Manfred Götzke: Keine Lust auf Schule – das geht jedem Schüler mal so, und so mancher geht dann auch einfach mal nicht hin, wenn das Hassfach ansteht. Bei ungefähr 500.000 Schülern sieht das mit dem Schwänzen allerdings noch ein bisschen anders aus, die fehlen regelmäßig, also schon mal ein, zwei Wochen pro Monat, und so kann man sich in der Pubertät auch schnell mal die Zukunft verbauen. Wenn aus gelegentlichem Schulschwänzen ein Dauerzustand wird, dann sind daran auch die Eltern zumindest mit schuld. Weil das so ist, hat Hannover jetzt ein ungewöhnliches Anti-Schwänzer-Programm aufgelegt: Den Eltern von Schulschwänzern soll das Sorgerecht entzogen werden. Erfunden hat das Programm der Jugendrichter Jens Buck. Herr Buck, Entzug des Sorgerechts, das klingt schon nach einer ziemlich drakonischen Maßnahme.
Jens Buck: Ja, aber man darf nicht vergessen, dass das wirklich erst das allerletzte Mittel ist, wenn sämtliche Hilfen nicht gegriffen haben, und wir wollen in allererster Linie helfen. Unser ganz großes Ziel ist es, den Schüler wieder in die Schule zu bringen. Das heißt also, wir werden alles tun, um den Eltern Hilfen zu geben, die mit ihren Kindern nicht zurechtkommen, um sie wieder zur Schule zu kriegen. Wir müssen aber versuchen, Kinder so früh wie möglich zur Schule zu bringen, weil je länger Kinder nicht zur Schule gehen, desto schwieriger wird es, sie auch wieder zu reintegrieren. Und wir haben eine Vielzahl von Fällen von Schülern mit 90 Fehltagen und mehr, und wenn man das mal runter bricht, also durch fünf teilt, dann ist man da bei 18 Wochen kein Schulbesuch. Und das finde ich schon eine sehr schwierige Zahl.
Götzke: Bleiben wir vielleicht mal bei der Ultima Ratio, Entzug des Sorgerechts – was heißt das konkret? Wie muss ich mir das vorstellen?
Buck: Das heißt nicht, dass wir Kinder aus der Familie herausnehmen wollen, sondern dass wir den Kindern eine Art Schullotse zur Seite stellen wollen. Das heißt im Prinzip das, was eigentlich Eltern mit ihren Kindern machen sollten, wenn es Schwierigkeiten in der Schule gibt, würde das ein Ergänzungspfleger machen. Das heißt, wir würden den elterlichen Sorgebereich Regelung von schulischen Angelegenheiten den Eltern wegnehmen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen, der dann mit dem Schüler auch guckt, was für Alternativen gibt es, weil Schulbesuch, der nicht stattfindet, hat in der Regel auch immer eine Ursache. Und es geht darum, diese Ursache zu finden und zu verändern, und vielleicht mit dem Lehrer zu sprechen, was kann man anders machen. Vielleicht auch eine andere Schule aussuchen, vielleicht ist der Schüler überfordert, vielleicht ist der Schüler unterfordert. Vielleicht kann er im Moment auch nicht zur Schule gehen, muss stattdessen in ein Praktikum gehen – das ist ja auch möglich, aber dass man halt wieder eine Tagesstruktur in das Leben dieses jungen Menschen bringt.
Götzke: Wie muss ich mir die Arbeit des Schullotsen vorstellen? Kommt der dann nach Hause oder treffen die sich dann im Jugendamt?
Buck: Der kommt nach Hause – das ist kein Mitarbeiter des Jugendamtes, sondern das ist ein freier Mitarbeiter, der sich halt auf das Schulsystem in Hannover spezialisiert hat, und der würde nach Hause gehen oder im schlimmsten Falle würde er auch morgens klingeln und den jungen Menschen aus dem Bett schmeißen und zur Schule bringen. Das würde er natürlich nicht ein halbes Jahr machen, aber er würde das mal zwei Wochen versuchen – das sind die Arbeiten, die er macht: Er führt ein ausführliches Gespräch mit dem jungen Menschen und versucht, ihm wieder Boden unter die Füße zu bringen. Es ist auch die Möglichkeit, dass zum Beispiel Schulangst eine Rolle spielt, Mobbing eine Rolle spielt, da muss man vielleicht den Schüler auch zu einem Arzt begleiten, der ihm da vielleicht helfen kann. Das heißt, es sollen Weichen gestellt werden, um den Schüler wieder zur Schule zu bringen.
