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Schubert-Woche im Pierre Boulez-Saal
"Ihr seid doch noch Künstler!"

Ja, in Berlin hat wirklich ein Live-Festival stattgefunden! Zum dritten Schubert-Festival kamen namhafte Künstlerinnen und Künstler und Nachwuchs. Alle traten zwar ohne Publikum auf, waren aber online erlebbar. Ein Ereignis, das Kunst und Publikum guttat.

Von Julia Kaiser |
    Saalansicht eines geschwungenen Konzertraumes mit roten Sesseln, die ovalförmig um die Bühne angeordnet sind. Auf dem Parkett steht ein Flügel, mehrere Menschen und zwei Kameras.
    Schubertforscher Thomas Hampson bei der Arbeit mit den jungen Künstlerinnen und Künstlern während der Schubert-Woche 2021. (Peter Adamik)
    Sharvit: "Ich bin irgendwie aufgeregt wie vor einem echten Konzert."
    …sagt die Mezzosopranistin Hagar Sharvit, kurz vor ihrem Auftritt bei der Schubertwoche – auch wenn das Publikum nur per Livestream dabei ist. Sie wird für ihr Konzert auf einer richtigen Bühne stehen, im Pierre-Boulez-Saal. Endlich wieder Lampenfieber spüren!
    Sharvit: "Weil ich weiß, dass Leute es sehen, Leute, die ich kenne, die ich eingeladen habe. Ich hatte kleinere Konzerte, mit wenigen Leuten im September, aber dieses Gefühl hatte ich noch nicht in dieser Zeit. Diese Schmetterlinge, das ist ein Gefühl wie… wie früher!"

    Ein humanitäres Bildungsprojekt

    Etwas erstaunlich Echtes und Unmittelbares haben die Live-Streams der Konzerte im Boulezsaal, man darf sich ganz einlassen auf die Liebe zum Lied, die allen Liedduos in die Gesichter geschrieben steht. Vor den Konzerten ohne Publikum geben sie kurze Einführungen, beschäftigen sich auch mit Liedforschung. Der Initiator der Schubertwoche, Thomas Hampson hat auch Musikwissenschaftler und Schubertforscher eingeladen, zu diesem humanitären Bildungsprojekt, so nennt es der Bariton.
    Hampson: "Ich begrüße sehr, dass ich mir jetzt, unter diesen Umständen, eine Akademie bauen kann. Ein Netzwerk war mein ursprünglicher Traum, als ich meine Stiftung gegründet habe, die Hampsong-Foundation. Ein Netzwerk, um das Leben dieser Epoche oder unserer Zeit durch Gedicht und Musik zu verstehen. Im Austausch, mit Verständnis, hoffentlich compassion und Toleranz."

    Mut zu Gefühlen aus der Pandemie-Situation

    Zu allen Zeiten haben sich Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Lebenswirklichkeit auseinandergesetzt und sie zum Ausdruck gebracht. Mit Worten, bildkünstlerisch und eben musikalisch. So wie Franz Schubert. Thomas Hampson ermutigt die jungen Sängerinnen und Sänger, ihre Emotionen über die Pandemie-Situation in die Interpretationen seiner Lieder zu legen.
    Hampson: "Wir reden gar nicht erst über die momentane political scene, da werde ich zu aufgeregt als Amerikaner. Es ist verheerend! Ich glaube, dass ein Grundproblem unserer Politik in unserem Ausbildungsproblem liegt. Unserer Einstellung zu education, in der nur an Jobs und Geld gedacht wird, und nicht an Erfüllung und Wissen und Verbesserung des Lebens. Liberal Arts Education! Wir haben schon in allen Ländern einige Generationen, die nicht die Künste als eigentlichen Baustein ihrer Existenz erlernt haben. Warum ich das alles sage in Art eines Vortrags, ist, dass Schubert genau diese Griffe beinhaltet! Was ich so bewundere an Schubert, ist seine Begeisterung, menschliche Gedanken in Gedichtform in einer entwickelten Musiksprache zu erläutern. Er hörte in seinem Kopf und seiner Seele eine Musikausformung – und da haben wir diese Lieder! Und ich finde diese ganzen Zusammenhänge wahrzunehmen, das ist der aufregendste Teil der lebenden Künste!"
    Die Rückbesinnung auf allumfassende freiheitlich-künstlerische Bildungswerte ist auch ein Ideal der Barenboim-Said-Akademie. Darum steht die jährliche Schubertwoche fest im Programm des Boulezsaales. Was die Zuschauer auch jeden Tag digital zurückkehren lässt, ist die Vielschichtigkeit des Austauschs. In der romantischen Welt der Blütendüfte und Mythengestalten tauschen sich die Künstlerinnen und Künstler darüber aus, wie es ihnen gerade geht, sagt die Mezzosopranistin Marie Seidler.
    Seidler: "Es ist wirklich unglaublich schwer, um ehrlich zu sein, es schwankt auch tagtäglich. Ich gewinne auch eine gefährliche Distanz zu meinem Beruf, wo ich draufschaue und sage: Die Verträge werden unfairer, es gibt eine Sorte Knebelverträge, man hört auch Sätze wie: ‚Soundso viele Sänger stehen hintan und würden Ihren Job gerne übernehmen. Wenn Sie diesen und diesen Dingen nicht folgen, dann werden wir eine andere Sängerin finden, die das tut.‘ Gerade jetzt in Coronazeiten wird man damit konfrontiert, guckt sich seinen Beruf auch nochmal aus einer anderen Perspektive an. Aber nichtsdestotrotz bleibt da dieser Ausdruckswillen, den man nicht abschalten kann. Ich schöpfe einfach Mut aus der direkten Auseinandersetzung mit den Komponisten, mit den Texten, mit der Musik. Es ist die direkte Auseinandersetzung mit dem, was wir lieben, die uns weitermachen lässt. Aber wie prekär die Situation auf dem Markt ist und auch immer mehr wird, das geht mich schon sehr an."

