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Schüleraustausch mit Indien
Der Kulturschock als Bereicherung

Etwa 50 Schülergruppen machen pro Jahr einen Schüleraustausch mit Indien. In Workshops wird Lehrern vermittelt, wie das möglichst ohne Kulturschock gelingt, denn die kulturellen Unterschiede sind groß, aber die Klassen profitieren oft noch lange von dem ungewöhnlichen Austausch.

Von Stephan Beuting |
Aussteller und Besucher auf einer der regelmäßig veranstalteten "Auf in die Welt"-Messen
Aussteller und Besucher auf einer der regelmäßig veranstalteten "Auf in die Welt"-Messen (Foto: Deutsche Stiftung Völkerverständigung)
"Ta—Ka—Di—Mi. Ta—Ka—Di—Mi. Ta Ka Di Mi. Ta Ka Di Mi."
Etwa 20 Lehrerinnen und Lehrer, vor ihnen der deutsch-indische Komponist Jarry Singla. In Jarrys Workshop geht’s um Rhythmus und Musiktechniken, manche indisch, andere nicht indisch.
"Ja, um Sachen zu machen, die den Schülerinnen und Schülern von vornherein Spaß machen, damit eine positive Stimmung da ist."
Erst die Stimme, dann noch Body-Percussion und dann kommen bunte Plastikrohre, sogenannte Boomwhackers.
Der Workshop ist Teil einer dreitägigen Fortbildung. Die Idee: Die Lehrenden so unterstützen, dass sie ihren Schüleraustausch gut begleiten können, sich kultureller Hürden bewusst werden, um die dann gemeinsam mit den Schülern meistern, zum Beispiel auch durch den Workshop bei Dhruv Kattar.
"Was kann man machen, dass dieser Kulturschock bei indischen Schülern nicht so groß ankommt, wie er normalerweise ankommt."
Vermitteln zwischen Lebenswelten
Kattar ist selbst vor acht Jahren mitgefahren und ist nach dem Schulabschluss in Indien fürs Studium nach Deutschland gekommen. Jetzt kann er gut vermitteln, zwischen dem deutschen Way of life und dem indischen. Die Inder, sagt Kattar, haben lange nicht so viele Freiheiten wie ihre deutschen Austauschschüler.
"Wir leben ganz anders in Delhi, als Teenager, die hier so leben. Beispiel: Die deutschen Kollegen haben gesagt, heute gehen wir mal ein Bierchen trinken. Mit 16 hätte ich nie gedacht, dass ich mal ein Bierchen trinken gehen kann."
Die Deutschen in Indien müssten auch verstehen, dass in Indien kaum jemand deutlich Nein sagt. Sein Ansatz: Jugendliteratur und Filme in den Unterricht integrieren, die ein wenig vom jeweils anderen Alltag vermitteln.
"Wenn sie hier sind, erweitern sie ihr Wissen, werden nicht einfach nur schockiert."
Interkulturelle Kompetenzen schulen
Pro Jahr sind es rund 50 Schülergruppen, die sich in beiden Richtungen indisch-deutsch austauschen. Und in jeder Gruppe kommt früher oder später die Frage: Warum eigentlich so weit, warum ausgerechnet Indien?
"Darüber haben wir gerade in der Sitzung heftig diskutiert."
Susanne Schwarzenberg vom pädagogischen Austauschdienst, zuständig für Schulpatenschaften. Ihre Antwort:
"In einer wirklich globalen Welt, geht der Austausch über Europa hinaus. Und wenn man betrachtet, dass China und noch mehr Indien die bevölkerungsreichsten Länder der Welt sind, wo die Bevölkerung weiter steigt, wo das Wirtschaftswachstum weiter in die Höhe geht, dann kommen wir nicht umhin, mit diesen Ländern den Austausch, Kooperationen aufzubauen, die wichtig sind. Das heißt, junge Leute müssen befähigt werden, auch mit Ländern weit weg, mit fremden Kulturen zusammenzuarbeiten, Teams zu bilden, sich sprachlich weiterzuentwickeln, bei Unternehmen einzusteigen, die Kooperationen mit den Ländern führen. Vor diesem Hintergrund ist das mindestens so wichtig wie die Zusammenarbeit mit Europa."
Interkulturelle Kompetenzen schulen, im Ausland die eigene Identität erkennen, das sogenannte Out-of-the-box-thinking trainieren. Marion Traum ist Lehrerin einer Sekundarschule in Bornheim und hat erlebt, wie das funktionieren kann. Obwohl sie am Anfang erstmal ein paar Bedenken aus dem Weg räumen musste.
"Bist du bescheuert? War die erste Reaktion. Warum Indien?"
Gemeinsamer Indienmodus hilft Klasse bei Konflikten
Marion Traum hat es aber mit ihrer Abschlussklasse durchgezogen. Sie ist vorab auf eigene Kosten nach Kerala geflogen, hat über 5.000 Euro Spendengelder eingesammelt und sich und die Klasse ein dreiviertel Jahr vorbereitet.
"Für mich war die Unterstützung tatsächlich die Schüler. Ich kam in den Unterricht, wir hatten zwei AG-Stunden die Woche. Große Augen, was machen wir heute, wir müssen noch das machen, wir müssen noch das vorbereiten. Und das hat mir wirklich die Motivation gegeben, das zum Abschluss zu bringen und durchzuführen."
Inklusion, Migration, Verhaltensauffälligkeiten, auch mal Probleme mit Drogen: Ihre Schülerschaft beschreibt sie als gemischt, heißt: Was sie dabei genau von der zweiwöchigen Fahrt nach Indien erwarten durfte, wusste sie vorher überhaupt nicht. Hinterher, sagt sie, war sie sehr überrascht: positiv.
"Ein Beispiel: Ein Mädchen, hochdepressiv, die war wirklich kurz vor der Klinik, es war nicht klar, ob sie mitkommt. Die hat nach zwei Tagen ihre Schminke abgemacht, ihre Haare zusammengebunden, ihre Plastiknägel abgenommen und kam völlig entspannt, völlig ruhig, kreischte nicht, kam völlig entspannt in den Bus. Ich sag, was ist denn mit Dir passiert? Sie sagt nur: Ich weiß es nicht, ich glaube nur, ich muss nicht in die Klinik, ich brauche nur zwei Wochen Indien, das ist Therapie genug."
Die Klasse sei auf der Fahrt zusammengerückt, Schülerinnen und Schüler hätten sich im fremden Land ein Stück weit neu erfinden können, sagt sie. Das habe auch über die Reise hinaus gewirkt. Wieder zurück in Deutschland, habe es zwar immer noch Konflikte gegeben, aber eben auch die Erfahrung ihres gemeinsamen Indienmodus. Zum Lehrgang ist Marion Traum diesmal gekommen, weil sie auch mit ihrer nächsten Klasse wieder den Indien-Austausch machen möchte, allerdings schon früher, um mehr von der positiven Stimmung in der Schule nutzen zu können. Der Arbeitstitel steht auch schon:
"Kerala 2."