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Schubladen im Kopf
Wie Vorurteile unser Denken bestimmen

Keiner will sie haben, jeder hat sie: Vorurteile. Schublade auf, Meinung rein, Schublade zu. Denn Vorurteile erleichtern die Denkarbeit. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen untersuchen, wie Vorurteile unser Denken bestimmen und welche Folgen das hat.

Von Ingeborg Breuer |
    Zu vielen Studiengängen halten sich die Vorurteile über einen bestimmten Kleidungsstil hartnäckig: Diese Männer sind Jurist, angehende Architekten sowie - rechts außen: Mitarbeiter am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Uni Hannover.
    "Da kommt einer, bringt eine bestimmte Hautfarbe, eine bestimmte Nationalität mit, einen ethnischen Hintergrund - ein Kategorisierungsmerkmal, das die andere Person sofort erkennen kann. Und dann wird das Vorurteil aufgerufen", so ein Sozialpsychologe. (picture alliance / dpa)
    "Zuerst haben Sie mich als Drecksausländer bezeichnet und als Scheißkanake, was soll ich sagen? Umfrage: Haben Sie Vorurteile? Gegen wen oder gegen was? Egal! Nein, glaub ich eigentlich nicht. Man sagt ja, Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose. Ungezogen stell‘ ich mir so ‘nen Kevin vor. Asi Kind! Also schon, wenn ein Mensch, es reicht schon die Kleidung, wenn jemand mit 'nem Anzug und Krawatte, dann denke ich, der sei seriös."
    Keiner will sie haben, aber jeder hat sie. Vor-Urteile! Schublade auf, Meinung rein, Schublade zu. Denn Vorurteile - erleichtern die Denkarbeit.
    "Ich bezeichne Vorurteile und Stereotype gern als normal." Juliane Degner ist Professorin für Sozialpsychologie an der Uni Hamburg. Vorurteilsforschung gehört zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten:
    "Wir haben sie in der Tat und wir benötigen sie, weil wir als Menschen ein kleines Gehirn haben, das effektiv arbeiten muss. Um effektiv Informationen zu bearbeiten, die uns entgegen kommen im sozialen Miteinander, müssen wir vereinfachen. Wir machen das, indem wir Menschen in gewisse Gruppen einordnen und das Wissen abrufen, was wir über die Gruppen haben."
    Stereotyp vs. Vorurteil
    Am Anfang steht das Stereotyp! Frauen können nicht einparken! Professoren sind verschusselt! Aber auch: AfD-Wähler sind Rassisten! Man fasst Menschen in Gruppen zusammen. Ein völlig normaler, nahezu automatisch ablaufender Prozess! Denn so muss man über Dinge, die möglicherweise auf die große Mehrheit einer Gruppe zutreffen, nicht jedes Mal neu nachdenken. Sondern die schnell abrufbaren Stereotypen können den Umgang mit anderen extrem vereinfachen. Hans Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg:
    "Das, was wir über diese Gruppe denken, die Menschen, die der Gruppe zugehören, das nennen wir Stereotyp. Wir haben stereotype Vorstellungen. Zum Beispiel die stereotype Vorstellung, alle Deutschen sind pünktlich, die Franzosen genießen das Leben, das ist eine stereotype Vorstellung."
    Bezieht man ein solches Stereotyp dann auf eine einzelne Person, packt diese also - ohne sie überhaupt schon genauer zu kennen - in die Schublade "das ist ein Italiener, also ist er unzuverlässig", dann wird aus dem Stereotyp - ein Vorurteil. Und anders als das Stereotyp ist ein Vorurteil von – oft negativen – Gefühlen begleitet. Hans-Peter Erb:
    "Vorurteile beziehen sich auf den einzelnen Menschen, da kommt einer, bringt eine bestimmte Hautfarbe, 'ne bestimmte Nationalität mit, kommt mit einem ethnischen Hintergrund, ein Kategorisierungsmerkmal, was die andere Person sofort erkennen kann. Und dann wird das Vorurteil aufgerufen. Und das Vorurteil bezieht sich auf die einzelne Person. Und ich muss sagen, ja der ist bestimmt nicht pünktlich, weil der nicht Deutscher ist."
