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Schüleraustausch
West-Klasse auf Ost-Klassenfahrt

Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz hat vorgeschlagen, regelmäßig Schüleraustausche zwischen Ost und West zu organisieren. So sollen die Schüler die Lebenswirklichkeit der jeweils anderen Seite verstehen lernen. Dafür erntete er viel Kritik: Über 27 Jahre nach der Wiedervereinigung bestünde kein Bedarf mehr.

Von Henry Bernhard |
    Der Zellentrakt des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in Erfurt ist ein bedrückender und beklemmender Ort. Eine niedrige Decke hängt über den acht Schülern aus Hessen, die langsam von Zelle zu Zelle gehen. Jan Jakob ist beeindruckt.
    "Wenn man sich das überlegt: Das sind ja im Prinzip Kleinigkeiten, für die er schon DDR-Bürger inhaftiert werden konnten, also auch in Untersuchungshaft. Das fällt einem im ersten Moment schwer, sich da rein zu versetzen, aber wenn man erst mal direkt in so einer Zelle steht, fällt einem das natürlich leichter."
    Für drei Tage sind er und seine Mitschüler mit dem Leistungskurs Geschichte in Erfurt, um der Vergangenheit am authentischen Ort nachzuspüren, der nationalsozialistischen bei der Firma Topf & Söhne, die die Öfen für Auschwitz geliefert hat, der sozialistischen im Stasi-Gefängnis. Ihr Lehrer Ulf Thöle findet Erfurt in Thüringen perfekt dafür.
    "Wir machen im Abiturjahrgang immer so fachliche Schwerpunkttage, Vertiefungsmöglichkeiten. Und Erfurt bietet halt die Möglichkeit, zu verschiedenen historischen Zeitpunkten abwechslungsreiche Möglichkeiten für Schüler wahrzunehmen, also auch, weil wir mit DDR-Geschichte im hessischen Lehrplan nicht so viel zu tun haben, wie es eigentlich wünschenswert wäre und die Schüler das aber aus meiner Sicht wissen und erfahren sollen."
    "Ich wurde dann zum Direktor zitiert"
    Zuvor waren die Schüler auch in der Thüringer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde, haben die Akten von Holm Kirsten studiert, der 1983 mit Freunden aufrührerische Parolen an Weimarer Häuserwände gesprüht hat. Etwa: "Macht aus dem Staat Gurkensalat!" Nun, nach einem Tag Aktenstudium, treffen sie Holm Kirsten zu einem Zeitzeugengespräch.
    "Und zwar würde mich interessieren, ab welchem Zeitpunkt in ihrem Leben hatten sie sich gedacht, "Ich möchte Kritik an der SED-Diktatur üben?" Oder aus welchen Gründen kam es überhaupt dazu, dass sie diese Sprays gemacht haben, außer natürlich jugendlichem Wahnsinn? Kommt da vielleicht noch ein bißchen mehr dazu?"
    "Also, "jugendlicher Wahnsinn", das würde ich erst mal von mir weisen! Jugendlicher Übermut vielleicht, jugendlicher Leichtsinn vielleicht auch. Und generell ein der Jugend … Ich meine, ich brauche ihnen das nicht zu erzählen … Heute gibt es tausend andere Ventile, heute gibt es vor allem – das sehe ich bei meinen Kindern – auch Tausend Ablenkungsmöglichkeiten. Man kann sich ja den ganzen Tag mit irgendwelchem Zeug verblöden. Diese Form der Ablenkung hatten wir nicht. Vielleicht hat das auch eine Rolle gespielt, dass wir mit im Grunde genommen völlig harmlosen Fragen in der Schule … habe ich Dinge heraufbeschworen bei Lehrern. Ich wurde dann zum Direktor zitiert, meine Eltern wurden einbestellt, meine gesamte Haltung, meine staatsbürgerliche Haltung wurde in Frage gestellt. Man stand relativ schnell am Pranger. Ja, und Druck erzeugt Gegendruck, das ist bekannt."
    Der Besuch an der Grenze hat sich gelohnt
    Zu fünf Monaten Haft verurteilte das Gericht den damals 18-jährigen Kirsten. Der erzählt weiter, wie er noch lange nach der Haftentlassung auf Schritt und Tritt überwacht wurde. Für die Schüler kommen immer mehr Facetten zu dem hinzu, was sie in Geschichte allgemein über die DDR und im Aktenstudium über Holm Kirsten gelernt haben. Lukas Gück und Jan Jakob scheinen zufrieden.
    "Ja, man nimmt auf jeden Fall sehr viel mit, auch sehr viel Eindrücke. Das kann man heute und in den nächsten Tagen gar nicht so richtig verarbeiten. Aber es war sehr interessant hier, und verändert hat es auf jeden Fall was."
    "Ja, ich denke, das hat meinen Blick auf die DDR schon nachhaltig verändert."
    Dafür hat sich der Besuch jenseits der ehemaligen Grenze gelohnt. Ob aber ein regulärer Ost-West-Schüler-Austausch fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sinnvoll wäre, darüber sind sie geteilter Meinung.
    "Ich finde das nicht schlecht. Ist immer ein neuer Eindruck, neue Schule, generell neues Umfeld bringt immer viel Erfahrung, viele Einflüsse mit in die alte Schule zurück. Also, ich würde es für richtig halten."
    "Ich denke, wenn es um kulturelle Unterschiede geht zwischen Ost- und Westdeutschland - ich weiß nicht, inwieweit die vorhanden sind. Inwieweit ein Austausch da sinnvoll ist, das kann ich so nicht beurteilen."