Freitagabend im Schützenvereinshaus "Adler Hohenheide" in Fröndenberg an der Ruhr. Jennifer Wegfraß - schwarze Bluse, helle Jeans, kurze blonde Haare - atmet kurz durch, hebt ihr Gewehr, fixiert Kimme und Korn, drückt ab.
Ein Schuss für die Ewigkeit
Sie trifft den inneren Ring der Zielscheibe – fünf Millimeter Durchmesser auf zehn Meter Abstand - das erfordert höchste Konzentration und Präzision am Schießstand. Dass sie das beherrscht, hat die 28-jährige Erzieherin Ende August schon unter Beweis gestellt: auf dem viertägigen Fröndenberger Schützenfest holt sie den Vogel von der Stange. Sie realisiert erst später, was ihr da gelungen ist:
"In dem Moment dachte ich: Gut gemacht. Siebzehn Jahre bin ich jetzt im Verein, und als es dann weiterging, ich dann zwei, drei Stunden geschlafen habe, da dachte ich: Oh, ich glaube, wir haben ein bisschen Geschichte geschrieben."
Weil die frischgebackene Schützenkönigin nicht etwa einen Mann zum König nimmt, sondern ihre Freundin Anke Mannertz:
"Irgendwann hab ich gedacht, huch, wo ist Jenny? Und hab gefragt, hat jemand Jenny gesehen? Ja, die steht unterm Vogel. Dann ging das relativ flott, dann wurde eigentlich nur gefeiert, das war ein Gekreische, ein Gegröle. Und dann ging es auch schon los mit den ersten Amtshandlungen: Das Orchester zu dirigieren."
Das erste Königinnen-Paar in der Vereinsgeschichte
Die beiden Adler-Schützinnen sind das erste Königinnen-Paar in 111 Jahren Vereinsgeschichte.
Jennifer Wegfraß hatte sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie ein lesbisches Schützenpaar wohl in Dorf und Verein ankommen würde. Letztlich war entscheidend:
"Erst mal war meine Chefin dabei. Mit zwei Freunden, die im Spielmannszug sind, hab ich auch noch mal vorher gesprochen. Das war mir wichtig, dass die hinter mir stehen. Und dann, als wir angetreten sind an der Stange, leuchtete die Sonne, und wir hatten einen wunderschönen Regenbogen über der Vogelstange – das war einfach ein Zeichen!"
Der Vorsitzende der Adlerschützen, Oberst Ingo Rellmann, ist stolz auf die beiden Frauen. Im Verein gab es aber am Anfang durchaus Vorbehalte:
"Es gibt auch viele Ältere auf dem Dorf. Die sind es nun mal nicht gewohnt, dass wir Jüngere ein offeneres Weltbild haben. In dem Moment hieß es nur: Zwei Frauen an der Macht, wie geht das? Ich sag' da nur: Das hat Wowereit uns schon vor Jahren vorgemacht, warum können wir’s nicht?"
Im Verein gab es auch Vorbehalte
Rellmann verweist auch gerne auf den Leitspruch des 1896 gegründeten Schützenvereins: "In Treue zum Alten die Zukunft gestalten".
"Wir leben alte Traditionen und sind trotzdem offen für Neues. Wir hatten damals schon die erste Dame, die den Vogel abgeschossen hat, vor dreißig Jahren etwa. Daher sind wir gewappnet. Und bei uns dürfen traditionell Frauen schießen, die Mitglied im Verein sind, da haben wir gar kein Problem mit."
Und die hundert Jahre alte Vereinssatzung steht dem auch nicht im Wege:
"Die Satzung ist zwar schon recht alt. Aber diese Satzung sagt nicht aus, dass man ausgeschlossen wird vom Königsschießen aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Religion oder seines Geschlechtes. Denn bei uns darf jeder schießen, der einen guten Ruf hat, achtzehn Jahre alt ist und Vereinsmitglied ist. Es wird nicht unterschieden zwischen Geschlechtern."
Tradition im Wandel
Im Juni wurde auch in Hamm ein homosexuelles Königspaar gekrönt, zwei Jahre zuvor hatte ein Schütze aus Düsseldorf sich geweigert, eine Schein-Königin zu nominieren. Die Tradition ist im Wandel. Im März dieses Jahres kippte sogar der konservative Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften den Beschluss, dass ein Königspaar zwingend aus Mann und Frau bestehen müsse. Auch die Religionszugehörigkeit soll künftig kein Hinderungsgrund mehr sein. Nach wie vor sind christlicher Glaube und Gottesdienste fester Bestandteil des Schützenwesens. Aber auch da nimmt man es in Fröndenberg nicht so genau:
"Es gab mal im Umkreis unseres Ortes eine Diskussion, weil ein Schützenkönig anderen Glaubens war. Da hab ich kein Verständnis für. Jeder Mensch muss seinen Glauben ausleben. In unseren Statuten steht nichts von einer Glaubensrichtung drin. Wir feiern ökumenischen Gottesdienst, aber es ist keine Pflicht, dass da jeder Schütze anwesend sein muss."
Nach dem Training sitzen die Adler-Schützen in der Vereinsschenke noch gemütlich zusammen. Wie die Tradition es will, haben die Schützenköniginnen einen Hofstaat, siebzehn Freundespaare begleiten sie auf Terminen und Treffen mit anderen Vereinen, das ganze Jahr über. Der zwanzigjährige Jungschütze Timo Wopker managt als Königsadjutant den Terminkalender. Diese Tradition bedeutet für ihn, …
"… dass man versucht, den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu schützen. Früher waren die Schützen diejenigen, die eine Stadt nach außen verteidigt haben, und heute versuchen wir, eine Dorfgemeinschaft aufrecht zu erhalten, dass jeder dem anderen hilft, und zusammen Spaß zu haben."
Eine neue Generation im Vereinswesen
Die Adler-Schützen aus Hohenheide sind sich sicher: Sie stehen für eine neue Generation im Vereinswesen.
"Wir hoffen, dass wir dem ein oder anderen Verein einen Impuls geben können. Und ich glaube nicht, dass da noch die eine oder andere Diskrepanz zustande kommen wird", sagt Jennifer Wegfraß.
"Und wir sind stolz darauf, dass wir siebzehn Hofstaat-Paare haben, die sagen: Ja, wir stehen hinter Euch, ja, wir möchten das durchziehen, wir feiern mit Euch", fügt ihre Freundin Anke Mannertz an.