Götzke: Letztlich scheitert es aber offenbar, wenn man Ihren Maßnahmen folgt, an der Aufsichtspflicht der Eltern.
Buck: Na ja, wenn man mal überlegt: Wenn Schulbesuch am Anfang nicht stattfindet, ist der Normalfall so, dass Lehrer sich an die Eltern wenden, und wenn die Eltern mit den Lehrern zusammenarbeiten, erfolgt gar keine Meldung ans Ordnungsamt, sondern dann sieht man das als ein temporäres Problem, an dem man arbeitet und das auch gelöst werden kann. Häufig ist es aber so, dass Lehrer berichten, dass sie sich an die Eltern wenden, und da kommt überhaupt gar keine Rückmeldung. Die tauchen einfach ab, melden sich nicht telefonisch, sind auch bei Hausbesuchen nicht erreichbar, und das sind die Fälle, die dann in das Ordnungswidrigkeiten-Verfahren laufen. Und die landen dann letztlich auch bei uns, wenn die Gelder nicht bezahlt werden.
Götzke: Da würde ich gerne noch mal nachfragen: Also Schule schwänzen, das geht ja von gelegentlich dem Hassfach fernbleiben bis gar nicht mehr zur Schule kommen. Wann landet ein Fall bei Ihnen auf dem Schreibtisch, wie massiv verweigern sich die Schüler dann?
Buck: Also bei uns auf dem Schreibtisch landen auch schon Fälle mit geringerem nicht zur Schule gehen, wenn Lehrer dahinter ein System erkennen. Fälle, wo wir einen Sorgerechtseingriff machen wollen, das sind Fälle, wo innerhalb der letzten drei Monate insgesamt ein Monat nicht zur Schule gegangen wurde. Das heißt also, Verfahren, wo wir sagen: Da ist ein ganz erhebliches Schulschwänzen. Wir wollen nicht an die rangehen, die mal eine Stunde nicht hingehen, oder die mal einen Tag nicht da waren, darüber reden wir gar nicht. Das sehen wir auch als eine jugendtypische Entwicklung, wo wir nicht eingreifen müssen.
Götzke: Letztlich ist das Ganze natürlich schon ein massiver Eingriff in das Familienleben. Da stellt sich ja schon die Frage, wie kann man mit solchen Maßnahmen das Vertrauen der Eltern gewinnen?
Buck: Es ist ja so, wenn wir eine Mitteilung bekommen, da ist jemand einen Monat nicht zur Schule gegangen, dann schicken wir erst mal den kommunalen Sozialdienst hin, und da reden wir noch gar nicht über den Entzug der elterlichen Sorge, sondern wir prüfen nur, was kann gemacht werden? Und das Jugendamt ist dann in der Familie und macht jede Menge Hilfsangebote, was man machen kann, und wenn Eltern sagen, ich lass mich darauf ein, was zu verändern, dann würde bei uns auch gar nicht der Sorgerechtsentzug weiter geprüft werden, dann wird bei uns die Akte geschlossen, und die Sache ist gut. Nur wenn die Eltern halt sagen, ich mache nichts, was das Jugendamt mir empfiehlt, ich bin hier nicht bereit, mitzuarbeiten, dann würden wir den nächsten Schritt gehen und was tun.
Götzke: Das Projekt ist ja relativ neu, haben Sie schon erste Erfahrungen?
Buck: Nein, wir haben zum 1.12. begonnen. Die allerersten Erfahrungen sind, dass Eltern wütend hier angerufen haben auf den Geschäftsstellen. Die haben gesagt, was das denn solle, dass man ihnen das Jugendamt auf den Hals schicke, schließlich sei das Kind ja nur nicht zur Schule gegangen. Das finde ich aber eigentlich ein ganz positives Zeichen, weil das zeigt, dass wir an einer richtigen Stelle ansetzen, weil ich einfach auch glaube, dass viele Eltern die Bildung ihrer Kinder nicht so ernst nehmen, wie sie das eigentlich nehmen müssten, weil, wenn wir uns mal die Studien angucken, ist Teilhabe an Ausbildung der Schlüssel, um später ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Götzke: Und das wird den Schülern dann letztlich auch genommen?
