum Studium für Musiker und Musikwissenschaftler, aber nicht zur Aufführung und sollten deshalb auch gar nicht erst gedruckt werden.
Dass Brahms irrte, beweisen die Musiker des Freiburger Barockorchesters unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado glänzend. Sie kosten die Bandbreite der Klangfarben mit Begeisterung aus und werfen sich mit großem Schwung in die häufigen Wiederholungen. Was Schubert oft zum Vorwurf gemacht wurde, die gelegentlich etwas schroffen harmonischen Kehrtwenden, wird hier zur Eigenart, zum wiedererkennbaren Personalstil. Wer Schubert an Beethoven messen will, so wollen uns die Musiker offenbar sagen, hat beide nicht verstanden.
4. Symphonie, vierter Satz
Mit großem Nachdruck bekräftigt Franz Schubert im Finale seiner 4. Symphonie die endlich erreichte Zieltonart C-Dur. Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester spielen Schuberts 3. und die 4. Symphonie mit solch freudigem Schwung und gelassener Ernsthaftigkeit, dass die Einwände gegen dessen Instrumentalmusik mit ihren mehr oder weniger himmlischen Längen sofort verstummen. Diese beim Label Harmonia Mundi erschienene CD gehört zweifellos ganz nach oben in der Liste der Kaufempfehlungen.
Vorgestellte CD:
Franz Schubert: Symphonien Nr. 3 & 4
Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Dirigent)
LC 7045
Label: harmonia mundi
Bestellnummer: HMC 90 21 54
EAN: 3 149020 215425