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Schuberts Winterreise
Tenor, Counter oder Bariton?

Gleich mehrere Aufnahme der Winterreise von Franz Schubert sind in den vergangenen Monaten erschienen. Der Tenor Ian Bostridge nimmt den Liederzyklus zum dritten Mal auf, der Countertenor Xavier Sabata wagt sich zum ersten Mal an die Lieder heran. Überzeugt der frische Blick oder die langjährige Erfahrung mehr?

Von Elisabeth Richter |
    Krähen sitzen bei Schneefall auf Bäumen und auf einem Feld auf der Schwäbischen Alb.
    Schnee, kahle Bäume, leere Flächen: Der Blick eines Wanderers im Winter. (dpa / picture alliance / Thomas Warnack)
    Musik: Xavier Sabata, "Der Lindenbaum"
    Große Sängerinnen wie Brigitte Fassbaender oder Nathalie Stutzmann widmeten sich Schuberts Winterreise und konnten künstlerisch berühren, auch wenn die weibliche Stimmlage für diese Lieder immer wieder gewöhnungsbedürftig ist. Schubert verlangt zwar nicht explizit eine Männerstimme, hat seinen Zyklus aber vermutlich dafür gedacht. Singt ein Countertenor, sind um ein Vielfaches stärker noch Hörgewohnheiten beiseite zu schieben. Der Katalane Xavier Sabata hat sich zweifellos mit seinem souverän und rund geführten Countertenor im Bereich der Barockmusik einen Namen gemacht. Jetzt nimmt er sich die künstlerische Freiheit und ging geht das Wagnis ein, Schuberts Winterreise singen. Er ist nicht der erste, Jochen Kowalski oder Zvi Emanuel-Marial taten es vor ihm.
    Musik: Xavier Sabata, "Rückblick"
    Schöner Klang, aber wenig Wortdeutung
    Es zeigt die Qualität von Schuberts Musik, dass sie auch stark berührt, ohne, dass man die hintergründigen Gedichte von Wilhelm Müller versteht. Es geht hier nicht nur um einen traurigen, von seiner Geliebten verschmähten Mann. Es geht wohl ganz allgemein um einen Menschen auf der Suche nach sich selbst, seiner Identität. Der Winter steht für den Zustand innerer Vereinsamung und Erstarrung, ist aber auch eine Chiffre für die politische Restauration im damaligen Metternich-Staat. Man kann Schuberts facettenreiche Lieder, seine fantasievolle Umsetzung der Poesie einfach mit schöner Stimme, mit schönen Bögen und Übergängen singen und so dem musikalischen Gestus schlicht folgen. Diesen Ansatz wählen Xavier Sabata und Tenor Pavol Breslik. Leider schwelgen sie dabei ein wenig zu sehr im eigenen schönen Klang.
    Musik: Xavier Sabata, "Gute Nacht"
    Sabata stößt an die Grenzen einer typischerweise meist im Falsett geführten Countertenor-Stimme. Sie kann nicht den Facettenreichtum, die Flexibilität und die expressive Ausdrucksqualität leisten, die romantische Liedkunst erfordert, und die eine "Nicht-Countertenor-Stimme" hat. Es fehlt bei Sabatas Winterreise an Volumen und Kraft, an dynamischer und farblicher Bandbreite. Stärker noch fehlt jedoch eine profilierte interpretatorische Gestaltung, eine Auseinandersetzung mit dem Text. Stattdessen herrscht ein weinerlicher Ton vor, der sich schnell abnutzt; musikalisch-interpretatorisch eine Enttäuschung. Auch Francisco Poyato kann am Klavier keine Akzente setzen. Da hat Pavol Breslik mit Amir Katz einen Partner zur Seite, der weitaus differenzierter und sensibler gestaltet.
    Musik: Pavol Breslik/Amir Katz, "Der stürmische Morgen"
    Ein Ergründen des Textes vermisst man allerdings leider auch weitgehend bei dem slowakischen Tenor Pavol Breslik. Er geht die subtilen Lieder viel zu opernhaft an. Zwar ist sein Deutsch weit besser als das von Xavier Sabata, doch sein Timbre hat ein leichtes Dauerflackern, das mag aber auch Geschmacksache sein. Dennoch: Man erwartet viel mehr dynamische und farbliche Differenzierung. "Der stürmische Morgen" etwa ist nur laut und hart, Kontraste und Pathos kommen meist sehr vordergründig-plakativ daher.