Buck: Das wird den Schülern letztlich genommen. Und ich glaube einfach, dass vielleicht mit dem Bild, wenn die Pubertät zuschlägt, dann denken Schüler nicht mehr so, wie sie eigentlich denken könnten. Und wenn sie dann später wieder aus der Pubertät draußen sind, sagen sie dann auf einmal: Oh Gott, was habe ich da für Mist gebaut. Aber an der Stelle, glaube ich einfach auch, muss man den Kindern ein bisschen Anleitung geben.
Götzke: Hannover will Eltern von Schulschwänzern das Sorgerecht teilentziehen als Ultima Ratio. Jugendrichter Jens Buck hat es sich ausgedacht. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jens Buck: Ja, aber man darf nicht vergessen, dass das wirklich erst das allerletzte Mittel ist, wenn sämtliche Hilfen nicht gegriffen haben, und wir wollen in allererster Linie helfen. Unser ganz großes Ziel ist es, den Schüler wieder in die Schule zu bringen. Das heißt also, wir werden alles tun, um den Eltern Hilfen zu geben, die mit ihren Kindern nicht zurechtkommen, um sie wieder zur Schule zu kriegen. Wir müssen aber versuchen, Kinder so früh wie möglich zur Schule zu bringen, weil je länger Kinder nicht zur Schule gehen, desto schwieriger wird es, sie auch wieder zu reintegrieren. Und wir haben eine Vielzahl von Fällen von Schülern mit 90 Fehltagen und mehr, und wenn man das mal runter bricht, also durch fünf teilt, dann ist man da bei 18 Wochen kein Schulbesuch. Und das finde ich schon eine sehr schwierige Zahl.
Götzke: Bleiben wir vielleicht mal bei der Ultima Ratio, Entzug des Sorgerechts – was heißt das konkret? Wie muss ich mir das vorstellen?
Buck: Das heißt nicht, dass wir Kinder aus der Familie herausnehmen wollen, sondern dass wir den Kindern eine Art Schullotse zur Seite stellen wollen. Das heißt im Prinzip das, was eigentlich Eltern mit ihren Kindern machen sollten, wenn es Schwierigkeiten in der Schule gibt, würde das ein Ergänzungspfleger machen. Das heißt, wir würden den elterlichen Sorgebereich Regelung von schulischen Angelegenheiten den Eltern wegnehmen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen, der dann mit dem Schüler auch guckt, was für Alternativen gibt es, weil Schulbesuch, der nicht stattfindet, hat in der Regel auch immer eine Ursache. Und es geht darum, diese Ursache zu finden und zu verändern, und vielleicht mit dem Lehrer zu sprechen, was kann man anders machen. Vielleicht auch eine andere Schule aussuchen, vielleicht ist der Schüler überfordert, vielleicht ist der Schüler unterfordert. Vielleicht kann er im Moment auch nicht zur Schule gehen, muss stattdessen in ein Praktikum gehen – das ist ja auch möglich, aber dass man halt wieder eine Tagesstruktur in das Leben dieses jungen Menschen bringt.
Götzke: Wie muss ich mir die Arbeit des Schullotsen vorstellen? Kommt der dann nach Hause oder treffen die sich dann im Jugendamt?
Buck: Der kommt nach Hause – das ist kein Mitarbeiter des Jugendamtes, sondern das ist ein freier Mitarbeiter, der sich halt auf das Schulsystem in Hannover spezialisiert hat, und der würde nach Hause gehen oder im schlimmsten Falle würde er auch morgens klingeln und den jungen Menschen aus dem Bett schmeißen und zur Schule bringen. Das würde er natürlich nicht ein halbes Jahr machen, aber er würde das mal zwei Wochen versuchen – das sind die Arbeiten, die er macht: Er führt ein ausführliches Gespräch mit dem jungen Menschen und versucht, ihm wieder Boden unter die Füße zu bringen. Es ist auch die Möglichkeit, dass zum Beispiel Schulangst eine Rolle spielt, Mobbing eine Rolle spielt, da muss man vielleicht den Schüler auch zu einem Arzt begleiten, der ihm da vielleicht helfen kann. Das heißt, es sollen Weichen gestellt werden, um den Schüler wieder zur Schule zu bringen.
Götzke: Letztlich scheitert es aber offenbar, wenn man Ihren Maßnahmen folgt, an der Aufsichtspflicht der Eltern.
