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Schulbuchverlage
Besser gut kopiert als schlecht erfunden

Wer Textsammlungen für den Schulgebrauch herstellt, kann sich Texte nehmen, ohne die Urheber zu fragen. Dieses Privileg existiert seit Jahrzehnten, aber noch nie haben es Schulbuchverlage so intensiv genutzt wie jetzt. Bezahlen müssen sie dafür nur wenig. Bei der Verwertungsgesellschaft Wort befürchten einige, dass die Verlage sich mit Billigtexten aus dem Netz sanieren wollen.

Von Philip Banse |
    Tastatur mit Händen.
    Viele Schulbuchverlage bedienen sich aus dem Internet. (imago/STPP)
    "Mein Name Till Kreutzer, ich bin Anwalt auf Urheberrecht spezialisiert und Redakteur bei irights.info."
    Einem Online-Magazin zu Rechtsfragen in der digitalen Welt.
    Ab und an bekommt Kreutzer Post von der VG Wort, einem Verein, der die Urheberrechte seiner Mitglieder wahrnimmt. In diesen Briefen wird dem Publizisten Kreutzer lapidar mitgeteilt, dass ein Text von ihm in einem Schulbuch abgedruckt werden wird. Er bekommt ein kleines Honorar, aber seine Einwilligung ist nicht gefragt.
    "Es handelt sich um eine sogenannte Schrankenregelung im Urheberrechtsgesetz, Paragraf 46, um es genau zu sagen."
    Erklärt Robert Staats, Mitglied im Vorstand der VG Wort. "Schrankenregelung", weil das Recht der Urheber an ihrem Werk - einem Text in diesem Fall - eingeschränkt wird.
    "Diese Schrankenregelungen, davon gibt es eine ganze Reihe, sollen bestimmte Nutzungen, die im Allgemeininteresse liegen, erlauben, ohne, dass eine Zustimmung des Urhebers in dem Einzelfall erforderlich ist."
    Überschaubare Honorare
    Das allgemeine Interesse, um derentwillen das Recht der Urheber eingeschränkt wird, ist in diesem Fall die Schulbildung: Wer Textsammlungen für den Schulgebrauch herstellt, kann sich Texte nehmen, ohne zu die Urheber zu fragen. Dieses Privileg existiert seit Jahrzehnten, aber noch nie haben es Schulbuchverlage so intensiv genutzt, wie jetzt. Das zeigen Zahlen der VG Wort. Danach haben Schulbuchverlage 2011 35.000 fremde Texte ohne zu fragen genutzt. 2015 waren es schon 90.000. In fünf Jahren fast verdreifacht. Attraktiv ist diese privilegierte Nutzung fremder Texte auch, weil Verlage nur ein überschaubares Honorar zahlen müssen: Ein Text mit gut 2.000 Zeichen in einem Schulbuch mit 10.000 Auflage bringt dem Urheber des Textes im ersten Jahr 22,90 Euro brutto. Dieses gesetzlich verbriefte Privileg sei "eine Gelddruckmaschine für die Verlage", heißt es bei der VG Wort. Wollen sich die Schulbuchverlage, die von Umsatzrückgängen geplagt sind, durch Billigtexte aus dem Internet sanieren?
    "Das ist ziemlicher Quatsch," sagt Wolf-Rüdiger Feldmann, im Verwaltungsrat von Cornelsen, einem der großen deutschen Schulbuchverlage.
    "Der Glaube, dass aus Bits und Pieces mal eben ein Schulbuch zusammengeschossen werden kann, ist naiv. Insofern ist die These verdammt wenig belastbar."
    Lässt sich so leicht ein Schulbuch stricken?
    Wie aber ist zu erklären, dass sich die Nutzung der günstigen Texte fremder Autoren vervielfacht hat? Die VG Wort verweist darauf, dass nicht nur mehr Texte verwendet wurden, sondern insgesamt mehr Produkte erstellt würden. Das wiederum liege daran, dass die Kultusminister mehr aktuelle Bezüge im Unterricht verlangten. Verlage würden daher Texte nicht mehr nur drucken, sondern auch online zur Verfügung stellen. Und für diese Online-Texte sei die Honorierung erst vor drei Jahren geregelt worden, was die Nutzung fremder Texte weiter gefördert habe.
    "Ich finde solche Regelungen generell gut."
    Sagt der Urheberrechtsjurist Till Kreutzer. Er findet es gut, dass die Nutzung fremder Werke durch solche Privilegien vereinfacht, Wissen verbreitet und das Rad nicht laufend neu erfunden werde. Dass sich Schulbuchverlage mehr denn je fremder Texte aus dem Internet bedienen, so Jurist Kreutzer, verändere jedoch auch die Debatte um Open Educational Resources, also Lehrmaterialien, die frei nutzbar im Internet angeboten werden. Wenn Schulen sich solcher Gratis-Materialen bedienen, so Kreutzer, könnten Schulbuchverlage das nicht mehr so leicht kritisieren ...
    "Und sagen, das sollte alle nicht gemacht und dafür allerhand Gründe vorzuschieben, vor allem inhaltlicher und qualitativer Art, die offensichtlich an den Haaren herbeigezogen sind, wenn man sich eben in erheblichem Maße bei solchen Inhalten bedient."
    In den Augen der Schulbuchverlage sind das zwei unterschiedliche Dinge. Auch aus fremden Texten aus dem Netz müsse erst noch ein Schulbuch gestrickt werden. Und dieses Wissen hätten vor allem Schulbuchverlage.