    "Zu lernen, zu welcher Gruppe man gehört, ist wichtig, um eine Identität auszubilden. Wonach wir unterscheiden, das ist gesellschaftlich relevant, und es gibt bestimmte Merkmale, die in allen Gesellschaften genutzt werden. Zum Beispiel das wahrgenommene Geschlecht. Es gibt keine Gesellschaft, die nicht zwischen Mann und Frau unterscheiden würde. Sehr häufig sind es äußerlich sichtbare Merkmale wie z.B. Hautfarbe, Religion …"
    Im Kindergarten lernen Kinder, ihre Umwelt - wie Juliane Degner gerade ausführte - nach Merkmalen zu unterscheiden. Sie sortieren ihre Spielgefährten nach Haarfarbe, Hautfarbe oder Geschlecht. Ab etwa drei Jahren, so Prof. Andreas Beelmann von der Universität Jena, bilden sich im Gehirn Strukturen, die es ermöglichen, die Umwelt nach Kategorien zu ordnen:
    "Erst dann haben sie eine Vorstellung davon, was diese sozialen Kategorien wie Ausländer oder Flüchtling überhaupt bedeuten. Das ist ja das Wesen von Vorurteilen, dass sich Personen auf Basis ihrer sozialen Gruppenmitgliedschaft einordnen. Und dafür muss ich ja erst mal einen Begriff davon haben, welche Gruppen es überhaupt gibt. Meistens fängt es mit Geschlecht an, also die Aufteilung von Jungen und Mädchen gelingt den Kindern als erstes."
    Kindergartenkinder: "Mädchen dürfen nicht mitspringen. Und sie wollen auch gar nicht mitspringen."
    Mädchen werden ausgeschlossen. Jungs bleiben unter sich. Denn die eigene Gruppe ist einem doch am vertrautesten. Und - am sympathischsten. Andreas Beelmann:
    "Dann können wir feststellen, dass die soziale Eigengruppe, ich bin Deutscher, ich bin Junge, ein Stück weit besser beurteilt wird als die soziale Fremdgruppe, der ich nicht angehöre."
    Bestätigungen aus der Hirnforschung
    Dass der Mensch der eigenen Gruppe mehr vertraut als einer fremden, bestätigt auch die Hirnforschung: Im Hirnscanner zeigte man Menschen Mitglieder der eigenen Gruppe und Menschen anderer Ethnien. Bei den Fremden wird im Gehirn besonders jenes System stark aktiviert, das mit Furcht und Flucht zusammenhängt: die Amygdala. Sieht man Menschen der eigenen ethnischen Gruppe wird diese Reaktion gedämpft. Und mit zunehmendem Alter werden die Raster immer ausgeklügelter. Schon mit den kleinsten Informationen über einen Menschen suchen wir die passende Schublade für ihn. Informatiker? Blasser Nerd mit unmöglichem Pullover! Porschefahrer? Angeber mit Potenzproblemen! Frau mit Kopftuch? Unterdrückt und unfrei!
    "Ich bin Deutsche, bin innerlich deutsch, bin gern deutsch. Nur dass ich Muslimin bin. Aber trotzdem wird man so angesehen. Das ist schlimm. (*)"
    Weil sie Muslimin ist, trägt Gülsen ein Kopftuch. Wegen dieses Kopftuchs wird sie ausgegrenzt, meint die junge hübsche Frau. Die Vorurteile der Deutschen seien der Grund, warum sie berufliche Probleme hat:
    "Es ist für mich jetzt schwer, ´ne Arbeit zu finden. Ich bin Bürokauffrau, und da hab´ ich überhaupt keine Chance. Vielleicht krieg ich noch mal einen Putzjob, wenn ich Glück hab."
    Vielleicht hat Gülsen ja selbst ein Vorurteil, nämlich - kein Deutscher würde einer Frau mit Kopftuch eine berufliche Chance geben. Vielleicht bekommt sie ja doch noch einen Job! Und vielleicht findet ihr Chef dann, dass sie doch eine nette, weltoffene Frau ist. Das allerdings bedeutet noch lange nicht, dass der Chef seine Vorurteile gegenüber Muslimas abgelegt hat.
    "Es gibt ein Phänomen, das wir Subtyping nennen. Also man kann seine Vorurteile aufrechterhalten, selbst wenn man einzelne Personen trifft, die dem Vorurteil nicht entsprechen. Also ich bin jetzt Mitarbeiter von VW in Wolfsburg, und da gibt’s deutsche und türkische und manche sind komisch. Aber mein Kumpel Ali, mit dem ich die Kupplung jeden Tag einbaue, der ist ein Supertyp. Und dann kommt es zu dem Phänomen, dass wir einzelne Exemplare, die dem Vorurteil nicht entsprechen, herausnehmen aus der Gruppe und eine Extrakategorie aufmachen."