Buck: Na ja, wenn man mal überlegt: Wenn Schulbesuch am Anfang nicht stattfindet, ist der Normalfall so, dass Lehrer sich an die Eltern wenden, und wenn die Eltern mit den Lehrern zusammenarbeiten, erfolgt gar keine Meldung ans Ordnungsamt, sondern dann sieht man das als ein temporäres Problem, an dem man arbeitet und das auch gelöst werden kann. Häufig ist es aber so, dass Lehrer berichten, dass sie sich an die Eltern wenden, und da kommt überhaupt gar keine Rückmeldung. Die tauchen einfach ab, melden sich nicht telefonisch, sind auch bei Hausbesuchen nicht erreichbar, und das sind die Fälle, die dann in das Ordnungswidrigkeiten-Verfahren laufen. Und die landen dann letztlich auch bei uns, wenn die Gelder nicht bezahlt werden.
Götzke: Da würde ich gerne noch mal nachfragen: Also Schule schwänzen, das geht ja von gelegentlich dem Hassfach fernbleiben bis gar nicht mehr zur Schule kommen. Wann landet ein Fall bei Ihnen auf dem Schreibtisch, wie massiv verweigern sich die Schüler dann?
Buck: Also bei uns auf dem Schreibtisch landen auch schon Fälle mit geringerem nicht zur Schule gehen, wenn Lehrer dahinter ein System erkennen. Fälle, wo wir einen Sorgerechtseingriff machen wollen, das sind Fälle, wo innerhalb der letzten drei Monate insgesamt ein Monat nicht zur Schule gegangen wurde. Das heißt also, Verfahren, wo wir sagen: Da ist ein ganz erhebliches Schulschwänzen. Wir wollen nicht an die rangehen, die mal eine Stunde nicht hingehen, oder die mal einen Tag nicht da waren, darüber reden wir gar nicht. Das sehen wir auch als eine jugendtypische Entwicklung, wo wir nicht eingreifen müssen.
Götzke: Letztlich ist das Ganze natürlich schon ein massiver Eingriff in das Familienleben. Da stellt sich ja schon die Frage, wie kann man mit solchen Maßnahmen das Vertrauen der Eltern gewinnen?
Buck: Es ist ja so, wenn wir eine Mitteilung bekommen, da ist jemand einen Monat nicht zur Schule gegangen, dann schicken wir erst mal den kommunalen Sozialdienst hin, und da reden wir noch gar nicht über den Entzug der elterlichen Sorge, sondern wir prüfen nur, was kann gemacht werden? Und das Jugendamt ist dann in der Familie und macht jede Menge Hilfsangebote, was man machen kann, und wenn Eltern sagen, ich lass mich darauf ein, was zu verändern, dann würde bei uns auch gar nicht der Sorgerechtsentzug weiter geprüft werden, dann wird bei uns die Akte geschlossen, und die Sache ist gut. Nur wenn die Eltern halt sagen, ich mache nichts, was das Jugendamt mir empfiehlt, ich bin hier nicht bereit, mitzuarbeiten, dann würden wir den nächsten Schritt gehen und was tun.
Götzke: Das Projekt ist ja relativ neu, haben Sie schon erste Erfahrungen?
Buck: Nein, wir haben zum 1.12. begonnen. Die allerersten Erfahrungen sind, dass Eltern wütend hier angerufen haben auf den Geschäftsstellen. Die haben gesagt, was das denn solle, dass man ihnen das Jugendamt auf den Hals schicke, schließlich sei das Kind ja nur nicht zur Schule gegangen. Das finde ich aber eigentlich ein ganz positives Zeichen, weil das zeigt, dass wir an einer richtigen Stelle ansetzen, weil ich einfach auch glaube, dass viele Eltern die Bildung ihrer Kinder nicht so ernst nehmen, wie sie das eigentlich nehmen müssten, weil, wenn wir uns mal die Studien angucken, ist Teilhabe an Ausbildung der Schlüssel, um später ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Götzke: Und das wird den Schülern dann letztlich auch genommen?
Buck: Das wird den Schülern letztlich genommen. Und ich glaube einfach, dass vielleicht mit dem Bild, wenn die Pubertät zuschlägt, dann denken Schüler nicht mehr so, wie sie eigentlich denken könnten. Und wenn sie dann später wieder aus der Pubertät draußen sind, sagen sie dann auf einmal: Oh Gott, was habe ich da für Mist gebaut. Aber an der Stelle, glaube ich einfach auch, muss man den Kindern ein bisschen Anleitung geben.
Götzke: Hannover will Eltern von Schulschwänzern das Sorgerecht teilentziehen als Ultima Ratio. Jugendrichter Jens Buck hat es sich ausgedacht. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.