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Schulbücher
Von Gastarbeitern zu Mitbürgern

Eine Studie beschäftigt sich damit, wie Migration und Integration in Schulbüchern thematisiert wird. Selbst in jüngeren Schulbüchern versteckt sich oftmals Diskriminierung - Experten raten zu menschlichen Beispielen bei der Darstellung des Themas.

Von Jennifer Rieger |
    Eine Grundschülerin sortiert ihre Schulbücher
    Wie gehen Schulbücher mit den Themen Migration und Integration um? (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    "Auf den fruchtbaren, sonnigen und wasserreichen Hochländern finden wir einst sehr kriegerische Negerstaaten, wie das englische Uganda am Viktoriasee. Im dichten, düsteren Urwalde lebt das nicht unbegabte, mit Giftpfeilen jagende Zwergenvolk der Akka, auf der untersten Stufe menschlicher Gesittung."
    Einst standen solche Sätze noch in Schulbüchern, wie zum Beispiel in dem 1907 erschienenen Geografiebuch "Die Außereuropäischen Erdteile". Ein anderes schönes Beispiel:
    "Die Neger, gegen 120 Millionen, in Afrika südlich von der Sahara und in Amerika. Mit vortretendem Oberkiefer, schiefer Stellung der Zähne. Die Hautfarbe durchläuft alle Schattierungen von Ebenholzschwärze bis zur Mulattenfarbe. Kurzes, stark gekräuseltes Haar, spärlicher Bartwuchs."
    Formulierungen wie "Negerstaat" und "Zwergenvolk" wurden natürlich längst aus den Schulbüchern verbannt. Autoren und Verlage bemühen sich heute um eine differenziertere Auseinandersetzung mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. In den Fächern Erdkunde, Politik oder Geschichte sind Migration und Integration häufig Gegenstand des Unterrichts. Versteckt sich trotzdem noch Diskriminierung zwischen Schulbuchseiten?
    "Was mir als Allererstes aufgefallen ist, ist dieses Schaubild, da wird sozusagen Migration visualisiert anhand so einer Europakarte. Und ganz klar wird hier durch diese Pfeilthematik, wird so ein Bild von: Oh, da kommt aber ganz, ganz viel."
    Michalina Trompeta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Interkulturelle Bildungsforschung an der Universität zu Köln. Sie beschäftigt sich mit Medien und Migration und Rassismuskritik. Sie blättert in einem Geschichte-, Sozialkunde- und Erdkundebuch für die neunte Klasse Hauptschule. Erschienen ist es 2010, es sollte also einen modernen Migrations- und Integrationsbegriff vermitteln. Trotzdem wird die Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft nicht als Selbstverständlichkeit dargestellt. Stattdessen stehen Probleme mit der Migration im Vordergrund.
    "Wir haben einen Text und die Wörter, die farblich markiert sind, und auch fett gedruckt sind, dass sie sofort ins Auge springen, sind "unterschiedlich" und "Parallelgesellschaft", "Vielzahl von Problemen", "Sprachprobleme". Da hat man das Gefühl oh, alles klar, hier geht es erst mal um diesen Clash, um Probleme, da prallen Welten aufeinander. Und das ist tatsächlich total schwierig, das so zu thematisieren. Wundert mich auch tatsächlich, das ist ja ein relativ neues Schulbuch."
    Studie untersucht Migration und Integration
    Zu diesem Ergebnis kam auch die "Schulbuchstudie Migration und Integration". Die Studie sollte kritisch beleuchten, ob die Schulbücher überhaupt noch mit der Lebenswahrheit von Schülern übereinstimmen. Schließlich hat in Deutschland inzwischen jedes dritte Kind unter 15 Jahren einen Migrationshintergrund, die meisten von ihnen haben einen deutschen Pass. Wie viel Sinn macht es da überhaupt, zwischen der vermeintlichen deutschen Mehrheitskultur und der der Zuwanderer zu unterscheiden? Der Begriff Migrationshintergrund sei da kritisch zu betrachten, meint Trompeta.
    "Weil er natürlich Differenz auch wieder herstellt. Es sind dann Kinder, die haben einen anderen Hintergrund. Es sind nicht die in Anführungsstrichen normalen Kinder."
    Problematisch sei auch, dass Migranten in Schulbüchern oft als gesichtslose Masse erscheinen.
    "Dann ist man nicht mehr Mutter und Ärztin, sondern dann ist man nur noch Russin, zum Beispiel."
    Um Migration und Integration auf sachlicher Ebene zu unterrichten, können Lehrer und Schulbücher gewisse Begriffe sicher nicht ganz aussparen. Wünschenswert wäre aber, die Vielfalt der deutschen Gesellschaft differenzierter darzustellen.
    "Und das ist auf jeden Fall ein Plädoyer dafür, dass mehr Subjekte, mehr Perspektiven und auch mehr Stimmen tatsächlich in diese Bücher kommen."