    Zudem wirkt ein Vorurteil wie ein Filter, der die eigene Wahrnehmung beeinflusst. Informationen, die in das eigene Schema passen, schenkt man mehr Aufmerksamkeit. Und das erst recht, wenn sie negativ sind. Ah, schon wieder ein krimineller Ausländer! Zu diesem Ergebnis kamen Untersuchungen des Oxforder Experimentalpsychologen Robin Murphy. Er stellte fest, dass das Gehirn negative Informationen über eine Gruppe bevorzugt sammelt, während es positive Aussagen eher vernachlässigt. Oder sie werden als verdächtige Anomalie bewertet: Dieser Ausländer hat mir das Portemonnaie nachgetragen, das ich in der Bäckerei hatte liegen lassen – ah, eine Ausnahme!
    Elternhaus, Umfeld, eigene Erfahrungen, Gesellschaft
    Jeder Mensch hat also Vorurteile. Doch welche Vorurteile man hat, und wie stark sie sind, ist abhängig vom Elternhaus, vom sozialen Umfeld, von eigenen Erfahrungen und von der Gesellschaft, in der man lebt.
    Hans-Peter Erb: "Wir haben eine hohe Übereinstimmung zwischen den Vorurteilen, die Eltern haben und denen, die die Kinder haben. Das spricht dafür, dass das gelernt wird. Wenn der Papa mit der Bierflasche über die Hartz IV Empfänger schimpft oder die Frauen schimpft oder die Flüchtlinge, dann kriegen die Kinder das mit. Dann kann man das auch lernen."
    Aber auch die ausgegrenzte Gruppe wird durch das Vorurteil geprägt. Denn wenn das Vorurteil nur stark genug ist, identifiziert diese sich mit dem Stigma, das ihnen angehängt wird.
    "Which doll is the black doll? … And which on is the white one? That one!"
    In den 40er Jahren testeten die US-Psychologen Kenneth und Mamie Clark, ab welchem Alter Kinder Hautfarben bestimmte Eigenschaften zuschreiben. Der Sender CNN strahlte im Jahr 2010 die frühen Tests aus. Im Film ist zu sehen und zu hören, dass ein Interviewer Kinder im Vorschulalter auffordert, zu unterscheiden: Was ist die schwarze, was ist die weiße Puppe? Und dann sollen sie sagen: Welches ist die nette, die hübsche, die schlechte?
    "Which doll is the nice doll? Which doll is the pretty doll? Which doll is the bad doll?"
    Zwar identifizierten sich viele schwarze Kinder – anders als die weißen - mit den schwarzen Puppen. Aber ganz gleich, welche Hautfarbe die Kinder hatten, zum Spielen wählten sie lieber die weiße Puppe. Denn die Kinder hatten gelernt, welche Zuschreibungen in ihrer Umgebung häufiger vorkommen als andere. Aber Kinder greifen nicht nur bestehende Vorurteile aus ihrer Umgebung auf. Sondern man kann sie ihnen sogar beibringen, wie Hans Peter Erb erläutert:
    "Es gibt tatsächlich Untersuchungen, wo man Kindern sagt, irgendein beliebiges Merkmal, Augenfarbe, eigentlich sind die Guten die Blauäugigen und die Bösen sind die Braunäugigen (*) und das ist jetzt so. Und dann führt die Lehrerin in der Klasse noch Privilegien ein, die müssen dann z. B. die Tafel nicht wischen. Dann übernehmen die Kinder das auch."
    Normen der Toleranz und des Antirassismus
    In den letzten Jahrzehnten verbreiteten sich in Europa starke Normen der Toleranz und des Antirassismus. Unterdrückte soziale Gruppen wie Frauen, Homosexuelle, Behinderte, Schwarze forderten ihre Rechte ein. Sexistische oder rassistische Äußerungen waren mehr und mehr verpönt. Doch seit dem Erstarken des Populismus sind Vorurteile und Ressentiments wieder auf dem Vormarsch. Der Populismus von rechts wendet sich ja gerade gegen die liberale Zivilgesellschaft mit ihrer Idee der politischen Korrektheit. Und zudem, so muss man zugeben, hegt diese Zivilgesellschaft selbst Vorurteile gegen Pegida und AfD: Das sind alles Idioten und Rassisten! Verstärkt stellt sich also die Frage: Wie kann man Vorurteile abbauen? Durch Argumente? Verweise z. B. auf Kriminalitätsstatistiken, um dem Vorurteil, Ausländer seien krimineller als Deutsche zu begegnen?
    "Wir wissen, dass Vorurteile und Stereotypen sehr resistent sind und dass z. B. die Erfahrung, dass ein Stereotyp nicht zutrifft, in einem Einzelfall vollkommend unzureichend ist, um das Stereotyp zu ändern. Weil wir wissen, wie konservativ unsere Einstellungen sind."