    Ein Netzwerk, das Halt gibt

    Diese Offenheit macht das Konzerterlebnis noch eindrücklicher. Oder die nachmittäglichen öffentlichen Workshops mit Thomas Hampson und erfahrenen Liedpianisten. Viele junge Sängerinnen und Sänger waren schon in den beiden Vorjahren bei der Schubertwoche, haben erst einen Workshop erlebt und dürfen nun ein geteiltes oder ein ganzes Konzert singen. Diese Verflechtung hängt mit den Partnern der Schubertwoche zusammen, der Heidelberger Lied-Akademie und der Hampsong-Foundation. Thomas Hampson hat ein Netzwerk aus Liedbegeisterten gegründet, das das ganze Jahr über aktiv ist. Ihr habe es in den letzten Monaten Halt gegeben, sagt die Mezzosopranistin Ema Nikolovska.
    Nikolovska: "Der Austausch, den ich in den letzten Monaten mit den verschiedensten Freunden in dieser Lied-Gemeinschaft hatte, hat mir sehr geholfen, mich noch einmal neu auf den Liedgesang zu fokussieren. Auch herausfordernde Fragen waren dabei, in prekären Augenblicken, in denen wir uns gefragt haben: Was soll das Ganze? Wir haben noch einmal geschärft, was uns der Liedgesang bedeutet, welchen Wert er für uns darstellt und wie wir diese Kostbarkeit teilen können, indem wir unsere Begeisterung teilen. Was machen wir als Interpreten, oder wir in der Klassikwelt allgemein, nicht richtig – so dass es anderen schwer fällt, in diese Welt einzutreten? Wo liegen unsere blinden Flecken? Diese Diskussionen haben uns angeregt, noch mehr querzudenken, das Lied auf den Kopf zu stellen und zu überlegen, wie wir noch mehr dafür tun können. Das war sehr stimulierend."

    "Deine Entwicklung ist in der Stille ebenso wichtig"

    Den aktiven Austausch per Zoom oder in sozialen Netzwerken möchte auch Thomas Hampson beibehalten. Das sei ein Erkenntnisgewinn aus der Pandemiesituation, sagt er. Diskutieren und einander, selbst wenn nur von fern, dabei sehen, das habe ihm den engen Kontakt zu den jungen Kolleginnen und Kollegen, wie er sie nennt, ganz neu eröffnet!
    Hampson: "Es war, als ob ich immer von einem dunklen Stern heruntergerufen hätte. Ich sagte: Kommt, lasst uns am Freitag zusammenkommen, ich will wissen, wie es Euch geht. Und plötzlich hatten wir 30 junge Künstler da sitzen mit genau diesem Standpunkt – ‚I have no idea who I am! – Ich weiß nicht, wer ich bin.‘ Ich bin so dankbar, dass ich diese noch nähere Verbindung gefunden habe, als Mentor, älterer Kollege, wie ein geschätzter Onkel. (lacht) Es hat mir selbst viel gegeben, ihnen zu sagen: ‚Kommt! Nur, weil ihr im Moment verstummt seid… Ihr seid doch noch Künstler! Ob Du säuselst für drei Leute oder schreist für dreitausend oder singst für 300 – Du bist ein Künstler! Und die Entwicklung Deiner Künstlerlaufbahn ist in der Stille ebenso wichtig, wie vor Leuten.‘ Das war sicher für diese Leute, und ist es auch für diese Generation, eine absolute Levite durch diese Krise. Was wir vor Leuten tun, ist nur in dem Forum, in dem wir es hörbar machen. Aber mein Leben ist nicht abhängig davon, dass Leute vor mir sitzen, die für eine Karte gezahlt haben. Das wäre desaströs!"