    Hintergründige Ebene der Worte
    Ganz anders der schwedische Bariton Peter Mattei. Mit seinem warmen, sonoren Timbre gestaltet er sehr geschmackvoll und verdeutlicht die Stimmungsschwankungen und Selbstzweifel des einsamen Winter-Wanderers mit plausiblen Farbwechseln.
    Musik: Peter Mattei/Lars David Nilsson, "Gute Nacht"
    Der Gefahr, dass sein durchaus gewichtiger Bariton mit zu viel Kraft die zarten Lieder zerstören könnte, begegnet Mattei mit einer feinen Pianokultur. Er beweist, dass ein gestandener Opernsänger durchaus als Liedsänger überzeugen kann. Sein Deutsch lässt nicht die geringsten Wünsche offen. Man wird als Hörerin wirklich mit in die poetische Welt Schuberts und Wilhelm Müllers hineingenommen. Mattei durchdringt Text und Musik. So vermittelt er zum Beispiel subtil eine leicht selbst-ironische Häme etwa in "Die Post": Der "naive Wanderer" hoffte wider besseren Wissens noch auf einen Brief der Geliebten.
    Musik: Peter Mattei/Lars David Nilsson, "Die Post"
    Peter Mattei gelingt mit seinem auch sehr virilen Bariton eine natürliche Balance von dramatischem Impetus und nötiger Leichtigkeit und lyrischer Innerlichkeit.
    Musik: Ian Bostridge/Thomas Adès, "Gute Nacht"
    Dass der britische Tenor Ian Bostridge sich seit drei Jahrzehnten mit Schuberts Winterreise auseinandersetzt – 2014 ja auch ein lesenswertes Buch darüber veröffentlicht hat -, spürt man in jeder Sekunde seiner neuen, dritten Einspielung. Es fällt positiv auf, dass sein heller Tenor deutlich an Tiefe und Körper gewonnen hat. Bostridge neigte schon immer ein wenig zu Überartikulation und zum ein wenig manierierten Nachdrücken, doch das gerät in den Hintergrund, weil sein interpretatorischer Zugang so überzeugend ist.
    Musik: Ian Bostridge/Thomas Adès, "Mut!"
    Neue Erkenntnisse durch Bostridge
    Wenige haben mehr Farben, mehr artikulatorische und dynamische Differenzierung als Ian Bostridge. Er hat jedes Wort, jedes Lied genau unter die Lupe genommen, und begibt sich – souverän und sehr frei - mit seinen Hörern auf eine wirkliche Reise voller Intensität. Er entdeckt groteske und ironische Facetten und vermittelt Momente tiefster Resignation. "Die Krähe" beispielsweise singt er weit langsamer als viele Kollegen. Man hat das Gefühl, hier schaut ein Clown in den Spiegel und merkt, dass die Maske nicht mehr funktioniert. Das klingt wirklich neu!
    Musik: Ian Bostridge/Thomas Adès, "Die Krähe"
    Mit dem Komponisten Thomas Adès hat Ian Bostridge einen Partner, der am Klavier durch sein faszinierend feinsinniges Spiel eigene Akzente setzt. Er durchdringt jedes Detail von Schuberts ja auch psychologisch die Texte kommentierenden Klaviersatzes. Gerade Adès macht gemeinsam mit Ian Bostridge diese Einspielung zu einer der spannendsten überhaupt in der letzten Zeit.
    Die besprochenen Aufnahmen:
    Xavier Sabata, Countertenor
    Francisco Poyata, Klavier
    Berlin Classics
    Pavol Breslik, Tenor
    Amir Katz, Klavier
    Orfeo
    Peter Mattei, Bariton
    Lars David Nilsson
    BIS
    Ian Bostridge, Tenor
    Thomas Adès, Klavier
    Pentatone