    Prof. Juliane Degner, Sozialpsychologin an der Uni Hamburg. Auch sie weiß, dass Vorurteile ausgesprochen stabil sind:
    "Wenn wir Einstellungen haben, ändern wir die nicht so schnell, wir brauchen relativ viele neue Beweise und wir sind auch ganz gut darin, Gegenbeweise oder Verhalten, was nichts mit unseren Stereotypen zu tun hat, so zu interpretieren, als würden sie die unterstützen. Wir sind ganz schlecht darin, objektiv wahrzunehmen. Das können wir faktisch gar nicht und deshalb sehen wir im Alltag viel Bestätigung für unsere Vorurteile, weil wir Nichtbestätigung ignorieren und Verhalten so interpretieren, also würde sie die bestätigen."
    Der amerikanische Psychologe Gordon Allport war ein Pionier der Vorurteilsforschung. Mit seinem 1954 veröffentlichten Buch "Die Natur des Vorurteils" schuf er die Basis für die weitere Forschung:
    "Der hat vorgeschlagen, über Kontakte Vorurteile zu reduzieren. Und seit dieser Publikation sind hunderte von Untersuchungen durchgeführt worden, um die Effekte von interethnischen aber auch anderen (*) intergruppalen Kontakten zu untersuchen. Und da ist eigentlich ein sehr eindeutiges Ergebnis, dass über Kontakte und wenn’s bestimmte Arten von Kontakten sind, Vorurteile (…) reduziert werden können."
    Doch auch darin ist sich die Forschung einig: Eine flüchtige Begegnung zwischen Mitgliedern der Mehrheits- und der mit Stereotypen belegten Minderheitsgruppe reicht nicht:
    "Wichtig sind dabei bestimmte Bedingungen. Die Forschung ist hier vorsichtig und wir sind auch nicht so wahnsinnig optimistisch. Wir machen jetzt mal ein Straßenfest oder ein Fußballturnier, die können so leicht keine Wirkung zeigen (*)."
    Vorurteile könnten, so schreibt Gordon Allport, durch gleichrangigen Kontakt zwischen Mehrheits- und Minderheitsgruppen reduziert werden, wenn sie gemeinsame Ziele verfolgen. Und die Wirksamkeit werde verstärkt, wenn dieser Kontakt durch institutionelle Unterstützung gefördert werde.
    "Es gibt ein Problem zwischen Arabern und Juden hier. Aber wir müssen daran arbeiten. Wir müssen uns mehr lieben, nicht töten und an eine Koexistenz glauben."
    Araber und Juden, Israelis und Palästinenser
    So ein junger israelischer Araber über seinen Blick auf die Feindschaft zwischen Arabern und Juden, deren friedliches Neben- und Miteinander in immer weitere Ferne rücken. Trotzdem gibt es immer noch Initiativen und Projekte, in denen junge Palästinenser und Israelis zusammengeführt werden, um Verständnis füreinander zu entwickeln.
    "Eine palästinensische NGO machte ein gemeinsames Forschungsprojekt mit einem Israelischen Institut und einer jordanischen und portugiesischen Universität."
    So Alla, 26, eine arabische Israelin, die an einer Jerusalemer Universität Umweltwissenschaften studiert hat. Im Rahmen ihres Studiums nahm sie an Projekten teil, in denen israelische und palästinensische Studenten gemeinsam an Umweltproblemen arbeiteten:
    "Wenn wir über Wasserschutzmanagement für den Jordan sprechen, haben Jordanier, Israelis und Palästinenser Informationen, die sie nicht miteinander teilen. Jeder macht etwas für sich allein, um das Problem zu lösen. Also eines der Probleme ist die Verschmutzung durch Abwässer, es gibt einen Abwasserstrom, der von der palästinensischen zur israelischen Seite fließt und von der israelischen zur palästinensischen. Und wenn wir daran arbeiten wollen, müssen wir das zusammen tun."
    Das Projekt erfüllte genau die Bedingungen, die Psychologen für erforderlich halten, damit Vorurteile abgebaut oder zumindest verringert werden können. Juliane Degner:
    "Das heißt, der Kontakt muss gewollt sein, er muss unter Bedingungen von Statusgleichheit stattfinden, es darf niemand untergeordnet oder übergeordnet geben, idealerweise sollte es eine wechselseitige Abhängigkeit geben, dass man gemeinsame Ziele hat an denen man nur gemeinsam erreichen kann, es sollte Unterstützung von außen geben dafür."
    Politik war zunächst ein großes Tabu, erzählt Alla. Doch schließlich wurde es in einem weiteren Projekt möglich, die unterschiedlichen Lebensbedingungen zum Thema zu machen.
    "Wir haben darüber gesprochen, was die palästinensische Geschichte ist und was die israelische. Das war wirklich hart, weil ich aufwuchs und meine Geschichte lernte, was ich als Mädchen aus Ostjerusalem durchlebte. Und zur selben Zeit musste ich ihnen zuhören, dass sie auch harte Zeiten in der Armee hatten, im Krieg jemanden verloren haben. Ich verstand sie, dass sie auch eine Familie haben, Träume, dass sie leben wollen."
    Alla bleibt durchaus realistisch, denn sie sieht, dass der Hass zwischen Israelis und Arabern nur durch eine für alle Seiten befriedigende politische Lösung wirklich eingehegt werden könnte. Und dennoch haben der Kontakt und die Arbeit an einem gemeinsamen Projekt das Verständnis füreinander vergrößert. Etwas miteinander zu machen und damit etwas übereinander zu erfahren, scheint also ein Weg zu sein, Vorurteile zumindest zu verringern. Dies bestätigt auch Prof. Andreas Beelmann. Er hat mit Kollegen ein Trainings- und Präventionsprogramm entwickelt, das jungen Menschen Toleranz und Respekt im Umgang mit anderen vermitteln soll. In Thüringen führte er mit Kindern in der 3. Klasse einer Grundschule über 16 Wochen ein Interventionsprogramm zur Vorurteilsprävention durch. Übrigens zu einem Zeitpunkt, als es in Thüringen noch fast gar keine Ausländer gab! Beelmann:
    "Jedenfalls nicht, als wir mit dem Projekt angefangen sind, 2007. Was wir gemacht haben ist mit den Kindern Geschichten gelesen, wo ein Kind mit deutschem und eins mit Migrationshintergrund gemeinsam Abenteuer erleben. Und die psychologische Idee dahinter ist, die Kinder identifizieren sich mit dem Kind der eigenen Gruppe, also einem deutschen Kind, dieses Kind hat einen Freund in der sozialen Fremdgruppe und dadurch kommt eine Besserbewertung der sozialen Fremdgruppe zustande, also Vorurteile sinken."
    Vorurteilsneigung schon bei Kindern unterschiedlich hoch
    Zusätzlich vermittelten Andreas Beelmann und sein Team den Kindern noch Wissen über kulturelle Unterschiede und trainierten deren Vermögen, andere Kinder nach bestimmten Gruppen zu kategorisieren. Die Ergebnisse dieser Studie stimmen den Jenaer Psychologen optimistisch:
    "Die letzte Untersuchung war jetzt fünf Jahre später nach Beendigung dieses Programms und es hat eigentlich überall Wirksamkeiten gegeben, natürlich nicht durchgängig (*). Aber die Ergebnisse haben mich im Blick auf die Langzeiteffekte sehr erstaunt."
    Andreas Beelmann weist aber auch darauf hin, dass die Vorurteilsneigung schon bei Kindern unterschiedlich hoch ist. Kinder, die wenig Einfühlungsvermögen haben, seien empfänglicher für Ressentiments. Ähnlich entscheidend seien die familiären und sozialen Umstände, unter denen Kinder aufwachsen. Und jemand, der seine politische Heimat in der AfD gefunden hat, wird im Übrigen kaum dazu bereit sein, Kontakte mit Flüchtlingen anzuleiern, sagen wir zum Beispiel, einen Gemüsegarten anzulegen. Sind die Schubladen einmal da, lassen sie sich eben kaum wieder abschaffen! Zumindest braucht es eine eigene Bereitschaft, sie sich bewusst zu machen. Wie z. B. bei Hans Peter Erb, der, wie er selbst zugibt, auch als Vorurteilsforscher nicht gegen Vorurteile gefeit ist:
    "Da kann man nur bewusst gegensteuern, sagen, stopp. Jetzt kommt ein Student, der ist tätowiert von kleinen Zeh bis oben, ich hab ein Vorurteil, aber ich darf das nicht gelten lassen, ich muss seine Prüfungsleistung gerecht bewerten und nicht auf der Grundlage, weil er einer bestimmten Gruppe angehört, die ich nicht mag."
    Juliane Degner, Sozialpsychologin in Hamburg, sieht das ähnlich. Aber sie weiß auch:
    "Das ist schwer, das ist aufwendig. Aber wenn wir fair sein wollen, dann müssen wir das tun."
    (*) Anmerkung der Redaktion: An diesen Stellen wurden O-Töne korrigiert, die nicht exakt der Sendefassung entsprachen.